Spielfilm über Bataclan-Überlebende: Wenn die eigene Legende bröselt
„Frieden, Liebe und Death Metal“ begleitet ein Paar, das die Anschläge im Pariser Bataclan erlebt hat. Ein Film zwischen Trauma und Verdrängung.
Arm in Arm, in glänzende Rettungsdecken gehüllt, gehen Ramón und Céline durch die nächtliche Innenstadt von Paris nach Hause. Auf der Straße neben ihnen fährt ein endloser Konvoi von Polizeifahrzeugen in die entgegengesetzte Richtung. Kurz bevor sie zu Hause sind, überholt sie ein Bus. Auf den Sitzen des Busses sitzen weitere Menschen mit Rettungsdecken, die mit leerem Blick in die Dunkelheit hinaus blicken. Es ist die Nacht vom 13. auf den 14. November 2015.
Ramón und Céline waren wenige Stunden zuvor im Bataclan, als islamistische Terroristen während eines Konzerts der Eagles of Death Metal in den Saal stürmten und um sich schossen. Regisseur Isaki Lacuesta zeichnet in „Frieden, Liebe und Death Metal“ das Leben des französisch-spanischen Paares mit dem Trauma im ersten Jahr nach dem Massaker nach. Zehn Monate nachdem der Film im Wettbewerb der Berlinale lief, kommt er nun mit einem begrenzten Kinostart regulär in die deutschen Kinos.
Kurz nach dem Attentat stehen die beiden mit Carlos und Lucie, einem befreundeten Paar, auf dem Balkon und spielen Bullshitbingo mit den Reaktionen ihres Umfelds – von „was uns nicht umbringt, macht uns hart“ bis „The show must go on“ ist alles dabei. Bei dem Spiel stellt sich heraus, dass Céline, anders als die anderen drei, niemandem erzählt hat, dass sie in jener Nacht im Bataclan war.
Unter anderem, um genau diesen Reaktionen zu entgehen. Lange scheint es auch, als wäre Céline (Noémie Merlant), die früher als die drei anderen aus dem Konzertsaal in eine Garderobe entkommen ist, mehr oder weniger mit dem Schrecken davongekommen. Bei Rámon (Nahuel Pérez Biscayart) hingegen sind die Folgen des Attentats nicht zu übersehen. Immer wieder wird er in Alltagssituationen von Panikattacken heimgesucht.
Um Death Metal geht es nicht
Im Pressematerial berichtet Produzent Ramón Campos, der selbst in Paris war in der Nacht der Anschläge, wie ihm die Buchvorlage, Ramón González’ „Paz, amor y death metal“, in die Hände fiel. Anders als der Originaltitel „Un año, una noche“ (Ein Jahr, eine Nacht), der den zeitlichen Rahmen der Erzählung betont, greift die deutsche Fassung den Titel der Vorlage auf. Das „Death Metal“ im Titel ist jedoch irreführend, weil es weder im Buch noch im Film um die Musikrichtung geht.
„Frieden, Liebe und Death Metal“. Regie: Isaki Lacuesta. Mit Nahuel Pérez Biscayart, Noémie Merlant u. a. Spanien/Frankreich 2021, 130 Min.
Schon der Bandname der Eagles of Death Metal beruht laut Frontmann Jesse Hughes auf einem ironischen Ausspruch. Als er einmal gemeinsam mit Bandkollege Josh Homme in einer Bar sah, wie ein Mann zu „Wind of Change“ der Scorpions tanzte, fragte er den Mann, was er da mache. Der Mann, so Hughes, sagte: „Das ist Death Metal“, worauf er antwortete „Nein. Das ist wie die Eagles des Death Metal.“
Gut zwei Stunden lang folgt „Frieden, Liebe und Death Metal“ den Versuchen von Ramón und Céline, im Laufe des Jahres nach dem Attentat wieder Fuß zu fassen. Während Céline wenige Tage nach dem Attentat schon wieder wie zuvor in einer Zufluchtswohnung für Jugendliche arbeitet, kündigt Ramón seinen Job und beginnt eine Therapie, arbeitet zeitweise als Lehrer.
Wie für Ramóns Freund Carlos stellt das Attentat auch für ihn alles in Frage. Zwischen Céline und ihm wird das zunehmend zum Problem. Der unterschiedliche Umgang der beiden mit den Ereignissen treibt zunehmend einen Keil zwischen das Paar.
Zäher Beziehungskampf
Das eine Jahr, dem man als Zuschauer_in der implodierenden Beziehung von Céline und Ramón beiwohnt, zieht sich in „Frieden, Liebe und Death Metal“ wie Kaugummi. Nicht zuletzt, weil der Film aus den zähen Mühen des Beziehungskrampfs immer wieder zurückblendet in die Nacht im Bataclan. Erzählerisch haben die Flashbacks den Zweck, das allmähliche Bröseln von Célines Legende, sie habe eh wenig mitbekommen, zu zeigen.
Doch in der Struktur des Films verhindert der Wechsel jede dramaturgische Konsistenz der Erzählstränge. Umgangsweisen mit Traumatisierung, Bedürfnisse nach Nähe und Distanz sind klassische Zutaten für ein psychologisch dichtes Beziehungsdrama. Stattdessen verkommen die Beziehungsprobleme von Céline und Ramón zur tragischen Nummernrevue.
Zu Beginn von „Frieden, Liebe und Death Metal“ reklamiert eine Texteinblendung Authentizität für den Film, das Gezeigte beruhe auf den Erfahrungen von Überlebenden des Attentats im Bataclan.
Nachdem Isaki Lacuesta und seine Drehbuchmitstreiter_innen Isa Campo und Fran Araújo systematisch jede Chance vertan haben, aus ihrem Film mehr zu machen, bleibt die Geste, dem Attentat und damit seinen Opfern und den Überleben nach diesem Attentat einen Film gewidmet zu haben und so die Erinnerung wachzuhalten. Ob man das als ehrenwert oder als Aufmerksamkeitsheischerei sehen will, bleibt jedem selbst überlassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Schraubenzieher-Attacke in Regionalzug
Rassistisch, lebensbedrohlich – aber kein Mordversuch