Spielerstreik beim 1. FSV Mainz 05: Weniger Anstand, bitte!
Die streikenden Fußballprofis in Mainz werden sofort zu Verlierern abgestempelt. Dabei könnte die Aktion der Aufbruch für eine tolle Saison werden.
E s schlägt die Stunde für die Freunde der Benimmfragen. Der Trainingsstreik des Profiteams vom Fußball-Bundesligisten 1. FSV Mainz 05 wirft jede Mengen Fragen auf. Aber am meisten ist dieses unterschwellige Entsetzen über den Tabubruch zu spüren: Kinder, so etwas macht man doch nicht. Sport-Vorstand Rouven Schröder traute sich bei seinen ersten Sätzen, die er wie unter Schock ins Mikrofon sprach, nicht einmal den Tatbestand „Streik“ beim Namen zu nennen: „Es ist gestern was passiert, was für uns alle, die Fußball lieben, eine sehr unangenehme Situation ist.“
Mahnend hatte schon vor zehn Jahren der damalige Vorstandsvorsitzende der Deutschen Knigge Gesellschaft über den Profifußball festgestellt: „Es ist ein Verlust an Disziplin und Verantwortung zu beklagen.“ Vereine wie der Schweizer Erstligist FC Thun schickten ihre Spieler in einen Benimmkurs. Sie lernten: Nicht auf den Rasen spucken, nicht fluchen, Hände weg von den Hosensäcken. Und ganz wichtig: wie begegne ich meinem Vorgesetzten. In neueren Versionen des Fußball-Knigge sollte zudem festgehalten werden, vom Verzehr von mit Blattgold überzogenen Steaks ist ebenso strikt abzuraten ist wie von Protz-Posts auf Social Media, die den eigenen Reichtum ins Bild setzen.
Am schlimmsten aber ist, wenn sich Fußballmillionäre das nirgendwo festgeschriebene Recht auf Streik herausnehmen. Wer erinnerst sich nicht an die Staatsaffäre, als die französischen Nationalspieler während der WM 2010 das Training bestreikten, weil ihr Teamkamerad Nicolas Anelka wegen Undiszipliniertheiten aus der Mannschaft ausgeschlossen wurde. Der damalige französische Präsident Nicolas Sarkozy rechtfertigte seine Einmischung mit dem lädierten Image der Nation: „Wenn die ganze Welt sich über uns lustig macht, dann ist das ein politisches Problem“
In Mainz ist nun formal gesehen am Mittwoch auch so „was passiert“. Das Team streikte, weil ihr Mitspieler Ádám Szalai vom Trainingsbetrieb ausgeschlossen wurde. Und wieder steht die Frage des Imageschadens im Vordergrund. Nur Verlierer gebe es in dieser Angelegenheit, bilanzierten die ersten Kommentatoren.
Erklärung für Naivlinge
Den bösen Verdacht, es ginge letztlich darum, Szalai als Kopf einer Bewegung abzustrafen, versuchte der Verein zu zerstreuen. Es ginge in diesem Fall nicht um die Rückzahlung coronabedingt einbehaltener Gelder an die Spieler, sondern nur um eine sportliche Entscheidung. Der 32-jährige Szalai genüge nicht mehr den Anforderungen des Trainerteams rund um Achim Beierlorzer. Jüngere sollten eine Chance erhalten.
Die Spieler streiken also geschlossen gegen eine einzelne sportliche Entscheidung ihres Trainers? Das wäre zwar wirklich ein Fall für den Knigge, aber naiv ist, wer das in einem auf Verdrängung ausgelegten Wettbewerb glauben mag. Vielmehr muss in Betracht gezogen werden, dass massives Fehlverhalten von Beierlorzer und der Vereinsführung zu dieser ungewöhnlichen Radikalisierung des Teams und zum Streik geführt hat.
Die Maßnahme kann durchaus legitim sein. Arbeitnehmerrechte sollten nicht an Gehaltsklassen gekoppelt werden. Ohne Wissen, was hier genau gespielt wird, kann niemand vorab zum Verlierer abgestempelt werden. Es ist noch zu klären, wer sich denn „nicht richtig benommen hat“.
Sollte das Mainzer Team gute Gründe für sein Verhalten haben, könnte die Geschlossenheit noch ein wertvolles Pfund in dieser Saison werden. Dass Beierlorzer davon profitiert, ist allerdings seit Mittwoch recht unwahrscheinlich geworden. Mit der Erzählung, es handle sich um einen Protest der Spieler gegen die sportliche Entscheidung des Trainers, ist dieser nun auch von der Vereinsführung demontiert worden.
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