Spaniens „Zimmermädchen“ wehren sich: Miese Jobs
Auch bekannt als „Las Kellys“ kämpft die Berufsvereinigung der Zimmermädchen gegen Auslagerungen und prekäre Arbeitsbedingungen.
Merche ist „Camarera de piso“, Zimmermädchen. Sie putzt Hotelzimmer, Flurs und Gemeinschaftsräume. „Ich weiß das so genau, weil die Nachricht vom Papst den ganzen Tag im Fernseher lief, als ich nach ein paar freien Tagen wieder zur Arbeit kam“, erzählt die Frau, die sich nicht fotografieren lässt und auch ihren Nachnamen nicht gedruckt sehen will. „Aus Angst vor Repressalien“, sagt sie. Denn Merche gehört zur Bewegung der Kellys, einem Zusammenschluss von Zimmermädchen, die gegen die ständige Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen im spanischen Hotelgewerbe Front macht.
An jenem 13. März, kaum auf der Arbeit angekommen, berichteten ihr die Kolleginnen ganz aufgeregt, dass die Geschäftsführung des 5-Sterne-Hotels im Zentrum der spanischen Hauptstadt eine Betriebsversammlung einberufen habe. „Wir wurden alle gekündigt“, erinnert sich Merche. Fortan wurden die Zimmer von einer externen Firma hergerichtet.
Wer auf einen Teil seiner gesetzlich verbrieften Abfindung verzichtete, wurde von der neuen Firma übernommen und putzte weiterhin dasselbe Hotel – zu viel schlechterem Lohn und zu miserablen Bedingungen. Merche lehnte ab, zog vors Arbeitsgericht und bekam zumindest die Abfindung in voller Höhe.
„Eine feste Anstellung in einem Hotel fand ich jedoch nie wieder“, sagt sie. Auch Merche arbeitet nun in einer dieser ausgelagerten Putzkolonnen. Seither reicht das Geld hinten und vorne nicht. Merches Mann arbeitet bei einem Wachdienst auf Abruf. Sie haben zwei Kinder, denen sie nach einer Berufsausbildung kein weiteres Studium finanzieren konnten. Die Familie wohnt in einer kleinen 3-Zimmer-Wohnung in einem der Arbeiterviertel Madrids. An Urlaub ist nicht zu denken. Jede noch so kleine unvorhergesehene Ausgabe sprengt die Haushaltskasse.
Immer nur bergab
„Anstatt aufwärts ging es mit uns in den letzten Jahren ständig bergab. Ich verdiene heute bei der externen Putzfirma so viel oder, besser gesagt, so wenig wie vor 19 Jahren, als ich im Hotelgewerbe anfing“, beschwert sich Merche.
Vor der Entlassung 2013 kam sie auf 1.200 Euro netto im Monat und bekam inklusive Weihnachts- und Urlaubsgeld 14 Monatslöhne ausgezahlt. Jetzt sind es nur noch um die 850 Euro pro Monat, und das ohne Sonderzahlungen. Aus 30 Tagen Urlaub plus 14 Tagen Feiertagsausgleich wurden 22 Tage pro Jahr.
Touristen 2017 war ein Rekordjahr für das spanische Hotel- und Gaststättengewerbe. 82 Millionen ausländische Besucher zählte Spanien, das sind nicht ganz doppelt so viele, wie das Land auf der Iberischen Halbinsel Einwohner hat. Gegenüber 2016 verzeichnet die Branche, die fast ausschließlich Sonne und Strand verkauft, ein Plus von 8,9 Prozent Besucher.
Umsatz Die Touristen ließen 2017 rund 87 Milliarden Euro im Land. Jeder Tourist gibt etwas mehr als 1.000 Euro in seinem Spanienurlaub aus. Das Land ist damit nach Frankreich und den USA das dritte Urlaubsland weltweit mit den höchsten Besucherzahlen. Hinsichtlich der Einnahmen aus Tourismus liegt das Land auf der Iberischen Halbinsel sogar auf Platz 2 gleich hinter den Vereinigten Staaten.
Wirtschaft In nur zehn Jahren stieg die Zahl der ausländischen Touristen in Spanien um knapp 40 Prozent. Der Tourismus ist mit 11 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) Spaniens wichtigste „Industrie“, gefolgt von der Automobilbranche mit knapp 10 Prozent des BIP.
Urlaubsziele Das beliebteste Ziel war 2017 trotz Unabhängigkeitsbewegung und trotz der Anschläge in Barcelona und Cambrils die nordostspanische Region Katalonien mit 18,2 Millionen Besuchern, gefolgt von den Balearischen Inseln mit 13,7 Millionen und den Kanaren mit 12,9 Millionen Urlaubern.
Herkunft 18 Millionen BesucherInnen stammen aus Großbritannien, 11,4 Millionen aus Deutschland und 10,7 Millionen aus Frankreich.
Putzen Merche und Kolleginnen Gemeinschaftsbereiche, erhalten sie 5,77 Euro die Stunde. Putzen sie Zimmer, geht das im Akkord, 2,30 Euro pro Zimmer, egal ob Einzel-, Doppel- oder Dreibettzimmer. Und wenn das Hotel schlecht belegt ist, erhält sie auch schon mal einen Anruf, dass es keine Arbeit gebe.
„Die Zimmer kosten pro Nacht je nach Größe und Saison 90 bis 250 Euro. Da siehst du mal, was die auf unserem Rücken verdienen“, schimpft Merche. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Merche nimmt ständig entzündungshemmende Tabletten. Ihr Rücken schmerzt, sie hat es an den Bandscheiben, die Sehnen an den Handgelenken tun weh, der Ischiasnerv meldet sich regelmäßig. „Ich habe von allem etwas, aber ich ignoriere es, soweit es geht“, eine Krankschreibung kann sie sich einfach nicht leisten. Denn ein Krankheitstag wird nur mit 26 Euro vergolten. Früher im Hotel bekam sie den normalen Tageslohn.
„Ende 2012 und 2013 kam im Hotelgewerbe eine Massenentlassung nach der anderen“, erinnert sich Angela Muñoz, eine der Gründerinnen der Kellys, nur zu gut. Der Grund: Die konservative Regierung unter Mariano Rajoy hatte das Arbeitsrecht reformiert. Für Massenentlassungen war es nicht mehr nötig, eine Reihe von verlustreichen Monaten vorzuweisen, es genügte die Vorhersage schlechter wirtschaftlicher Zeiten für das Unternehmen.
Umgehung des Branchentarifvertrags
„Externalización“ – wie der neudeutsche Begriff Outsourcing auf Spanisch heißt – ist seither die Regel. Die Hotelketten, die nach wie vor mit einer eigenen Belegschaft arbeiten, lassen sich an weniger als einer Hand abzählen. „Die ausgelagerten Unternehmen richten sich nach eigenen Haustarifverträgen anstatt nach dem Branchentarifvertrag der Hotels“, sagt die 55-jährige Muñoz. Auch das ist Folge der Arbeitsmarktreform und der eigentliche Grund für die Auslagerung.
Zuerst organisierten sich die Kellys lose auf einer Seite in einem sozialen Netzwerk, tauschten Erfahrungen aus und diskutierten über mögliche Forderungen, um ihrer Situation zu verbessern. Dann – im März 2016 – wurde daraus eine Vereinigung. „Das Treffen mit Vertreterinnen aus ganz Spanien war bei mir zu Hause“, berichtet Muñoz stolz.
Der Name Kellys war nicht die Idee der Frauen. Sie nannten sich „Las que limpian“ – „Die, die putzen“. „Damit werdet ihr in den Netzwerken keinen Erfolg haben“, erklärte ihnen die Tochter einer der Gründerinnen im Teenageralter. So kamen sie darauf, aus „Las que limpian“ – „Las Kellys“ zu machen.
Der Name hat sich mittlerweile so eingebürgert, dass viele in Spanien das Wort als Synonym für Zimmermädchen benutzen. Von über 100.000 Zimmermädchen in ganz Spanien gehören mittlerweile 2.000 der unabhängigen Berufsvereinigung an.
Die Wohnung von Muñoz in einem Vorort von Madrid, in der die Versammlung stattfand, zeugt von besseren Zeiten. Sie ist nicht gerade klein, sie ist hell und hat eine Dachterrasse. Muñoz arbeitet seit 1999 im Hotelgewerbe, zuerst als Zimmermädchen und dann als Hausdame, die die Schichten einteilt und organisiert. Bis 2012, da wurde auch sie entlassen und ihr Job wurde ausgelagert. Jetzt arbeitet die geschiedene Mutter zweier Söhne in einer dieser neuen Servicefirmen und verdient rund ein Drittel weniger.
Muñoz ist unermüdlich, wenn es um die Anliegen der Zimmermädchen geht. Sie tritt bei Fernsehtalkshows auf, steht im ständigen Kontakt mit Abgeordneten im spanischen Parlament und wurde selbst schon vom mittlerweile abgewählten konservativen Regierungschef Rajoy empfangen. Schließlich geht es nicht um irgendeine Branche. Das Hotel- und Gaststättengewerbe ist wichtig für Spaniens Wirtschaft. Allein 2017 nahm das Land mit seinen 46,5 Millionen Einwohnern 82 Millionen Touristen auf – Tendenz seit Jahren steigend.
In den Hotelalltag eingebunden
Bei ihren Auftritten fordert Muñoz immer wieder, dass auch auf die ausgelagerten Arbeitskräfte der Branchentarifvertrag angewendet wird und dass bei Auslagerungen alle Arbeitskräfte zu denselben Bedingungen wie zuvor übernommen werden müssen, wie dies in anderen Bereichen, etwa im öffentlichen Dienst, üblich ist. Ihre Begründung: „Reinigung und Instandhaltung sind strukturelle Bereiche des Hotelgewerbes. Ein Hotel verkauft doch nichts anderes als saubere, ordentliche Zimmer. Die Zimmermädchen sind bei einem eigenen Unternehmen angestellt, aber in den Hotelalltag eingebunden, als wäre sie hauseigenes Personal“, beschwert sich Muñoz. Ein Blick auf den Arbeitsalltag zeigt, was sie meint.
Die Hotelbesitzer kontrollieren alles, trotz Auslagerung. Das geht so weit, dass manche sogar das Personal, das ihnen geschickt wird, selbst aussuchen. Dania García weiß dies nur zu gut. Die 26-jährige Frau arbeitet als Zimmermädchen in einer der Servicefirmen. Sie stammt aus der Dominikanischen Republik und ist schwarz. „Ich hatte nie Probleme auf der Arbeit, bis sie mich eines Tages in ein Aparthotel im Norden Madrids schickten.“ Nach wenigen Tagen bekam sie zufällig mit, wie ihre Vorgesetzte mit dem Besitzer telefonierte. „Es ging darum, dass ich wegen meiner Hautfarbe nicht bleiben könne“, berichtet García.
„Du musst verstehen, er hat eben seine Vorlieben“, erklärte ihr die Hausdame, warum sie nicht mehr kommen solle. Dania protestierte, machte das, was ihr passierte, auf den Seiten bekannter Politiker in den sozialen Netzwerken öffentlich und wandte sich schließlich an die Kellys und an SOS Rassismus. Mehrere Tage stellte sie sich mit einem Pappschild vor das Hotel und klagte das an, was ihr passiert war. Dann ließ sie es, aus Angst zu bekannt zu werden und keinen Job mehr zu finden. Jetzt hat sie einen Anwalt. Was sie genau unternehmen will, weiß sie auch nicht. „Es geht mir nicht um eine Abfindung oder sonst was. Ich will einfach meine Ehre verteidigen“, sagt sie nur.
„Wir sind völlig eingebunden“, erklärt auch Pili. Die 56-Jährige ist Hausdame in einem der größten Serviceunternehmen. „Ich muss je Buchungslage Personal anfordern oder nach Hause schicken“, sagt Pili, die ihren Nachnamen nicht öffentlich machen will. „Die Hotelbesitzer dulden keinerlei Widerspruch“, weiß Pili nur zu gut. „Ich wurde dazu angehalten, kranke Zimmermädchen zu melden und zu entlassen“, berichtet sie. Als sie sich weigerte, flog sie selbst aus dem Job.
Neuer Streit
Das war vor zwei Jahren, jetzt arbeitet sie erneut in einem anderen Serviceunternehmen. Neuer Streit zeichnet sich bereits ab. Denn das Hotel will, dass die Zimmermädchen zahlen, wenn ihnen etwas kaputtgeht, zum Beispiel ein Parfüm oder eine Vase auf den Boden fällt. „Illegal“ sei dies, sagt Pili.
Die verheiratete Mutter zweier Kinder ist von den Gewerkschaften enttäuscht. Sie schloss sich vor wenigen Monaten einer der beiden großen in Spanien an, fand aber nur wenig Verständnis für die Lage der ausgelagerten Zimmermädchen und Hausdamen. „Die Gewerkschaften denken in alten Kategorien“, sagt Pili. Und die seien mit der Auslagerung und den prekären Arbeitsbedingungen nicht mehr gültig.
„Der Betriebsrat im Hotel ist für die Zimmermädchen nicht zuständig“, weiß sie. Und in den Serviceunternehmen wird gewerkschaftliche Arbeit nicht geduldet.
„Vor den Betriebsratswahlen wurden wir gezwungen, in eine kleine Gewerkschaft einzutreten, die die Chefs ausgewählt hatten“, berichtet Pili. Spätestens da reichte es ihr. Pili schloss sich den Kellys an, „um endlich etwas zu machen“. „Wir haben schlechte Zeiten erwischt“, sagt Pili zum Abschied.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin