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Soziologin über Rassismus„Ich will Stereotype abbauen“

Seit Corona werden als asiatisch eingeordnete Menschen angefeindet. Die Soziologin Ruirui Zhou über ihre Familie in Wuhan und ihre Idee von Herkunft.

Kommt aus Wuhan, lebt in Hamburg und versteht sich als Weltbürgerin: Ruirui Zhou Foto: Miguel Ferraz
Andreas Speit
Interview von Andreas Speit

taz: Frau Zhou, hat die Corona-Pandemie den Blick auf die chinesische Community verengt?

Ruirui Zhou: Ja und nein. Es gibt ja gar keinen allgemeinen Blick auf die chinesische Community. Doch seit vermutet wurde, dass sich die Epidemie auch in Europa verbreiten könnte, kamen erste öffentliche Äußerungen auf, wie die Bezeichnung von Sars-CoV-2 als „China Virus“.

Menschen, die asiatisch gelesen werden, wehren sich unter anderem unter ­#IchbinkeinVirus gegen diese Art von Rassismus. Sind Sie auch schon derart abgewertet worden?

Ich persönlich nicht. Ich muss aber sagen, dass es mit meinem Lebens- und Arbeitskreis zu tun hat. Diese Umgebung von gut ausgebildeten Leuten – und dazu wohl noch ein bisschen Glück – hat mir Anfeindung erspart. Aus meinen Bekanntenkreis habe ich jedoch gehört, dass Kindern mit asiatischem Aussehen „Coronavirus“ ins Gesicht geschrien wurde oder dass Menschen mit asiatischem Aussehen von Kliniken bei Terminvergaben ohne Begründung abgelehnt worden sind. Ich habe bloß ein paar unangenehme Erfahrungen gemacht.

Welche?

Beispielsweise werde ich im Flur gefragt, wann genau ich „die Chinesen“ treffe und mit wem ich Silvester gefeiert habe. Ich kann aber nachvollziehen, dass einige Menschen sich einfach Sorgen machen.

Wie gehen Sie damit um?

Ich erkläre ruhig, dass ich die ganze Zeit keinen direkten Kontakt mit Menschen aus der betroffenen Stadt Wuhan hatte. Und ich erkläre auch, dass die Chinesen, die ich kenne, verantwortungsvolle Menschen sind. Die Entscheidung, Wuhan ab dem Vorabend des chinesischen Neujahrs unter Quarantäne zu stellen, war eine notwendige Maßnahme, die von den Menschen große Opfer verlangte, aber sie hielten sich daran.

Im Interview: Ruirui Zhou

34, ist in Wuhan geboren und kam 2009 nach Deutschland. Die Soziologin ist gerade dabei, den Verein „Chinesische Gemeinde in Deutschland“ mit zu gründen. Sie ist außerdem Mitglied der Kulturpolitischen Gesellschaft in Deutschland und Kolumnistin der New Beijing Post. Zhou promoviert an der Universität Hamburg. Ihr Thema: „Ein Vergleich der öffentlichen Kulturpolitik im Projekt der Modernisierung zwischen Deutschland und China“.

Sie sind in Wuhan geboren. Sorgen Sie sich um Ihre Familie und Freund*innen?

Ja. Ich habe mir große Sorge um meine Angehörigen und meine Freund*innen gemacht. Meine Mutter ist Professorin für englischsprachige Literatur- und Sprachwissenschaft an der Wuhan-Universität. Mein Vater war medizinischer Experte im Gesundheitswesen und hat im Jahr 2003 die Bekämpfung gegen SARS in Wuhan geleitet. Die Nachrichten aus der Stadt haben mich jetzt sehr berührt und ich habe ein paar Spendenaktionen organisiert. Dabei wird man mit vielen Nöten konfrontiert. Da muss man teilweise seine Emotionen ausschalten, um weitermachen zu können.

Sie sind seit 2009 in Hamburg. Waren die Ressentiments, denen Sie hier als Chinesin begegnet sind, vor der Pandemie andere als jetzt?

Die Hetze gegen Chines*innen war auch vor der Pandemie nicht so negativ behaftet, wie sie sich gegen andere ethnische Minderheiten äußert.

Nahmen die Anfeindungen mit dem Verlauf der Pandemie ab und zu?

Ich habe drei Phasen erlebt. Anfangs war in der Presse schnell die Rede vom „China-Virus“ oder vom „Virus Made in China“, das hat mit zu starken Anfeindungen geführt. Nach dem Aufruf durch Bernhard Franke, dem Leiter der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, im Februar ging das aber zurück.

Franke hatte berichtet, dass sich verstärkt Menschen asiatischer Herkunft an die Antidiskriminierungsstelle gewandt hatten und gesagt, dass Angst vor Ansteckung zwar verständlich sei, aber niemals rassistische Diskriminierung rechtfertige.

Genau, das hat auch kurz geholfen. Aber seit der Verschärfung der Situation in Deutschland im März gibt es wieder einen Anstieg.

Vor China und den Chines*innen als die „Gelbe Gefahr“ wurde ja schon im 18. Jahrhundert“ gewarnt. Schwingen in den zurzeit grassierenden Anfeindungen aus Ihrer Sicht alte Vorurteile wieder neu mit?

Stereotype, egal ob positiv oder negativ, werden in sozialen Kontexten erfunden und konstruiert. Als ein Resultat aus der Absprache von institutionellen und kulturellen Machtstrukturen werden sie weitergegeben, wobei Veränderungen nicht auszuschließen sind. Meines Erachtens beruhen die Diskriminierungen von Chines*innen heute auf Stigmatisierung aus rassistischen Gründen.

Wann haben Sie zuletzt gehört, dass Sie aber gut Deutsch sprechen oder sind gefragt worden, wo Sie denn herkommen?

Dass habe ich hier wenig gehört. Nur ab und zu werde ich auf der Straße aus Neugier angesprochen. Lange wollte ich die Frage nach meiner Herkunft nicht so gern beantworten, da ich mich als eine Weltbürgerin verstehe und ich denke nicht, dass man durch seine Herkunft zu definieren ist. Jetzt bin ich entspannter, weil ich für mich eingesehen habe, das die Frage hier in Deutschland auch aus netter Neugier kommt.

Fühlen Sie sich mit China stark verbunden?

Dass China und Chines*innen Kulturbegriffe sind, ist ein Kerncharakteristikum der chinesischen Kultur. Meine Sprache ist mein Heimatland, so sagte es sinngemäß auch der portugiesische Dichter Fernando Pessoa und so halte ich es auch. Und ich schließe mich an den von Hegel und Fichte ausgehenden Begriff des „Kulturstaats“ an, in dem jeder Einzelne auch durch die Kultur befähigt werden soll.

Welche Intention hat denn der Verein „Chinesische Gemeinde in Deutschland“, den Sie gerade gemeinsam mit anderen in Hamburg gründen?

Der Vorstand unseres Vereins setzt sich aus Manager*innen, Akademiker*innen und Jurist*innen zusammen. Unser Ziel ist die In­tegration der Chines*innen in Deutschland. Wir sehen unsere Aufgabe vor allem in der Aufklärung. Dabei ist Antidiskriminierung ein wichtiger Aufgabenbereich, nicht nur weil sie im Interesse der in Deutschland lebenden Menschen mit chinesischem Hintergrund liegt, sondern auch, weil sie einer der wichtigsten Grundwerte der europäischen Gesellschaft ist. Deswegen wollen wir Menschen, die ihnen zugeschriebenen Rollen und ungeschriebenen Regeln erklären.

Wen wollen Sie damit ansprechen?

Wir denken, dass viele Menschen die Gesellschaft nicht kennen und sich in sozial, wirtschaftlich oder kulturell unterprivilegierten Ständen befinden. Daraus entstehen Unzufriedenheit und Reibungen. Dass man einen Job hat und Steuern bezahlt, heißt ja nicht, dass man Teil der Gemeinschaft ist. Parallelgesellschaften sind sowohl für die betroffenen Gruppen als auch für die ganze Gesellschaft nicht gut.

Sie arbeiten auch als Kolumnistin unter anderem für die New Beijing Post. Welche Themen greifen Sie da auf?

Ich schreibe Artikel für mehrere Zeitschriften in und außerhalb Chinas, etwa für Phönix Weekly in Hongkong oder United Morning Paper in Singapur. Mein Anliegen ist es, dem chinesischen Publikum ein unverfälschtes Bild vom gegenwärtigen Deutschland zu zeigen. Immer noch sind die Vorstellungen über Deutschland unter Chines*innen von den Vorstellungen über die USA nicht zu unterscheiden. Da will ich auch Stereotype abbauen.

Ähnlich dürfte es sich mit den Vorstellungen der Deutschen von China verhalten, da gibt es ja auch Aufklärungsbedarf. In China werden zum Beispiel immer noch viele Mittel zur Veränderung der Hautfarbe beworben. Je weißer, um so schöner? Was steckt dahinter?

„Je heller, desto schöner“ ist eine Ästhetik, die eine lange Geschichte bis hin zum chinesischen Kaiserreich hat. Dafür sind eine Reihe von Beschreibungen in der altchinesischen Hochliteratur verantwortlich, die die helle und geschmeidige Haut einer schönen Frau loben, also beispielsweise „geschmeidig wie Lammfett, hell wie Jade“. Daher ist diese Ästhetik ursprünglich eher von einer klassenbewussten als von einer rassistischen Ausdifferenzierung geprägt.

Sind in China Schönheitsoperationen für ein eher europäisches Aussehen weiter en vogue?

Viele lassen es sich machen. Aber es ist nicht en vogue, wird also nicht von allen begrüßt. Langsam ist eine Pluralisierung der Ästhetik zu beobachten.

Bei deutsch-chinesischen Paaren, die in Deutschland leben, kann man aber von Oma und Opa mit chinesischem Hintergrund schon mal hören, dass das Enkelkind ja erfreulicherweise eher weiß sei.

Gelegentlich.

Ist das Selbsthass oder Selbstschutz?

Ich vermute, in solchen Fällen handelt es eher um eine Strategie aus pragmatischen Gründen.

Wie gehen Sie denn selbst mit den vermeintlich netten Zuschreibungen um, wie: Chinesen lächeln immer und sind arbeitsam?

Das sind Klischees, die zu mir nicht passen. Ich bin keine typische Chinesin. Ich bin keine, die immer lächelt und ich gehe stark davon aus, dass ich nicht fleißig bin. Viele meiner biodeutschen Kolleg*innen und Freund*innen sagen, dass sie mich nicht wie eine Ausländerin wahrnehmen. Und dass ich immer versuche, Menschen möglichst freundlich zu begegnen, führe ich auf die Erziehung meiner Eltern zurück. Beim Umgang mit den anderen Menschen verhalte ich mich einfach als Mensch.

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