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Spionagesoftware „Pegasus“Journalisten und Aktivisten abgehört

Eine internationale Recherche enthüllt: Geheimdienste vieler Länder überwachen mit der israelischen Spionagesoftware „Pegasus“ Medien und Aktivisten.

Auch Hatice Cengiz, die Verlobte des ermordeten Journalisten Jamal Khashoggi, wurde ausgespäht Foto: Emrah Gurel/ap

Washington/Tel Aviv afp/dpa | Hunderte Journalisten, Aktivisten und Oppositionelle weltweit sind offenbar Opfer umfassender staatlicher Abhöraktionen geworden. Das ergaben Recherchen der Süddeutschen Zeitung, von Zeit, NDR, WDR und 15 weiteren Redaktionen aus zehn Ländern.

Wie die Medien am Sonntag berichteten, sollen Geheimdienste und Polizeibehörden mehrerer Länder die Spähsoftware „Pegasus“ des israelischen Unternehmens NSO Group missbraucht haben, um damit die Mobiltelefone der Betroffenen anzuzapfen.

Die internationale Recherchegruppe konnte eigenen Angaben zufolge ein Datenleak mit mehr als 50.000 Telefonnummern auswerten, die mutmaßlich seit 2016 zum Ziel möglicher Überwachungen durch NSO-Kunden wurden. Das Recherchenetzwerk erhielt die Liste von dem in Paris ansässigen Verein Forbidden Stories und Amnesty International.

Das von NSO entwickelte Programm Pegasus gilt unter Experten als das derzeit leistungsfähigste Spähprogramm für Handys und ist als Cyberwaffe eingestuft worden. Es ist demnach in der Lage, infiltrierte Mobiltelefone in Echtzeit auszuspähen und die Verschlüsselung von Messenger-Diensten wie WhatsApp oder Signal zu umgehen.

Auch Nummern von Staatsoberhäuptern auf der Liste

Zu den betroffenen Telefonnummern zählen laut Bericht die Nummern von zahlreichen Journalisten weltweit. Darunter sind laut Guardian auch Mitarbeiter der Nachrichtenagenturen AFP, Reuters und AP, der Zeitungen New York Times, Le Monde, El País, Financial Times und der Sender Al-Jazeera, Radio Free Europe und CNN. Insgesamt konnten demnach mehr als 180 Nummern von Journalisten ausgewertet werden. Nummern deutscher Journalisten seien nicht darunter.

Wie die Washington Post berichtete, standen auf der Liste auch die Nummern von Staatsoberhäuptern und Ministerpräsidenten, Mitgliedern arabischer Königsfamilien, Diplomaten und Geschäftsleuten. Wer die Auftraggeber der möglichen Ausspähungen waren, sei aus dem Leak nicht eindeutig hervorgegangen.

Das Recherchenetzwerk erhielt die Liste laut Washington Post von dem in Paris ansässigen Verein Forbidden Stories und Amnesty International. Dem Bericht zufolge wurden nicht alle Nummern gehackt. Mit Hilfe forensischer Untersuchungen seien aber in 37 Fällen versuchte oder erfolgreiche Angriffe mit Pegasus auf den Handys von Journalisten, Menschenrechtsaktivisten sowie Geschäftsleuten nachgewiesen worden.

Elf Länder besonders abhörfreudig

Zu den Journalisten, auf deren Handys laut Bericht Spuren erfolgreicher Pegasus-Angriffe nachgewiesen wurden, zählen zwei Reporter des ungarischen Investigativmediums Direkt36. Die Recherche lege den Verdacht nahe, dass diese Angriffe von staatlichen Stellen in Ungarn ausgeführt wurden, berichtete das Recherchekollektiv. Die ungarische Regierung habe diesem Vorwurf auf Nachfrage nicht widersprochen.

In Frankreich wurde dem Bericht zufolge unter anderem eine bekannte Reporterin von Le Monde ausgespäht. Eine Analyse der Daten und weitere Recherchen sprechen demnach dafür, dass diese Angriffe von Marokko ausgegangen seien. Die marokkanische Regierung teilte auf Nachfrage des Recherchekollektivs mit, es sei nicht erwiesen, dass es eine Geschäftsbeziehung zwischen Marokko und dem Unternehmen NSO Group gebe.

Zu den Betroffenen zählt laut den Recherchen auch Hatice Cengiz, die Verlobte des ermordeten saudiarabischen Journalisten Jamal Khashoggi. Ihr Handy sei vier Tage nach dem Mord an Khashoggi mit der Schadsoftware Pegasus angegriffen worden.

Allein 15.000 Nummern auf der Liste entfallen laut Washington Post auf Mexiko. Unter anderem taucht auch die Nummer eines freischaffenden mexikanischen Journalisten auf, der in einer Autowaschanlage ermordet wurde. Sein Handy wurde nie gefunden.

In den Recherchen werden elf Länder genannt, die die Spionagesoftware erworben haben: Aserbaidschan, Bahrain, Indien, Kasachstan, Marokko, Mexiko, Ruanda, Saudi-Arabien, Togo, Ungarn und die Vereinigten Arabischen Emirate.

NSO weist Berichte zurück und droht mit Klage

Die NSO Group teilte auf Anfrage der Medien mit, sie habe „keinen Zugang zu den Daten der Zielpersonen“ ihrer Kunden. Die Erfassung der Nummern könne „viele legitime und vollständig saubere Anwendungsmöglichkeiten haben, die nichts mit Überwachung oder NSO“ zu tun hätten.

NSO war bereits in der Vergangenheit vorgeworfen worden, mit der Software Pegasus totalitären Regierungen bei der Ausspähung von Journalisten und Dissidenten geholfen zu haben. Facebook hatte NSO 2019 in den USA verklagt. Der Vorwurf in der Klage lautet, NSO habe versucht, sich über eine später geschlossene Sicherheitslücke bei WhatsApp Zugriff auf Hunderte Smartphones zu verschaffen. Unter den Zielpersonen seien Journalisten, Anwälte, Dissidenten, Menschenrechtsaktivisten, Diplomaten und Regierungsbeamte gewesen.

NSO war auch vorgeworfen worden, seine Überwachungssoftware habe bei der Ermordung des saudischen Dissidenten Jamal Khashoggi eine Rolle gespielt. Laut der Washington Post gehörten zwei der Smartphones, auf denen IT-Experten von Amnesty International Spuren von Pegasus-Angriffen gefunden hätten, Frauen, die Khashoggi nahestanden.

Das israelische Unternehmen sprach am Sonntag mit Blick auf den Forbidden-Stories-Bericht von „falschen Vorwürfen und irreführenden Behauptungen“. Deren Quellen hätten sie mit Informationen versorgt, die keine Faktenbasis hätten. „Die Vorwürfe sind so empörend und weit von der Realität entfernt, dass NSO eine Verleumdungsklage erwägt.“

NSO erklärte, seine Technologie stehe „in keiner Weise mit dem abscheulichen Mord an Jamal Khashoggi in Verbindung“. Seine Technologie werde „ausschließlich an Strafverfolgungsbehörden und Geheimdienste von geprüften Regierungen verkauft, mit dem alleinigen Ziel, durch Verhinderung von Verbrechen und Terrorakten Menschenleben zu retten“.

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12 Kommentare

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  • Und? Hatten die etwa alle etwas zu verbergen?

  • Däh&Zisch - Mailtütenfrisch - merkt an:

    “ Es muss niemand wissen, dass ich nichts zu verbergen habe.“ Korrekt.



    Da liegt die Latte •

  • Jo, von Missbrauch kann keine Rede sein, die Software ist de facto eine Cyberwaffe zur Ausspähung von Mobiltelefonen.

    Wenn das erstmal verkauft ist, wird es den Hersteller wenig interessieren, was der Kunde damit macht. Der Kunde ist ja eine "geprüfte Regierung".

    Ebenso hat Deutschland ja auch Panzer an die Türkei und Saudi-Arabien verscherbelt, und U-Boote (die prinzipiell atomwaffenfähig sind) an Israel und andere. Alles "geprüfte Regierungen".

    Cyberwaffe oder Panzer, macht heutzutage wenig Unterschied, die Militärs weltweit betrachten den Cyberspace bereits als fünften Operationsraum (Land, Wasser, See, Weltall, Cyberspace).

    Ein chinesischer General wagte einmal die steile (?) These: "Wer den fünften Operationsraum kontrolliert, kontrolliert auch die anderen vier".

    Darüber lohnt es sich mal nachzudenken.

  • "Wie die Medien am Sonntag berichteten, sollen Geheimdienste und Polizeibehörden mehrerer Länder die Spähsoftware „Pegasus“ des israelischen Unternehmens NSO Group missbraucht haben, um damit die Mobiltelefone der Betroffenen anzuzapfen."



    Wieso "missbraucht"? Die Software wurde doch genau dafür entwickelt!

    "Seine Technologie werde „ausschließlich an Strafverfolgungsbehörden und Geheimdienste von geprüften Regierungen verkauft, mit dem alleinigen Ziel, durch Verhinderung von Verbrechen und Terrorakten Menschenleben zu retten“."



    Militärtechnik wird ja auch an "geprüfte Regierungen" verkauft,nur zu Verteidigungszwecken. Allerdings kann die Verteidigung halt auch weit außerhalb der eigentlichen Landesgrenzen stattfinden. Und muß manchmal schneller als der Angriff sein! Bei der Verteidigung gegen Terror und Kriminalität gilt ähnliches!



    ;-)

    • @Mustardmaster:

      Geprüfte Regierungen... roflmao ich stell mir Orban schwitzend und grübelnd beim NSO-Kunden-Test vor.

      Und wenn die Regierung abtritt z.B. durch Militärputsch, müssen die Generäle dann zur NSO Nachprüfung?

      Wenn sie nicht bestehen, dürfen sie die Macht nicht behalten. :D

  • Ja wie? So what! Wer doch nichts zu verbergen hat¿!



    Nö. Nur - Über die Maaßen - wa!

    unterm—— btw but not only — &



    Wenn dir dann noch n sprengstoffmanipuliertes Handy angedreht wird!



    Haste nen Mossad (Gell!) et al. Schlapphüte => Free Fly! 🛫



    “Runter kommen sie immer!“ 🛬 - (sarcasm Off!)

    • @Lowandorder:

      Zu verbergen hat NSO jede Menge, aber sagen wir es mal so, gegen Exporte von NSO Software vorzugehen, scheiterte bisher immer vor israelischen Gerichten. Denn das Verteidigungsministerium bescheinigt NSO vor Gericht immer, genügend Sicherheitspflöcke eingeschlagen zu haben und auch beim Export auf den Schutz der Menschenrechte zu achten.

      Ein Schelm wer da Kooperationen vermutet...

      www.reuters.com/ar...esty-idUSKCN24E1GP

      Und elektronische Aufklärung fällt eigentlich eher nicht ins Spielfeld des Mossad. Ich würde da mal in Richtung des Aman schauen, Nachrichtendienst der Tzahal und da speziell Richtung Unit 8200...

      • @Sven Günther:

        Danke - you are a clever man. But.



        Die Sache mit dem Sprengstoff-Handy war mW der Mossad.

        • @Lowandorder:

          Zuallererst, die israelische Regierung streitet solche Operationen grundsätzlich ab.

          Ich hab überlegt, wen sie meinen können und tippe mal auf Yahya Ayyash, den Bombenbauer der Kassam-Brigaden, dessen Handy 1996 bei einem Gespräch mit seinem Vater explodiert ist.

          Seine Bomben haben 80 Israelis getötet und mehr als 400 verletzt, das war ein Fall von Terrorismus, da ist der Schin Bet zuständig.

          "January 5, 1996



          Hamas bomb maker Yahya Ayyash is killed in Gaza City when his cellphone explodes during his weekly phone call to his father in the West Bank. It is a targeted assassination by the Shin Bet, Israel’s internal security service, which intercepts the call, confirms Ayyash’s identity and detonates the explosives, instantly killing him."

          israeled.org/phone...rist-yahya-ayyash/

          • @Sven Günther:

            Alter Schwede - das wird die Mame JurFahrensfrau freuen - ihr son - holt auf:



            “Als erstes schaun: “WER IST ZUSTÄNDIG? ICH ETWA?!!“



            Für ne Beamtenkarriere hätt‘s gelangt!



            Wenn. Ja - Wenn da nicht das 1.&2. Staatsexamen wäre! Gelle.



            Danach - stupidia non nocet - 🤪 -

            (ps immer gern genommen - aber übereinander kommwer nich - warum auch?! Teilmengen müssen reichen!



            Via im richtigen Leben!)



            pps hück via train Bonn - Köln hatte ich das immer wieder Vergnügen diesem Bedeusamkeitsgeschwafel dreier ehra Fraktion zu lauschen! Herrlich - fast wie Juristen einschließlich Erfahrunger!;))



            Da schmeckt das Strühfück & ☕️☕️☕️☕️ gleich doppelt gut. “Nachmittags Schwimmstunde.“ F.K.

    • @Lowandorder:

      "Der Ehrliche hat nicht zu verbergen; und wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten."



      Ein echter Scheißspruch konservativer law & order-PolitikerInnen (zur Massenüberwachung der BürgerInnen), mit dem die BürgerInnen in einen unkritischen, vorauseilenden Gehorsam geführt werden sollen.



      Natürlich hat Niemand nichts zu verbergen!