Spannungen in Nigeria: Der König brüllt
Der ethnische Spaltpilz geht um, 50 Jahre nach dem mörderischen Biafra-Krieg. Im multikulturellen Kaduna bereitet man sich vor.
Der König stammt eigentlich aus dem Bundesstaat Kwara, also aus Nigerias Süden. Doch in Nigeria ist es üblich, das die großen ethnischen Gruppen überall im Land Vertreter haben. Arigbabuwo ist vor mehr als 50 Jahren nach Kaduna gekommen und kann sich ein Leben anderswo nicht vorstellen.
Die nordnigerianische Millionenstadt mit dem gleichnamigen Bundesstaat, wo es in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder zu schweren politischen und religiösen Krisen gekommen ist, ist längst seine Heimat geworden. Wenn er darüber spricht, wird seine Stimme laut und durchdringend. „Wir leben hier alle noch immer friedlich zusammen“, brüllt Arigbabuwo.
Seit Monaten schaukelt sich in Nigeria die gegenseitige ethnische Provokation immer weiter hoch. Im Südosten des Landes fordert die Bewegung „Indigenous People of Biafra“ (Ipob), der überwiegend Angehörige des Igbo-Volkes angehören, den Südosten Nigerias zu einem eigenen Staat zu machen, so wie vor fünfzig Jahren.
Ipob-Anführer Nnamdi Kanu hetzt gegen die nigerianische Regierung, die seiner Ansicht nach vom Norden – dort sind die Haussa in der Mehrheit, die sich überwiegend zum Islam bekennen – dominiert wird: Präsident Muhammadu Buhari ist ein Nordnigerianer. Ipob gilt mittlerweile offiziell als Terrorgruppe, was Streit und Unruhe im Südosten sowie Hassbotschaften weiter anheizt.
Absolut ruhig ist es auch im Norden nicht. Schon im Juni hat dort eine Koalition militanter Haussa-Gruppen um das „Arewa Youth Consultative Forum“ alle Igbos aufgerufen, den Norden Nigerias bis zum Unabhängigkeitstag 1. Oktober zu verlassen, sonst werde man sie umbringen.
Die sogenannte „Quit Notice“ wird zwar kaum noch erwähnt, trotzdem bleibt ein ungutes Gefühl: mit solchen Drohungen begann 1967 die Biafra-Sezession und der nachfolgende Krieg zur Rückeroberung des abgespaltenen Landesteils, der drei Jahre dauerte und eine Million Tote forderte.
Frust überall
Frust gibt es nicht nur bei Biafra-Anhängern, auch in Kaduna, dem politischen Machtzentrum des Nordens. Wer Mohammed Arigbabuwos Wohnviertel in Richtung Hauptstraße verlässt, muss vorbei an großen grauen Ruinen. Hier standen einst erfolgreiche Textilunternehmen, die zehntausenden Menschen Arbeit brachten. Sie sind geschlossen, so wie die meisten Industriebetriebe.
Der Niedergang zahlreicher Wirtschaftsbranchen in Nigeria könnte zur Radikalisierung junger Menschen beigetragen haben.
Von einem großen Kreisverkehr führt eine kleine Straße auf das große Grundstück von Muhammad Ibrahim Gashash. Der wohlhabende Geschäftsmann hat in zahlreichen Konflikten vermittelt und verschiedene nichtstaatliche Organisationen aufgebaut. Im Fokus stand bisher das friedliche Zusammenleben von Christen und Muslimen, das in Kaduna arg gelitten hat. Jetzt kümmert sich Gashash um Igbos.
Nach einem langen Gespräch in seinem Arbeitszimmer geht er auf den Hof, versteckt hinter dem Haupthaus. In der Mitte bleibt er stehen und zeigt auf eine Tür. „Wir haben extra für Mitglieder der Igbo-Gemeinschaft ein Haus hergerichtet.“ Wer Angst hat, findet hier sicheren Unterschlupf.
Bisher sei das aber nicht notwendig geworden, beschwichtigt Gashash – und schüttelt gleichzeitig den Kopf über die Forderung nach einer erneuten Teilung Nigerias. Die Igbos sind nicht nur in Nigeria, sondern überall in Westafrika als Geschäftsleute bekannt. Auch in Kaduna dominieren sie den Handel.
Mit einer Spaltung, meint Gashash, würden sie sich vor allem selbst schaden.
Im Zentrum Kadunas wartet Dominic Eze Uzu. Als Treffpunkt hat er das Büro des regionalen Fußballverbands vorgeschlagen. Fließend wechselt er zwischen den Sprachen Haussa, Englisch und Igbo. „Ich stamme aus Enugu und bin Igbo“, stellt er sich vor. Heimat, also der Ort seiner Vorfahren, ist Kaduna für ihn nicht, wohl aber sein Zuhause, das er liebt und wo seine Kinder aufgewachsen sind.
Der Igbo-Journalist denkt gar nicht daran, den Norden zu verlassen. Er ärgert sich über die ethnische Agitation. Ignoriert werden dürfe sie aber nicht, warnt er und hofft, dass sie dazu führen könnte, zukunftsweisende Fragen zu diskutieren: „Sind wir bereit, ein geeintes Nigeria zu sein? Und wenn ja, behandeln wir dann auch alle Menschen gleich?“
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