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Am Wochenende hat das Berliner Sage-Restaurant zu Spenden aufgerufen, jetzt stapeln sich die Kisten Foto: Christian Mang

Spenden für Geflüchtete aus der UkraineKistenweise Solidarität

Im Berliner Sage-Restaurant stapeln sich die Hilfsgüter für Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine fliehen. Ein Besuch zwischen Kisten und Tüten.

Dinah Riese
Michael Bartsch
Von Dinah Riese und Michael Bartsch aus Berlin/dresden

E ine junge Frau schiebt am Montagvormittag ihren Kinderwagen über die Straße, in Richtung des Sage-Restaurants in Berlin. Ihr fünf Monate altes Kind trägt sie vor ihrem Oberkörper – denn der Kinderwagen ist voll bepackt mit Windelpaketen und Plastiktüten, aus denen verschiedene Schachteln und Verpackungen ragen. Eine Tüte ist mit einem Kreppband beklebt, auf dem „Medikamente“ steht. „Paracetamol, Wunddesinfektion, Erkältungsmittel für Kinder“, zählt die Frau auf.

All diese Dinge will sie spenden, um Menschen zu helfen, die vor dem russischen Angriff auf die Ukraine flüchten. „Damit ich wenigstens irgendetwas tun kann“, sagt sie und reiht sich in eine Schlange im Innenhof ein. Das Sage-Restaurant ist einer von vielen Orten deutschlandweit, an dem Ehrenamtliche dieser Tage Spenden sammeln.

Mehrere Menschen warten darauf, ihre Taschen oder den Inhalt ihrer Rucksäcke abzugeben. Autos blockieren sich gegenseitig auf dem Parkplatz. „Keine Klamotten mehr“, ruft ein Mann den Leuten zu. Eine Frau wickelt Klebeband um einen Karton, auf den jemand mit Edding auf Englisch „Babynahrung und Süßigkeiten“ geschrieben hat. Überall wuseln He­fe­r:in­nen herum, schleppen Kartons und Tüten, kleben, stapeln, packen.

Rund eine Woche nach Beginn der Kämpfe sind dem UNHCR zufolge bereits 870.000 Menschen aus der Ukraine geflohen, fast eine halbe Million davon ins Nachbarland Polen. Die deutsche Innenministerin spricht am Dienstagabend von rund 5.000 Menschen, die bislang in Deutschland registriert worden seien.

Die tatsächliche Zahl der Angekommenen dürfte weitaus höher liegen, da Ukrai­ne­r:in­nen ohne Visum für bis zu 90 Tage in die EU einreisen können und viele Menschen den direkten Weg zu Familie oder Freun­d:in­nen gesucht haben dürften. Doch noch immer versuchen Zigtausende, die Grenzen zu passieren. Am Donnerstag wird die EU voraussichtlich entscheiden, diesen Menschen auch ohne Asylverfahren Schutz zu bieten.

In Berlin schlängelt Karina Nawrat sich mit einem Stoffbeutel im Arm durch das Innere des Sage-Restaurants. „Hier kommen Nudeln“, ruft die 31-jährige. Die Tische, an denen normalerweise bis zu 120 Gäste Avocado-Quinoa-Salat, Röstpolenta oder Ochsenbäckchen verspeisen, sind kaum zu sehen – so hoch stapeln sich die Hilfsgüter.

Unter anderem auf Nawrats Initiative hin hatte das Sage, zu dem neben dem Restaurant auch ein Nachtclub und eine Strandbar gehören, am Wochenende über die sozialen Medien zu der Spendenaktion aufgerufen. „Nach dem Schock der ersten Tage dachte ich: Wir müssen irgendwas machen“, sagt sie und stützt sich mit dem Ellbogen auf eine Tischecke, die gerade noch so unter einem Karton voll Papiertaschentüchern hervorragt.

Ihr Chef und ihr Team waren sofort dabei. Es ist nicht das erste Mal, dass das Sage sich engagiert: Schon seit 2020 kocht die Gruppe Food for Homeless täglich in der Küche des Restaurants, um obdachlose Menschen in der Coronapandemie mit Essen zu versorgen. Eigentlich hätte nach einer coronabedingten Pause der normale Restaurantbetrieb im März wieder starten sollen. „Jetzt machen wir stattdessen das hier“, sagt eine Mitarbeiterin und zeigt mit dem Arm auf die gestapelten Kisten im Raum.

Zwischen 20 und 30 Freiwillige helfen im Sage beim Sortieren und Packen Foto: Christian Mang

Vor dem Gebäude stehen zwei weiße Transporter: „Die fahren nach Kiew“, sagt Nawrat. Andere Stationen für die Spenden sind die polnische Hauptstadt Warschau und der Grenzort Przemyśl sowie das ukrainische Lwiw. Ihre Mutter lebe in Warschau und sei dort in einer Hilfsorganisation aktiv, die schon Geflüchtete aus Belarus unterstützt habe, sagt Nawrat. Das habe enorm geholfen, Kontakte herzustellen und zu koordinieren, was wo gebraucht werde.

Tatsächlich berichten Hilfsorganisationen vor Ort mitunter, sie hätten schon zu viele Sachspenden. „Wir fahren nicht einfach mit Zeug los, sondern fragen, was die Leute vor Ort brauchen und wo wir es hinbringen sollen“, sagt Nawrat. Kleidung zum Beispiel werde an der Grenze nicht benötigt. „Die bringen wir nach Warschau, wo sie an die Leute verteilt werden kann, wenn sie einmal angekommen sind.“

Da ukrainische Männer zwischen 18 und 60 Jahren das Land derzeit nicht verlassen dürfen, sind es vor allem Frauen und Kinder, die versuchen, über die Grenze zu fliehen, und teils stundenlang in der Kälte warten müssen. Entsprechend aufgestellt ist die Liste mit Dingen, um die das Sage bittet: Damen- und Babyhygieneprodukte. Medikamente, auch für Kinder. Spielzeug. Warme Kinderkleidung und haltbare Lebensmittel. Erste-Hilfe-Sets, Ladegeräte, Batterien.

Ein Unternehmen aus Dresden liefert hingegen ganze Notstromaggregate in die Westukraine, weil die russische Armee auch zivile kommunale Infrastruktur zerstört. Es bittet jedoch darum, weder seinen Namen noch Einzelheiten des Hilfstransports zu nennen, um die Aktion nicht zu gefährden. Nur so viel: Die ersten drei Generatoren sollen in diesen Tagen auf die Reise gehen.

Die Dresdner Hilfsorganisation Arche Nova wiederum sammelt Geld statt Sachspenden. Bür­ge­r:in­nen böten sie an, aber die Güter seien schlichtweg nicht mehr zu transportieren, erklärt Geschäftsführer Mathias Anderson. Schon gar nicht in die Ostukraine, in den Raum Donezk und Luhansk, wo Arche Nova einen Ableger ehemaliger Mit­ar­bei­te­r:in­nen hat. Die haben in Erwartung des russischen Überfalls bereits Hilfsgüter eingelagert.

Nun haben sie den Bedarf nochmals überprüft und eine Wunschliste übermittelt. Die Hilfen sind für Menschen gedacht, die nicht fliehen können: Heimbewohner:innen, Alte, Kranke. Rund 32.000 Euro sind als erste Überweisung vorgesehen.

Batterien oder Ladegeräte sind Artikel, die in der Ukraine besonders gebraucht werden Foto: Christian Mang

Überall in Deutschland zeigt sich: Die Spendenbereitschaft der Menschen ist enorm hoch. Diese Erfahrung macht auch Nawrat im Berliner Sage-Restaurant. Eigentlich sei der Plan gewesen, mit einem Transporter loszufahren. „Inzwischen sind wir bei fünf Fahrzeugen.“ Zwischen 20 und 30 Leute sind von 11 bis 21 Uhr damit beschäftigt, die Sachen zu sortieren und zu verpacken. „Viele kenne ich gar nicht“, sagt Nawrat: „Die kamen, um zu spenden, und sind dann zum Helfen geblieben.“

Ob sie vor lauter Spenden schon den Überblick verloren hätten? Irgendwie schon, sagt Nawrat. Dann lacht sie, schaut sich im Raum um. „Wer normalerweise das Nachtleben organisiert, kann Chaos. Wir stemmen Events mit 1.000 Gästen. Im Vergleich dazu ist das hier immer noch ziemlich überschaubar.“

Zu viele Spenden seien es aber nicht: „Selbst wenn wir Tausende Windeln bringen: Die werden schnell aufgebraucht sein. Und außerdem fängt die Not ja gerade erst an.“ Jetzt sei die Spendenbereitschaft hoch. „Aber danach kommt das monatelange Elend, wenn die Menschen in Warschau, Berlin oder anderswo angekommen sind, ohne Job, traumatisiert. Die werden noch lange Hilfe brauchen.“ Auch Arche-Nova-Geschäftsführer Anderson rechnet mit einer lange andauernden Notwendigkeit internationaler Hilfen für die Ukraine.

Deutschlandweit sammeln Hilfsorganisationen Kleider, Lebensmittel oder Geld für Menschen in der Ukraine oder auf der Flucht (siehe Kasten). Auch die jüdischen Gemeinden in Deutschland. Man wolle der jüdischen Gemeinschaft in der Ukraine „zur Seite stehen“, heißt es in einer Presseerklärung der Zentralwohlfartsstelle der Juden in Deutschland (ZWST).Schon seit Mitte Januar sei man gemeinsam mit IsraAid Germany in der Ostukraine und in Kiew aktiv, um die dortigen jüdischen Gemeinden zu unterstützen, oftmals handele es sich um Binnenvertriebene aus dem Donbass.

Für viele Jüdinnen und Juden in Deutschland ist der Krieg in der Ukraine besonders nah – 90 Prozent von ihnen haben ihre Wurzeln in der ehemaligen Sowjetunion, fast die Hälfte in der Ukraine. Viele haben Familie und Freun­d:in­nen dort, wo jetzt Raketen niedergehen.

Für manche Menschen ist die Flucht noch schwieriger als für andere. Immer wieder kursieren Berichte, dass Drittstaatsangehörige Probleme haben, das Land zu verlassen. Besonders Studierende aus verschiedenen afrikanischen Staaten berichten von massivem Rassismus. „Uns erreichen herzzerreißende Berichte von schweren Menschenrechtsverletzungen, von anti-Schwarzem Rassismus und von Diskriminierung“, sagt Amal Abbass von der Schwarzen Community-Organisation Each One Teach One (EOTO) in Berlin.

Deswegen hätten sich rund 30 Organisationen aus ganz Deutschland zu einem Bündnis zusammengeschlossen, um diese Menschen ganz gezielt zu unterstützen. Das Bündnis leistet Nothilfe in Deutschland und vor Ort und sammelt Geld sowie Sachspenden wie SIM-Karten und Powerbanks. Außerdem seien schon seit dem Wochenende Personen vor Ort, um juristische Hilfe zu leisten.

Offenbar lassen ukrainische Grenzbeamte Aus­län­de­r:in­nen an einigen Grenzübergängen trotz der Aufnahmezusage aus der EU nicht oder nur sehr begrenzt passieren. „Während die ersten schon in Berlin angekommen sind, hören wir immer noch Berichte von Menschen, die sich in extremen Notsituationen an der Grenze befinden“, sagt Abbass.

Der frühere Bürgermeister von Tröglitz, Markus Nierth, setzte sich deshalb am Sonntag selbst ins Auto und fuhr die 1.100 Kilometer bis in die Westukraine. Zurück kehrte er mit einer vierköpfigen Familie samt vier Monate altem Baby und Großmutter, die die Nierths nun bei sich aufnehmen. „Wir haben Platz und fühlen uns reich.“

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