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Spardebatte in BerlinDemokratie leider zu teuer

Die Jugendbildungsstätten würden gern alle Schü­le­r*in­nen erreichen. Im vergangenen Jahr hatten sie aufgestockt, jetzt müssen sie nun wieder kürzen.

Viele Dinge – so wie hier eine Murmel rollen lassen – gehen nur gemeinsam. Junge Menschen lernen das in der politischen Bildung Foto: ljr berlin
Uta Schleiermacher

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Uta Schleiermacher aus Berlin

taz | Was Demokratie ist, das lernen Kinder und Jugendliche im gemeinsamen Austausch. Und an konkreten Orten, etwa in Jugendbildungsstätten. Das sind Häuser, in denen Jugendliche auch übernachten und wo sie sich fernab von Schule und angeleitet von jungen Grup­pen­lei­te­r*in­nen mit selbst gewählten Themen auseinandersetzen. Jugendbildungsstätten bereiten auf die Berufswahl vor, organisieren internationalen Jugendaustausch sowie gemeinsame Sport- und Freizeitangebote.

Ihr Auftrag ist umfassend: Sie sollen junge Menschen in ihrer „Urteilsbildung über gesellschaftliche und politische Vorgänge und Konflikte“ unterstützen. Und sie sollen „Kenntnisse über Gesellschaft und Staat, europäische und internationale Politik“ vermitteln und Wissen über „politisch, kulturell, technisch und sozial bedeutsame Entwicklungen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens“. So steht es in der entsprechenden Förderrichtlinie.

Jede Schülerin und jeder Schüler in Berlin sollte wenigstens einmal eine der hiesigen Jugendbildungsstätten besucht haben, das ist deren langjährige Forderung. Die Einrichtungen sind ein eigenständiger Teil des Berliner Bildungswesens, die Bildungsverwaltung ist gesetzlich dazu verpflichtet, sie zu fördern. Die Arbeit der Jugendbildungsstätten ist bedeutsam angesichts der immer wieder vorgebrachten Forderung, dass Kinder mehr Demokratiebildung erhalten sollten. Diese kommt zuverlässig, wenn es um Rechtsruck, Jugendgewalt oder Politikverdrossenheit geht. Doch ein Großteil der Berliner Schü­le­r*in­nen kommt nie in eine der Einrichtungen, darunter die alte Feuerwache in der Kaubstraße, Haus Kreisau oder das Haus der Sportjugend.

Die Bildungsstätten haben es ausgerechnet: Es bräuchte Mittel und Ressourcen für 160.000 Programmtage, damit wirklich alle Kinder und Jugendliche zwischen 12 und 21 Jahren zumindest einmal in ihrer Schullaufbahn an einem 5-Tages-Workshop teilnehmen können. „Tatsächlich konnten 2024 alle sieben Einrichtungen 36.990 Programmtage anbieten“, sagt Roman Fröhlich. Er ist pädagogischer Leiter beim Wannsee Forum, Berlins ältester Jugendbildungsstätte. Sie hätten damit etwa 23 Prozent der anvisierten Altersgruppe erreicht, sagt er. Vorher, mit deutlich weniger Geld und weniger Tagen, seien es sogar nur 18 Prozent der Schü­le­r*in­nen gewesen.

Die Haushaltsdebatte

1. Lesung Der Haushaltsentwurf des Senats geht aktuell in die erste Lesung in die Fachausschüsse. Abgeordnete können im Ausschuss Fragen stellen und Änderungen an einzelnen Punkten beantragen. Diesen Donnerstag tagt von 14 bis 20 Uhr der Bildungsausschuss im Abgeordnetenhaus.

Protest Dort will die Landesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (LKJ) gemeinsam mit Trägern der kulturellen Kinder- und Jugendbildung, der queeren Jugendarbeit und der Jugendbildungsstätten von 12 bis 14 Uhr ihrem Unmut Luft machen und gegen die Kürzungen protestieren. (usch)

Eine Million wieder weg

„Wir hatten 2024 ein gutes Jahr“, sagt Fröhlich. „Die Politik hatte gerade ihre Förderung deutlich erhöht.“ Doch davon sei ihnen im laufenden Jahr bereits eine Million wieder gestrichen worden. Und für 2026 sei schon angekündigt, dass sie noch mal 500.000 Euro weniger bekommen. Damit könnten sie im kommenden Jahr 27.850 Programmtage umsetzen.

„Das geht jetzt wieder in die komplett andere Richtung. Und von überall wird uns signalisiert, dass ein Ende der Kürzungen noch nicht erreicht ist“, sagt Fröhlich. Dabei seien die Angebote schon jetzt nicht voll finanziert. So müssten sie teils bei ihren Angeboten kürzen, um Tarifsteigerungen bei den Löhnen umzusetzen. „Unseren Auftrag können wir so kaum erfüllen“, sagt er.

Was den Jugendbildungsstätten widerfährt, ist ein Symptom für die verheerende Kürzungspolitik des Senats im Bildungsbereich. Insbesondere in der politischen, kulturellen und queeren Bildung, bei Medienbildung und außerschulischen Angeboten sollen Millionenbeträge wegfallen.

Freie Träger und Initiativen protestieren seit Monaten dagegen. Sie monieren, dass im Vorfeld kein Dialog stattgefunden habe. Ihr Problem ist auch, dass noch immer intransparent ist, wo am Ende überhaupt Mittel wegfallen. Denn wie Ende August bekannt wurde, listet die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie im Entwurf zu ihrem Teilhaushalt nur noch Budgets auf, sogenannte Thementöpfe. Damit ist völlig unklar, welche konkreten Träger am Ende wie viel Geld bekommen werden und welche Träger und Projekte vielleicht ganz herausfallen.

Grüne laden zum Krisengipfel

„Dieser Haushalt ist eine Absage an Kinder, Jugendliche und Familien“, sagt deshalb Louis Krüger, schulpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Gemeinsam mit seiner Parteikollegin, der Sprecherin für Jugendpolitik Klara Schedlich, hat er am Dienstagabend ins Abgeordnetenhaus zu einem „Krisengipfel Bildung“ geladen. Trägern und Initiativen wollen sie so die Möglichkeit geben, sich auszutauschen und den Abgeordneten ihre Fragen und Bedürfnisse mitzuteilen.

„Keine dieser Kürzungen müsste so in dieser Art erfolgen“, sagt Krüger. „Es wird an allem gespart, was Kindern und Jugendlichen Spaß macht“, fügt er an. Dabei sei es gerade nach den Jahren der Pandemie fatal, zu denken, es reiche aus, Kinder darauf vorzubereiten, in Schule und Arbeitswelt zu funktionieren.

Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Bettina Jarasch spricht von einem „Angriff auf die Zivilgesellschaft und die Demokratie“. Im Rekordhaushalt setze die schwarz-rote Koalition auf Repression statt Prävention, denn Geld für Videoüberwachung oder neue Polizeihelme sei da. „Die Kürzungen sind inhaltlich gewollt und eine absichtliche politische Weichenstellung“, heißt es von den Grünen. Eine solche Politik richte sich deutlich gegen eine kritische und unbequeme Zivilgesellschaft, die sich in Berlin solidarisch mit den Schwächeren und Ausgeschlossenen zeige.

Denn zur Wahrheit gehört auch, dass freie Träger schon längst wichtige und eigentlich staatliche Aufgaben übernehmen – etwa Demokratiebildung oder Arbeit gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Und diese Arbeit ist weit wirkungsvoller, wenn sie früh ansetzt und möglichst viele erreicht.

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