Spielfilm „Janet Planet“ auf Berlinale: Aus dem Orbit der Mutter

Annie Bakers atmosphärisches Debüt ist ein kleines Filmjuwel. Er folgt der Selbstsuche einer Mutter und den Observationen ihrer Tochter.

mutter und tochter aus dem Berlinale-Film Janet Planet

Nicht besonders süß und vor allem etwas seltsam ist die 11-jährige Lacey (rechts) Foto: A24

Zuletzt gibt es sie immer öfter: Filme, die mit besonderer Behutsamkeit die Perspektive junger Mädchen auf die Welt in den Fokus rücken. Das sanfte Debüt des irischen Filmemachers Colm Bairéad, „The Quiet Girl“, fällt etwa in diese Kategorie. Ebenso Charlotte Wells nostalgischer „Aftersun“, der durch den Schleier von Urlaubserinnerungen auf eine liebevolle, aber von stiller Schwere geprägte Vater-Tochter-Beziehung blickt. Im Wettbewerb der Berlinale vergangenen Jahres fanden sich mit dem Sterbedrama „Tótem“ und „20.000 Arten von Bienen“ um ein trans* Mädchen, das ihre geschlechtliche Identität auslotet, gleich zwei weitere Beispiele.

In der „Panorama“-Sektion schließt die vor allem in Theatersphären bekannte Annie Baker dieses Jahr eine Lücke, die diese neuerlichen filmischen Annäherungen an kindlich-weibliche Lebenswelten bislang ließen. Ihr Spielfilmdebüt ergänzt den Reigen um den Typus eines jungen Mädchens, das gerade nicht durch ihr Charisma oder ihren Charme begeistert und weder sonderlich süß noch auffallend schön ist. Die 11- jährige Lacey (eine echte Entdeckung: Zoe Ziegler), meist in übergroße Klamotten gekleidet, ist smart und auch etwas seltsam, was sie an der Schwelle zur Pubertät zur Eigenbrötlerin macht.

Wie diese Sonderbarkeit zum Ausdruck kommt, zeigt gleich die nächtliche Auftaktsequenz: In einer langen Einstellung streift die Protagonistin über einen dunklen Hügel, hinein in eine kleine Hütte, wo sie zum Hörer eines Münztelefons greift. „Ich werde mich umbringen,“ verkündet sie stoisch, und fügt hinzu: „Wenn du mich hier nicht rausholst!“ Erst nach dem Schnitt wird klar, dass Lacey schlicht aus dem Sommercamp abgeholt werden wollte, was ihre Mutter Janet auch tut. Janet (Julianne Nicholson), die gelassen auf sie wartet, dürfte über die Übertreibungen ihrer Tochter schon Bescheid wissen.

Dass Lacey hingegen keine Ahnung davon hat, dass sie bei Gleichaltrigen Anklang finden könnte, würde sie sich nicht die meiste Zeit über in ihren eigenen Gedanken aufhalten, beweist ihre erstaunte Reaktion auf die liebevolle Verabschiedung durch zwei Zimmergenossinnen. Die Reue über ihren vorschnellen Schluss ist umso größer, als sie Wayne (Will Patton), den grummeligen Freund ihrer Mutter, im Auto erblickt. Auch das kennt Janet schon: Die Anhänglichkeit ihrer Tochter und ihre Versuche, die Mutter ganz für sich alleine zu haben.

Genaue Alltagsbeobachtungen, schwüle Tage, dichte Atmosphäre

16.02., 15:30 Zoo Palast

17.02., 12:00 Haus der Berliner Festspiele

18.02., 18:45 Cubix

19.02., 18:30 Colosseum

22.02., 16:00 Cineplex Titania

25.02., 16:30 International

Damit ist der Rahmen für ein Drama, das gänzlich ohne dramatische Wendungen auskommt und stattdessen durch genaue Alltagsbeobachtungen und eine dichte Atmosphäre erzählt, gesetzt. Durch stille Vignetten schwüler Tage im Sommer 1991, irgendwo im ländlichen Massachusetts, schaut „Janet Planet“ auf diese eigentümliche Mutter-Tochter-Beziehung, das Augenmerk im Besonderen auf Lacey gerichtet. Genauer: Darauf, wie das Mädchen ihr besonderes Augenmerk auf die Menschen und Beziehungen um sie herum richtet, bisweilen anprobiert, was sie dabei beo­bachtet – und wieder abstreift.

Gegenstand der Observationen, die sie zwischen Pianostunden und dem Spielen mit ihrem Puppenschrein anstellt, sind die drei Personen, die Janet nacheinander in ihren Orbit lässt: Auf Wayne, der sich bald durch sein herrisches Auftreten disqualifiziert, folgt Regina (Sophie Okonedo). Die alte Freundin der Mutter, die wie sie in allem Esoterischen nach einem höheren Sinn sucht, will sich von der örtlichen „New Age“-Gemeinde und dessen Kopf, ihrem Ex Avi (Elias Koteas), lösen und zieht kurzerhand zu ihnen ins heimelige Holzhaus. Ehe es natürlich exakt dieser Avi ist, dem sich Janet als Nächstes annähert.

Wie in einem alchemistischen Prozess scheint sich Lacey darüber allmählich von ihrer Mutter zu lösen. Vorangetrieben durch den Anblick der Tränen, die Janet während eines ausgedehnten Gesprächs mit Regina vergießt, und sich eingesteht, dass sie stets auf Validierung durch ihre Mitmenschen aus ist. Aber auch durch ihre eigenen, wortkargen Dialoge mit ihr, in denen Lacey geplant wirkende Spitzen setzt, die eine Reaktion der Mutter heraufbeschwören sollen. Etwa wenn sie davon spricht, dass jeder wache Moment die Hölle sei, und die Mutter dazu bringt, von ihrem eigenen Unglück zu sprechen.

Außenseiterin wird ihren Weg finden

Annie Baker, die für ihr Theaterstück „The Flick“ mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde, vereindeutigt in ihrem reizvoll vielsinnigen Debüt nichts davon. Während der sorgsam komponierten Kameraeinstellungen von Maria von Hausswolff, die das junge Mädchen immer wieder nachdenkend am Bildrand zeigen, kann man sich aber meist eine Vorstellung von dem machen, was in Lacey arbeitet. „Janet Planet“ und die in sich gekehrte Stimmung dieses kleinen Filmjuwels wirken durch sie umso länger nach.

Einzig die letzte Szene wird in ihrer Lesart, dass sie es anders machen will als ihre Mutter, sehr deutlich: Nach einem kurzen Zeitsprung ist Janet bei einem Tanzabend zu sehen, über das ganze Gesicht strahlend, als sie von einem Partner zum nächsten wechselt. Ihre Tochter sitzt am Rand. Als sie gefragt wird, ob sie nicht mitmachen wolle, verneint sie – und lächelt dabei. Diese Außenseiterin wird ihren Weg finden.

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