Spielfilm über Mutter-Sohn-Liebe: Sie tun es einfach
Geschundene, die nicht zueinander dürfen: Regisseurin Isabelle Stever erkundet in ihrem Spielfilm „Grand Jeté“ das Thema Inzest auf der Berlinale.
Ganz nah am Rücken ist die Kamera, die Schulterblätter spannen sich, Muskeln werden gelockert, aber entspannt wirkt dieser Körper nicht. Er gehört Nadja, einer Balletttänzerin, Mitte 30, die ihr Leben ihrem Beruf gewidmet, ja, geopfert hat. Geschunden wirkt ihr Körper, die Füße entstellt, und dann ist da noch die psychische Wunde: Um ihren Traum zu leben, hat Nadja ihren Sohn Mario bei der Großmutter gelassen, hat ihn fast nie gesehen, ist ihm eine Fremde.
Bei einer Familienfeier begegnen sich Mutter und Sohn nach langer Zeit wieder, irgendwo in einer Kleinstadt in Brandenburg, schnell will die Mutter danach zurück nach Berlin, doch der Sohn nimmt sie mit in einen Club. Eines ergibt das andere und Mutter und Sohn haben Sex zusammen.
Inzest, ist das noch ein Tabu? Schockiert das in der heutigen Zeit noch? Isabelle Stever beschreibt in „Grand Jeté“, der auf dem Roman „Fürsorge“ von Anke Stelling basiert, die Beziehung zwischen Mutter und Sohn jedenfalls mit betonter Beiläufigkeit. Weder die Mutter (gespielt von der deutsch-amerikanischen Schauspielerin und Tänzerin Sarah Grether) noch der Sohn (Emil von Schönfels) scheinen zu hinterfragen, was sie da tun.
An Psychologisierung ist Stever augenscheinlich nicht interessiert, was einerseits eine in Maßen mutige Setzung ist, aber auch viele Lücken lässt. Allzu viel bleibt im Dunkeln, allzu sehr verlässt sich die Regisseurin auf den Sog ihres filmischen Ansatzes.
Ein sehr körperlicher Film
Der ist radikal, verzichtet völlig auf klassische Schuss-Gegenschuss-Kompositionen, zumal ohnehin kaum etwas gesagt wird. Oft verharrt die Kamera mit einer gewissen Distanz von den Figuren, beobachtet aus erhöhter Perspektive, die die Enge der Räume noch betont. Und dann wieder ist die Kamera den Figuren ganz nah, auch den nackten Körpern, beim Tanzen, beim Sex, im Schwimmbad oder beim Fitnesstraining.
„Grand Jeté läuft wieder am 17. 2., 16 Uhr, Zoo Palast 1
18. 2., 14 Uhr, Cinemaxx 3
19. 2., 21 Uhr, Zoo Palast 2
Ein sehr körperlicher Film ist „Grand Jeté“, ohne dabei auch nur im entferntesten voyeuristisch zu wirken. Doch der Versuch, etwas über das schwierige Verhältnis einer Balletttänzerin zu ihrem Körper zu erzählen, einer Mutter zu ihrem Sohn, bleibt unbestimmt.
Wie ein stilistisches, erzählerisches Experiment mutet „Grand Jeté“ dadurch bisweilen an, wie ein Film, bei dem im Lauf der Drehbuchentwicklung allzu viel gestrichen, auf möglichst jedes erklärende Moment verzichtet wurde, bis am Ende nur noch zwei Menschen und ihre Körper übrig geblieben sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin