Spaniens Torschütze Andrés Iniesta: Der letzte Romantiker
Der entscheidende Torschütze im WM-Finale steht wie kein anderer im spanischen Team für das Kollektiv. Auch nach seinem größten Erfolg verweist er auf andere und erinnert an seinen toten Freund Jarque.
Es war die 116. Minute, in der sich Andrés Iniesta unsterblich machte. Diesen Moment, in dem er aus etwa zehn Metern den Ball ins rechte untere Eck des holländischen Tors schoss, wird man in Spanien gewiss nie vergessen. Nicht seiner Schönheit wegen, sondern weil dieser Treffer im WM-Endspiel gegen die Niederlande von epochaler Bedeutung war. Iniesta war der entscheidende Vollstrecker, der Spanien erstmals in der Fußballhistorie zum Weltmeistertitel verhalf. Es war ein befreiender Schuss, der dieser zähflüssigen Partie einen gerechten Sieger bescherte. Von einer Sekunde auf die nächste wurde Iniesta damit zur lebenden Legende.
Und was machte er? Der 26-Jährige zeigte sich bestens vorbereitet: Der Mittelfeldspieler vom FC Barcelona rannte, so schnell er konnte, seinen jubelnden Teamkollegen davon, zog sich sein dunkelblaues Trikot über den Kopf und erinnerte an einen Toten. Auf seinem ärmellosen weißen Unterhemd stand geschrieben: "Dani Jarque siempre con nosotros". Jarque war ein Freund von Iniesta, Kapitän beim Stadtrivalen Espanyol Barcelona, und verstarb vor knapp einem Jahr an einem Herzversagen. "Dani Jarque ist immer bei uns", das war für diesen Moment des schwerelosen Glücks ein ungewöhnlicher Verweis auf die Härten des Lebens jenseits der Welt des Fußballs.
Es war auch deshalb eine ungewöhnliche Geste, weil Iniesta normalerweise Privates vor der Öffentlichkeit so gut abzuschirmen weiß wie den Ball vor den gegnerischen Spielern. Der Mann, der bereits mit zwölf Jahren fern vom Elternhaus beim FC Barcelona kickte und stets eine gewisse Grundmelancholie ausstrahlt, tritt nach außen hin stets sehr bescheiden auf.
So sagte er nach seinem wichtigsten Treffer seiner Karriere: "Ich kann es nicht glauben, dass ich die Chance hatte, dieses Tor zu schießen. Ich habe nur einen kleinen Beitrag geleistet." Am auffälligsten an ihm ist von jeher seine Selbstlosigkeit. Genau diese Eigenschaft macht ihn zum idealen Repräsentanten des spanischen Weltmeisterteams, das wie kein anderes in Südafrika die Kunst beherrschte, individuelle Fähigkeiten ausschließlich für die Kraft des Kollektivs einzusetzen.
Es war bemerkenswert, wie synchron die Formkurve Iniestas mit der seines Teams bei diesem WM-Turnier nach oben stieg. Aufgrund einer Muskelverletzung am rechten Oberschenkel ging er gehandicapt ins Turnier und konnte dem spanischen Spiel anfangs nicht die gewohnten Impulse geben. Aber seit dem letzten Gruppenspiel gegen Chile, in dem Iniesta seinen ersten Turniertreffer erzielte (2:1), wurde der Mann aus Barcelona wieder wie gewohnt der Antreiber, Taktgeber und notfalls eben der Vollender des spanischen Spiels. Er steigerte sich von Auftritt zu Auftritt und bildete wie schon bei der Europameisterschaft 2008 mit Xavi ein kongeniales Duo.
"Der Engel" wird Iniesta in Spanien wegen seines blassen Teints genannt. Auf dem Rasen fällt der 1,70 Meter kleine Iniesta kaum auf. Auch weil er ohne Effekthascherei auskommt. Er lässt das Schwierige einfach erscheinen. Aber trotz aller Unscheinbarkeit ist Iniesta der Mann für die ganz großen Momente. Bereits in der vergangenen Saison markierte er im Champions-League-Halbfinale gegen Chelsea ein Tor, auf das keiner mehr zu hoffen wagte. Sein FC Barcelona schien schon ausgeschieden zu sein, da entschloss sich Iniesta in der Nachspielzeit gegen seine Gewohnheit zum Distanzschuss und sicherte seinem Team die Finalteilnahme. Sein ehemaliger Teamkollege, der Brasilianer Ronaldinho, erwies sich bereits vor Jahren als Prophet. Er sagte: "Iniesta ist das größte Versprechen des spanischen Fußballs."
Dass das spielentscheidende Tor des WM-Finales Iniesta verändern wird, ist nicht anzunehmen. Er weiß sein Umfeld gut einzuschätzen: "Ich lebe in einer irrealen Welt. Das ist mir bewusst." Iniesta zählt zu den wenigen in der Branche, die sich noch geradezu romantisch anmutende Vorsätze leisten. Bei seinem Klub, dem FC Barcelona, unterschrieb er vor noch nicht allzu langer Zeit einen Vertrag, der bis ins Jahr 2015 reicht. Und dabei erklärte er, dass es doch schön wäre, wenn er bei diesem Verein, dem er so viel zu verdanken habe, bis zum Ende seiner Karriere spielen könne. Auch das Gedenken seines Freundes, im Moment seines größten Erfolges, offenbart, dass Iniesta nicht nur ein außergewöhnlicher Fußballer, sondern auch ein großer Romantiker ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen