Spielfilm aus Finnland: Der verliebte Boxer
Gewonnen werden hier nur Herzen: „Der glücklichste Tag im Leben des Olli Mäki“ erzählt lakonisch von einer Box-WM in Finnland aus dem Jahr 1962.
Kokkola heißt die Stadt an der Westküste Finnlands, aus der der Regisseur Juho Kuosmanen stammt. Er ist noch keine vierzig Jahre alt, hat einige kürzere und einige längere Filme gedreht, „Der glücklichste Tag im Leben des Olli Mäki“ ist sein erster Spielfilm. Auch Olli Mäki, Jahrgang 1936, ist ein Kind Kokkolas, in dessen Wappen eine Feuerstelle zu sehen ist, weil sich Kokkola genau so übersetzen lässt: „Lagerfeuerstelle“.
Kaum fünfzigtausend Menschen leben hier, aber Kuosmanen, der in seinem Film eine Episode aus dem Leben des Boxers Olli Mäki erzählt, hat beinahe seinen gesamten Cast aus Kokkola akquiriert – auch Jarkko Lahti und Oona Airola, aus denen in „Der glücklichste Tag“ das Liebespaar Olli Mäki und Raija Jänkä wird.
Kuosmanen scheint dem Lokalen verbunden, und dafür gibt es triftige Gründe: Nicht nur stieß er in Kokkola auf die Geschichte des gelernten Bäckers Olli Mäki, der im August 1962 gegen den amtierenden Weltmeister im Federgewicht, den Amerikaner Davey Moore (John Bosco Jr.), antrat – Mäki und Kokkola sind für Kuosmanen auch Teile eines Gleichnisses, mit denen er sich identifizieren kann. Denn auf beide blickten plötzlich eine Menge Leute, nachdem sie bisher weitestgehend unsichtbar geblieben waren.
Olli Mäki wird 1962 von der Welt angeguckt, als man ihn nach ein paar erfolgreichen Boxkämpfen auf Profiniveau zum potenziellen finnischen Nationalhelden stilisiert. Maßgeblichen Anteil daran trägt Trainer Elis Ask, im Film gespielt von Eero Milonoff, der den Zusammenstoß mit Moore vorbereitet wie ein Spektakel mitsamt Presseterminen und Kamerateam zum Dreh einer Dokumentation.
Händeschütteln, siegessichere Interviews geben, in Anzügen auf Schemeln posieren (sonderlich groß ist Mäki nämlich nicht, das weibliche Model muss er auf den Bildern dennoch überragen) – das sind nun die Aufgaben des Boxers neben dem eigentlichen Training. Schließlich wird der Kampf mit Moore in keiner Dorfhalle stattfinden, sondern in einem Stadion in Helsinki. Öffentlichkeit muss her und vor allem braucht es Gelder.
Sportstar der Zukunft
Der kleine Olli Mäki aus dem beschaulichen Kokkola wird als kommender Sportstar ins Zentrum gerückt. Und ähnlich fühlt sich auch Juho Kuosmanen, als sein mittellanger Film „Taulukauppiaat/The Painting Sellers“ 2010 in Cannes den Preis der Cinéfondation gewinnt. Dieser garantiert einen zukünftigen Festival-Programmplatz – vorausgesetzt, Kuosmanen beschließt, einen ersten Spielfilm zu realisieren. Eine Chance, die man nicht ungenutzt lässt, die aber auch eine enorme Belastung bedeutet.
In „The Painting Sellers“ meinte man etwas aus den Filmen der berühmten finnischen Brüder Kaurismäki erkennen zu können, insbesondere denen Aki Kaurismäkis: verschrobene Figuren in der Kälte, die unterwegs sind, um merkwürdige Dinge zu erledigen. In „The Painting Sellers“ sind es drei Reisende unterschiedlichen Alters, seltsam zusammengewürfelt und mit dem Anliegen, selbstgemalte Ölbilder zu verhökern: ein jeder von ihnen sein eigenes, mehr oder weniger unausgesprochenes Drama.
„Der glücklichste Tag im Leben des Olli Mäki“. Regie: Juho Kuosmanen. Mit Jarkko Lahti, Oona Airola u. a. Deutschland/Finnland/Schweden 2016, 92 Min.
Kuosmanen war nicht daran gelegen, diese sentimental in Szene zu setzen, lieber beobachtete er die drei, bewahrte Distanz, filmte eher Markiges denn Selbstmitleid. „Menschlich“ nannte man diese Haltung, und es ist das Attribut, mit dem auch „Der glücklichste Tag im Leben des Olli Mäki“ versehen wird. Kuosmanen, heißt es, sei ein Filmemacher mit Sinn fürs Humane. Doch davor ist Kuosmanen vor allem ein Filmemacher mit einem Problem, denn der Druck ist groß, einen ersten Spielfilm ins Werk zu setzen.
Die Entdeckung der Geschichte Olli Mäkis aus der Heimatstadt Kokkola bringt Erleichterung. Warum? Mäki ist kein gewöhnlicher Boxer, sondern in erster Linie ein Arbeiter mit recht klarer Einstellung zum Leben. Ihm geht es weniger um Erfolg als um Fairness, er ist zurückhaltend und ruhig, alles Tamtam, das man mit ihm veranstalten will, ist ihm völlig wesensfremd. Und der glücklichste Tag seines Lebens, der 17. August 1962, ist nicht, wie man annehmen könnte, der glücklichste, weil er Davey Moore im Ring begegnet, sondern weil er kurz zuvor mit seiner Verlobten Raija Jänkä beim Juwelier einen Ring ersteht.
Olli Mäki ist ein verliebter Boxer und Kuosmanen konzentriert sich in seinem Film weniger auf den Tag des Kampfes, auf den dieser freilich zusteuert, als auf die Person Olli Mäki und ihr Nichthineinpassen, ihre stille Verweigerung, ihre Sehnsucht. „Der glücklichste Tag“ ist kein Boxfilm, der sich im Zeigen minutenlanger Kampfszenen ergeht.
Gemein ist ihm das etwa mit Luchino Viscontis „Rocco und seine Brüder“ (1960), ein Film, der das Thema Boxen zwar beinhaltet, der im Grunde aber eine meisterliche Familienerzählung voll Pathos ist, in der ein Bruder, Rocco (Alain Delon), den anderen, Simone (Renato Salvatori), vom moralischen Abfall zu bewahren sucht. Simone ist Boxer und Rocco wird ebenfalls einer, obwohl er einen Ekel gegen den Sport empfindet. Dabei sind beide weniger im Ring zu sehen als in opernhaften Auseinandersetzungen.
Auch „Herbert“ (2015) von Thomas Stuber, jüngst mit dem Deutschen Filmpreis als bester Spielfilm des Jahres 2016 ausgezeichnet, befasst sich mit dem Boxen und dann auch wieder nicht. Und im großartigen „Koza“ (2015) von Ivan Ostrochovský steigt ein ehemaliger Champion zwar wieder ins magische Viereck, doch rein gar nichts hier ist glamourös, dafür aber lebensgefährlich.
Drachen steigen lassen
Zusammengefasst kommen auf diese drei Beispiele zwei Märtyrer und zwei Schwerkranke. Olli Mäki hinzugezählt: er wäre der Verliebte. Eine recht sonderbare Version Jean-Louis Trintignants auch, die beim Lauftraining durch den Wald einen im Baumwipfel verfangenen Drachen entdeckt, diesen befreit und steigen lässt – eine stark anrührende, aber schöne Szene, die im Wechselspiel mit ungleich härteren steht, etwa wenn Mäki aus Gründen der Gewichtsabnahme in der Sauna kollabiert oder kotzend vor der Kloschüssel hängt.
Das ist eine Art von Brutalität, die sich von der aufgeplatzter Augenbrauen unterscheidet und deren es in „Der glücklichste Tag“ auch tatsächlich keine gibt. Lediglich zwei dünne Rinnsale Blut laufen Olli Mäki nach der Begegnung mit Moore über das Philtrum, dieser Stelle zwischen Nase und Oberlippe, die nach dem griechischen Wort „philtron“ benannt ist und das, nicht unpassend, „Liebeszauber“ heißt. Ein übermäßiger Einsatz von Blut hätte auch aus rein ästhetischen Gründen nicht gelohnt: der Film ist in Schwarz-Weiß gedreht.
Wie stark er dafür auf die Ungewöhnlichkeit seines Antihelden setzt – und Jarkko Lahti spielt den zurückgenommenen, doch innerlich bewegten Mäki anerkennenswert –, wird auch deutlich, wenn man sich einige Passagen aus Joan Carol Oates berühmtem Essay „Über Boxen“ aus dem Jahr 1987 vornimmt. Die Kanadierin sinniert: „Obwohl in höchstem Grade ritualisiert und so streng an Regeln, Traditionen und Tabus gebunden wie eine religiöse Zeremonie, hat hier der Wettstreit in seiner primitivsten Form und erschreckendsten Form überlebt: Zwei halbnackte Männer bekämpfen sich auf einem hell erleuchteten Podest, das wie ein Pferch mit Seilen eingezäunt ist.“
Oates verglich das Boxen nebenbei auch mit der Schriftstellerei und selbiges tut Juho Kuosmanen mit dem Filmemachen. Für ihn hat sich das Kämpfen gelohnt: „Der glücklichste Tag“ läuft sechs Jahre nach „Taulukauppiaat“ nicht nur in Cannes – er gewinnt dort auch die Sektion „Un Certain Regard“.
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