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Spahns Corona-ImpfverordnungPriorisierung ist Scheindebatte

Felix Lee
Kommentar von Felix Lee

Die Impfungen beginnen mit den über 80-Jährigen und in Pflegeheimen. Richtig so, denn nur darauf kommt es an.

Wer bekommt sie als Erstes? Eine Impfspritze bei einem Probelauf im Impfzentrum Bamberg Foto: Nicoals Armer/dpa

E ins zu eins ist Jens Spahn den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (Stiko) nicht gefolgt. In seiner Verordnung, die der Gesundheitsminister am Freitag vorgestellt hat, sind bei der Frage der Reihenfolge nur drei Gruppen aufgeführt. Die Stiko hatte fünf Kategorien vorgeschlagen. Niedergelassene Ärzt*innen, Lehrer*innen, Feuerwehr und die Polizei werden erst in der letzten Gruppe genannt, Beschäftigte im Einzelhandel sollen gar nicht priorisiert werden. Worin Einigkeit herrscht: Menschen ab 80 Jahren sollen die Corona-Impfung, die voraussichtlich am 27. Dezember beginnt, zuerst bekommen. Und ganz allein darauf kommt es an.

Der alles entscheidende Risikofaktor für eine schwere Covid-19-Erkrankung ist das Alter. Hochaltrige erkranken nicht nur schwerer. Jeder Zweite, der derzeit mit oder an Covid-19 stirbt, ist über 80. Und viele von ihnen sterben in Pflegeheimen. Sie gilt es in dieser schlimmsten Phase der Pandemie daher am meisten zu schützen. Dass auch das Personal in Krankenhäusern und das Pflegepersonal in Altenheimen zu dieser ersten Gruppe zählen, versteht sich damit von selbst. Sie sind am meisten dem Risiko ausgesetzt, sich mit dem Virus anzustecken oder es an die Hochbetagten weiterzugeben.

Sicherlich lässt sich darüber streiten, ob an zweiter und dritter Stelle nicht auch Lehrer*innen und Polizist*innen dazu gehören, Berufsgruppen also, die ebenfalls mit vielen Leuten in Kontakt sind und für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung wichtig sind. Aber auch das hat Spahn richtig erkannt: Die Priorisierung sollte simpel und nachvollziehbar bleiben. Sonst fängt überall das Geschacher an.

Was derzeit überhaupt keinen Sinn ergibt: die Forderung, auch Kinder prioritär zu impfen. Abgesehen davon, dass die beiden derzeit gehandelten Impfstoffe von Biontech und Moderna bei Kindern noch gar nicht getestet wurde – Kinder tragen zur Verbreitung des Virus bei. Für sie ist Covid-19 aber nicht viel schlimmer als eine Erkältung, schwere Fälle sind selten.

Die Frage der weiteren Priorisierung stellt sich eh erst mal nicht. Stand heute stehen Deutschland im ersten Quartal zwischen 11 und 13 Millionen Impfstoffdosen zur Verfügung. Da für eine Immunität bei jeder Person zwei Dosen benötigt werden, können bis März zwischen 5,5 und 6,5 Millionen Bundesbürger geimpft sein. Die Zahl der über 80-Jährigen liegt aber schon bei 5,7 Millionen, hinzu kommt das Pflege- und medizinische Personal. Damit dürfte das Kontingent zunächst einmal verbraucht sein.

Zugleich stehen die Chancen gut, dass im Laufe des ersten Quartal weitere Impfstoffe eine Zulassung erhalten. Dann würde die Frage, wer als Nächstes zum Zuge kommt, zwar wieder aktuell werden. Aber nur für kurze Zeit. Insbesondere mit der Zulassung des Impfstoffs von AstraZeneca, der anders als der von Biontech auch von jedem Hausarzt verabreicht werden kann, würden auf einen Schlag viele Millionen Dosen hinzukommen. Jeder, der will, dürfte wahrscheinlich bis zum Sommer eine Impfung erhalten.

Um die Pandemie zu beenden, müssen rund 60 Prozent der Bevölkerung immun sein. Aktuellen Umfragen zufolge liegt die Impfbereitschaft aber nur bei rund 50 Prozent. Nicht zu wenig Impfstoff wird dann das Problem sein, sondern zu wenig Impfwillige.

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Felix Lee
Wirtschaft & Umwelt
war von 2012 bis 2019 China-Korrespondent der taz in Peking. Nun ist er in der taz-Zentrale für Weltwirtschaft zuständig. 2011 ist sein erstes Buch erschienen: „Der Gewinner der Krise – was der Westen von China lernen kann“, 2014 sein zweites: "Macht und Moderne. Chinas großer Reformer Deng Xiao-ping. Eine Biographie" - beide erschienen im Rotbuch Verlag.
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12 Kommentare

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  • Ich halte es für unsinnig, parallel Diskussion über Priorisierung und Impfbereitschaft zu führen. Gerade, dass jetzt schon Menschen erschreckt werden mit Vorschlägen, wie man sie dazu zwingen kann, schafft kein Vertrauen und ist angesichts der Knappheit der Impfstoffe derzeit unnötig.



    Wir haben jetzt eine Priorisierung, die in meinen Augen Sinn macht. Klar, es gibt mittlerweile zahlreiche Risikorechner online, die sowohl dass Infektionsrisiko als auch das Risiko eines schweren Verlaufs präziser berechnen. Allerdings ist es unkomplizierter und damit wohl effektiver erst einmal das Alter als Hauptkriterium festzulegen.



    Hausärzte beschweren sich scheinbar über diese Priorisierung. Aber bereits jetzt gibt es einige, die sich weigern, COVID-Verdachtsfälle zu behandeln. Hausärzt*innen sind nicht wesentlich gefährdeter als Verkäufer*innen und Lehrer*innen. Wäre klar, dass die Impfung auch das Risiko, das Virus weiterzugeben senkt, wäre eine Priorisierung von Hausärzten sicher sinnvoll. Natürlich wäre es ein Problem, wenn nun viele Ärzte aufgrund der Entscheidung ausfallen, aber letztlich ist das bei den knappen Ressourcen einfach am richtigsten so.



    Alle Diskussionen über Impfbereitschaft und was es für Konsequenzen haben sollte, wenn man sich nicht impfen lässt, würde ich zurückstellen. Ich denke, es bringt uns mehr abzuwarten und dann damit zu argumentieren, dass die Impfung Millionen von Menschen verabreicht wurde und nichts passiert ist, als jetzt auf Drohungen und blaming-Strategien zu setzen. Jemand, der besorgt und verunsichert ist, lässt sich eher davon überzeugen, dass die Impfung bei Millionen von Menschen keine Nebenwirkungen hatte als mit Zwang. Sollten wir dann an einen Punkt kommen, an dem das nicht reicht, können wir ja immer noch darüber diskutieren, ob Arbeitgeber Angestellte zwingen dürfen, sich impfen zu lassen oder ob sich ungeimpfte ihr Recht auf eine Behandlung verwirken. Nicht vorher. Und auch dann nur, wenn eine Impfung auch Mitmenschen schützt.

  • Mir fallen bei dieser Priorisierung zu sehr die Menschen unter den Tisch, die unter 80 Jahre alt sind, aber schwere Grunderkrankungen haben, Menschen mit solcher körperlicher Behinderung (es ist immer von "geistig Behinderten" in Heimen die Rede), bei der ein schwerer Verlauf von Covid-19 wahrscheinlich ist, und die eben nicht über 80 Jahre alt und/oder in Heimen untergebracht sind.



    Es ist klar, dass der Anteil von Menschen mit schweren Grunderkrankungen in der Gruppe Ü 80 sehr viel höher ist. Aber von allen U-80, die eben auch Todesangst vor einer Covid-19 Infektion haben müssen, ist kaum die Rede. Diese sind hauptsächlich den Hausärzten bekannt. Die aber sind bei der Organisation des Impfens anders als bei der Grippeimpfung überhaupt nicht beteiligt. Ich kenne topfitte Ü-80 Jährige und todkranke 20-Jährige. Nur nach Geburtsdatum allein sollte man in der ersten Phase nicht gehen. Verstehe nicht, warum das die Ethikkommission nicht bemängelt.



    Was ist mit Pflegebedürftigen in häuslicher Pflege? Die ethische Problematik ist nur zu ertragen, wenn man danach fragt, welche Leben am gefährdetsten sind, nicht, welches Geburtsdatum im Pass steht..

  • Dass es nach der Veröffentlichung der Impfstrategie von allen Seiten Widerspruch gab, wird niemand verwundern. In allen Fällen läuft die Kritik der Interessenvertreter darauf hinaus, dass sie ihre Klientel nicht an vorderster Stelle in der Rangfolge sehen.



    Meine Oma, die in jeder Lebenslage eine passende Volksweisheit parat hatte, hätte wohl gesagt: „Allen Leuten recht getan ist eine Kunst, die niemand kann!“. Damit sollte sich Herr Spahn trösten.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    "Aktuellen Umfragen zufolge liegt die Impfbereitschaft aber nur bei rund 50 Prozent."

    Das wird sich schon regeln, wenn die Impfverweigerer von diversen Aktivitäten ausgeschlossen werden.

    • @17900 (Profil gelöscht):

      Jetzt warten wir doch erstmal ab, bis das Angebot an Impfstoff die Nachfrage übersteigt.



      Dann wissen wir auch, ob Geimpfte überhaupt weniger infektiös sind. Und wie haben dann hoffentlich schon sehr viel mehr Belege dafür, dass die Impfung wirklich sicher ist (weil es mehr Daten zu längerfristiger Unbedenklichkeit gibt und mehr Menschen geimpft wurden). Ich bin sicher, dass sich dann einige, die derzeit unentschlossen sind, für die Impfung entscheiden. Ist ja nicht so als wären die anderen vehement gegen Impfungen. Die zögern und das kann man mit sinnvoller Kommunikation ändern bis es soweit ist. Jetzt schon über Zwangsmaßnahmen zum sprechen führt nur zur mehr Verunsicherung und Misstrauen.



      Jetzt kümmern wir uns erstmal darum, dass für die Impfbereiten genug da ist.

    • @17900 (Profil gelöscht):

      Keine Partei kann es sich erlauben ein Gesetz zu erklären, dass 50% der Menschen von sozialen Leben ausschließt. Weil spätestens bei der nächsten Wahl kommt dann die Quittung und dann wird das Gesetz eben wieder rückgängig gemacht, ganz demokratisch per Mehrheit.

  • Die Impfwilligkeit könnte rapide ansteigen, wenn Einlass zu sozialen und kulturellen Events nur bei Vorlage des Impfausweises gewährt werden würde. Ich fände das zwar kacke, würde aber Kinobetreiber, Restaurantbesitzer etc. verstehen, die einen solchen Nachweis sehen wollten, wenn sie dadurch ihre Läden weiterbetreiben dürften.



    Wenn (irgendwann) die jüngeren Gesunden an der Reihe sind, geimpft zu werden, lass ich mich impfen, auch wenn Langzeitfolgen noch nicht klar sind. Ich kann das C-Wort nicht mehr hören und wünsche uns allen, dass der Spuk endlich vorbei ist.

    • @Katrina:

      Da auch bei geimpften nicht garantiert werden kann, dass sie nicht mehr ansteckend sind ist ein Impfpass und daraus resultierende Lockerungen nur Augenwischerei. Deshalb soll man auch trotz Impfung weiterhin seine Maske tragen und man unterliegt auch den selben beschränkungen.

  • Der Denkfehler hier liegt in der unkritisch wiedergegebenen Ansage der Bundesregierung: die Pandemie ist erst dann vorbei wenn Herdenimmunität besteht, sprich bei einer Immunität von 60% der Beölkerung. Das ist aber, nach allem was bisher über das Corona-Virus bekannt ist, Quatsch. Der Autor legt ja selbst dar, dass die Gefahr, die von dem Virus ausgeht, vor allem ältere und hierbei insbesondere die über 80jährigen betrifft. Demnach werden im Frühjahr vermutlich zum einen durch die folgerichtige Priorisierung der Impfung ebendieser Risikogruppe die Todeszahlen und die schweren Verläufe (Intensivstation) massiv zurück gehen und zum anderen saisonbedingt die Infektionszahlen allgemein. Und spätestens dann wäre es meiner Meinung nach an der Zeit, die ganze Corona-Situation neu zu bewerten und absoluter Unsinn, fehlende "Impfwillige" zu beklagen.

    • @S. Hz.:

      Die Frage wäre dabei: was wollen wir erreichen? Bei Ihnen klingt es nach: wenn die Intensivstationen wieder frei sind, können wir zur Normalität zurück kehren. Eine erfolgreiche Impfkampagne sollte aber zum Ziel haben, dass kaum mehr Menschen erkranken, nicht dass Kranken ein Beatmungsgerät zur Verfügung steht. Das Ziel sollte Herdenimmunität sein. Dass sich vorher bereits die Lage entspannt ist wahrscheinlich und zu hoffen, ändert aber das Ziel nicht.

      • @Mrs.V:

        Allerdings ist es dann einfach eigenes Risiko, sich nicht impfen zu lassen. Denn wer will, kann sich nach den Risikogruppen impfen lassen und ist somit nicht mehr gefährdet.

        • @Luftfahrer:

          Jein. Ich denke, das hängt davon ab, ob ich mit einer Impfung auch meine Mitmenschen schütze. Sollte dem nicht so sein, ist es absolut meine Privatsache - so wie rauchen, ungesunde Ernährung oder Extremsport meine Sache ist.



          Falls ich aber auch weniger infektiös bin next der Impfung, könnt es darauf an, wie viele Menschen in Risikogruppen sich nicht impfen lassen können und deshalb auf Herdenimmunität angewiesen sind.