Spielhallenhölle Salzgitter: „Wochenende war Absturz“
In der Arbeiterstadt Salzgitter reihen sich die Spielhallen aneinander. Ahmed kennt sie alle. Er hat an den Automaten beinahe alles verloren.
„Manchmal habe ich zwei Tage durchgespielt“, erinnert sich der 34-Jährige. Er wollte nie gehen, immer noch ein bisschen länger bleiben in der Spielhalle, in der er sich wie in einer Höhle vor seinen Problemen verstecken konnte. Dass die mit jedem Eurostück, dass er in den silbernen Schlitz des Automaten steckte, größer wurden, wollte Ahmed nicht sehen.
Heute sitzt er in einem gelb-orange gestrichenen Raum. An der Wand hängen bunte Bilder, auf einem sind Blumen zu sehen. Es ist das Büro seiner Suchttherapeutin Martina Kurschus-Bensalem von der Suchtberatungsstelle Salto in Salzgitter. Immer mehr Menschen suchen dort Hilfe. Allein auf den rund 650 Metern vom Bahnhof hierher kommt man an sieben Spielhallen vorbei. Einige bieten Sportwetten an, andere sind typische Automatenhöllen. Eine große Spielhalle an der Berliner Straße ist verrammelt, der Rest hat trotz der neuen Gesetzeslage in Niedersachsen weiter geöffnet.
Die Spielhallenbesitzer klagen
Laut dem Glücksspielgesetz des Landes müssen Spielhallen mindestens einen Abstand von 100 Meter Luftlinie zueinander haben. Gemeinden dürfen aber auch bis zu 500 Meter Mindestabstand festlegen. Das hat der Rat von Salzgitter beschlossen. Aber weil sich die Spielhallenbesitzer mit Klagen wehren, sind die Schließungen erst einmal ausgesetzt.
Vor der Gesetzesänderung gab es 49 Spielhallen in der 100.000-Einwohnerstadt. Derzeit sind es 29. In den Gaststätten stehen aber zusätzlich noch 104 Automaten, an denen die Spieler ihr Glück versuchen können. Salzgitter ist nicht nur eine Arbeiterstadt. Es leben auch viele junge Menschen mit Migrationshintergrund hier. Sie sind besonders häufig von Spielsucht betroffen.
Zwischen den Lamellen des Rollos sieht Ahmed vom Salto-Büro aus das rote Logo mit der Aufschrift „Tipico“. Er ist ein sportlicher Typ, die Haare zurückgegelt, den Bart ordentlich gestutzt. Er hat die Arme vor der Brust verschränkt, als er anfängt zu sprechen. Es ist eine lange Suchtgeschichte und Ahmed schont sich nicht. Er erzählt alles.
Ahmed, ein Jahr spielfrei
Wie faszinierend er Automaten findet, merkte er schon mit 16 Jahren. Mit Freunden ging er gern in eine Kneipe neben dem Jugendzentrum. Während die anderen Dart oder Billard spielten, zog es ihn zu den blinkenden Lichtern. „Da konnte man kein Geld gewinnen“, erinnert sich Ahmed, der mit sieben Jahren aus der Türkei nach Deutschland kam. Seine Einstiegsdroge waren Geräte, an denen man das Würfelspiel Kniffel oder Stratego zocken konnte, ein Spiel, bei dem man bunte Früchte in eine Reihe bringen muss, um Punkte zu gewinnen.
Ahmed wollte mehr
Der Mechanismus war der gleiche wie bei einem Geldspielautomaten: Man sammelt Punkte, die man erneut setzen kann, um mehr Freispiele zu bekommen. „Dieses Hochdrücken hat mich schon da gereizt“, sagt Ahmed und streicht mit den Händen über seine graue Jeans.
Ahmed wollte mehr. Tagsüber drückte er sich jetzt bei Karstadt herum. „Vor den Toiletten gab es Automaten.“ Die befüllte er, drückte auf Autostart und versteckte sich. Manchmal wurde er erwischt und rausgeschmissen, weil er noch nicht 18 Jahre alt war. Aber Ahmed kam wieder.
„Ich habe, seitdem ich 16 war, auf dem Bau gearbeitet – manchmal auch schwarz.“ Bald floss der gesamte Lohn in die Automaten. Reichte das nicht, beklaute er seine Eltern. Als er 18 Jahre alt wurde, nahm Ahmed den ersten Kredit auf: 17.000 Euro. „Ich wollte mir ein schönes Auto kaufen.“ Stattdessen verbrachte er zwei Wochen lang fast jeden Tag in der Spielhalle. Für das Auto blieben nur 2.000 Euro.
„Man weiß als Spieler, dass man Fehler macht, aber ich konnte mich nicht stoppen“, sagt Ahmed. Die Technik der Automaten fördere das noch. „Wenn man 500 Euro gewinnt, kann es bis zu vier Stunden dauern, bis man das Geld hat“, sagt Ahmed. Die gewonnenen Punkte müssten erst in Geld umgewandelt werden. „Da werden alle paar Sekunden zwei Euro rüber geschoben.“ Bis man an seinen Gewinn komme, habe man ihn schon wieder verspielt.
Die Gedanken immer beim Spiel
Die Spielsucht sei mit dem Verlangen nach Amphetaminen vergleichbar, versucht Sozialpädagogin Kurschus-Bensalem das Verhalten zu erklären. „Sucht ist eine schwere Erkrankung.“ Die Salto-Mitarbeiterin ist bei dem Gespräch dabei, um Ahmed zu unterstützen.
„Ich habe den ganzen Tag bei der Arbeit darüber nachgedacht, wie ich an Geld komme und wo ich spielen kann“, sagt Ahmed. Als er 24 Jahre alt wurde, kam der Alkohol dazu. „Irgendwann habe ich nur noch besoffen gespielt, weil ich diesen Druck nicht mehr ausgehalten habe.“ Wo sollte bloß das Geld herkommen? Er machte noch mehr Schulden, bei den Eltern, Freunden. Von seinem Chef ließ er sich Vorschüsse auszahlen und verkaufte heimlich das Gold seiner Ehefrau.
„Sie hatte noch Geld vom Arbeitsamt, damit ist sie einigermaßen über die Runden gekommen und konnte die Miete bezahlen“, sagt Ahmed. „Ich hab dann irgendwann auch dieses Geld angefasst.“ Wenn sie es versteckte, setzte er seine Frau so lange verbal unter Druck, bis sie es ihm gab. „Ich wusste, welchen Schalter ich umlegen muss, damit ich das Geld bekomme.“
Er trank noch mehr. Bier nach der Arbeit, Wodka am Wochenende. „Wochenende war Absturz.“ Einmal schlug er einen Automaten kaputt, als der nichts ausspucken wollte, obwohl Ahmed schon tausend Euro hineingesteckt hatte. Die feinen weißen Narben ziehen sich noch immer über die Finger seiner rechten Hand.
Trotz abgeschlossener Privatinsolvenz fand er einen Bankangestellten, der ihm wieder einen Kredit auszahlte: 12.000 Euro. Drei Tage hat er gebraucht, um völlig betrunken jeden einzelnen Cent zu verzocken. Genau wie sein Weihnachtsgeld. „Ich habe teilweise an sechs Automaten gleichzeitig gespielt.“ Das war im Dezember 2016. Das war das Ende.
Ahmed ging nach Hause und ließ sich ins Bett fallen. Sein Körper streikte. „Ich konnte nicht mehr alleine aufstehen.“ Er flehte seine Frau an, ihn in eine Klinik zu bringen. „Ich hatte keinen Ausweg mehr“, sagt Ahmed. „Ich hatte wirklich Selbstmordgedanken.“
Zehn Tage blieb er in einer stationären Entgiftungsklinik, um vom Alkohol loszukommen und stellte sofort den Antrag für eine Langzeittherapie. Über ein Jahr hat er nun schon nicht mehr gespielt. Die Therapie war wie ein Aufwachen: „Ich hab da gemerkt, was das Leben ist“, sagt Ahmed. Er habe es plötzlich genießen können, einfach zu sitzen und einen Kaffee zu trinken. „Das kennt man als Spieler gar nicht. Man will nicht mal aufs Klo gehen, weil man denkt, man verpasst sonst etwas.“
Ein Raum ohne Glamour
An der Fassade der einstöckigen Spielhalle gegenüber sollen großflächige Bilder von Las Vegas bei Nacht die Spieler hereinlocken. Den versprochenen Glamour findet man in der „Spielhalle Play“ aber nicht. Die Luft ist dick, genau zwölf Automaten blinken in das schummerige Licht. Mehr Geräte sind gesetzlich nicht erlaubt.
Einige Männer sitzen auf den dicken schwarzen Polsterhockern und starren auf die Bildschirme. Ein Mann in grauer Handwerkerhose geht einen Meter zurück und betrachtet die Automaten aus der Distanz. Dann entscheidet er sich für ein Gerät, steckt eine Münze hinein und geht zum nächsten. Die meisten Gäste haben trotz der Wärme in der Halle nicht einmal ihre Winterjacken ausgezogen.
Hinter dem Tresen steht eine Frau und raucht. Sie hat sich die Lesebrille in die roten Haare gesteckt. „Wir waren schon alle gekündigt“, sagt sie. Nun habe die Spielhalle aber eine Fristverlängerung bis Ende 2018 bekommen. Die drohende Schließung von Spielstätten, die sich näher als 500 Meter aneinander befinden, hält sie für wirkungslos. „Den Spielern ist das egal. Die fahren auch woanders hin“, sagt die Mitarbeiterin.
Mit den Schließungen gingen Arbeitsplätze verloren und das treffe insbesondere alleinstehende Frauen, sagt sie. „Wenn ich den Job nicht mehr habe, stehe ich auf der Straße.“ Wer stelle sie denn mit 60 Jahren wieder ein?
Auch ein Stückchen weiter weg, in einem Gewerbegebiet, ballen sich gleich drei Spielhallen nebeneinander. Pink angestrahlt in der Mitte liegt das „C.Jac“. Ahmed war hier oft spielen. Der Laden ist schicker. Im Empfangsbereich gibt es eine Kaffeebar mit halbrunden Lederstühlen. An der Wand lodert auf einem Fernseher ein Kaminfeuer. Im Automatenraum sitzen auch zwei Frauen.
Geschäftsführer Ercan Vanli hatte erst einmal Los-Pech. Eigentlich hätte er die Spielhalle längst dicht machen müssen, aber das Verwaltungsgericht Osnabrück stufte das Losverfahren, mit dem die Stadt Salzgitter bestimmt hatte, welche Hallen bleiben dürfen, als rechtswidrig ein. Vanli ist froh über den Aufschub: „Hier geht es nicht um mich, sondern um die gesamte Branche“, sagt er. „Es sind viele Mitarbeiter betroffen.“ Vanli hofft darauf, dass die neue Landesregierung in Niedersachsen einen Kompromiss im Sinne der Spielhallen herbeiführt. Er hofft auf den Wirtschaftsminister von der CDU: „Dr. Althusmann hat sich der Sache angenommen.“
Ahmed hat für die Existenzängste der Betreiber und Mitarbeiter kein Verständnis. „Das ist keine Unterhaltung“, sagt er. Nie habe ihn ein Angestellter auf seine Sucht angesprochen, obwohl sein Problem so offensichtlich war. „Die haben mir viele Jahre weggenommen.“ Der 34-Jährige ist deshalb dafür, alle Spielhallen zu verbieten.
*Name geändert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker