Soziologin über Frauen in Italiens Politik: „Viel mehr Männer im Parlament“
Für Frauen wird die kommende Wahl in Italien ein Rückschlag. Das vermutet die italienische Soziologin Chiara Saraceno.
taz: Frau Saraceno, in der letzten Legislaturperiode stand Italien doch gar nicht so schlecht da, was die Präsenz von Frauen in der Politik angeht, nicht wahr?
Chiara Saraceno: In der Tat, bei den Wahlen 2013 hatte es einen Sprung nach vorn gegeben, vorher lag Italien weit zurück in Europa, 2013 dagegen waren 30 Prozent der Abgeordneten Frauen. Ich fürchte allerdings, dass die kommenden Wahlen einen Rückschlag bringen werden.
Warum?
Wegen des neuen Wahlrechts – und wegen der Weise, wie die Parteien es nutzen. Es gibt die Personenwahlkreise und es gibt die Proporzlisten, mehr oder weniger auf Provinzebene.
Das heißt?
Das heißt, die Kandidaten können sowohl in den Wahlkreisen als auch auf den Proporzlisten antreten, mehr noch: Ein Kandidat kann gleich fünfmal auf Proporzlisten seiner Partei quer durch Italien kandidieren. Zugleich gilt das Reißverschlussverfahren: eine Frau, ein Mann.
Und was machen die Parteien?
Chiara Saraceno ist eine der führenden italienischen Expertinnen für die Rolle der Frauen in der Gesellschaft. In den Jahren 2006 bis 2011 war sie am Wissenschaftszentrum Berlin tätig
Sie stellen eine Frau fünfmal als Nummer eins auf, wie zum Beispiel die Ministerin Maria Elena Boschi von der Partito Democratico. Gewählt werden kann sie nur einmal. In den vier anderen Fällen rückt dann die Nummer zwei nach – ein Mann. Und so ist am Ende die Geschlechterparität doch wieder ausgehebelt.
Fällt das den Wählern nicht auf?
Die sehen vorne auf der Liste eine Frau und sagen, schau an, die Parteien bewegen sich. Dass der Effekt dank der Mehrfachkandidaturen genau in die andere Richtung geht, haben sie meist nicht auf dem Schirm. Am Ende werden dann viel mehr Männer ins Parlament einziehen, deutlich stärker als bei den letzten Wahlen.
Im Jahr 2013 waren es vor allem die Partito Democratico und die Protestbewegung der Fünf Sterne (Movimento 5 Stelle, M5S), die mit einem hohen Anteil an Frauen in ihren Reihen auffielen.
Das stimmt, auf der Rechten sind die Frauen weit weniger präsent. Doch so sehr es mich schmerzt, muss doch auch gesagt werden: Die politisch rechts aktiven Frauen sind am Ende sichtbarer, und die einzige Partei, die eine Chefin hat, sind die stramm rechten, mit Silvio Berlusconi verbündeten Fratelli d’Italia (Brüder Italiens) unter Giorgia Meloni. Auf der Linken dagegen sind Frauen kaum Protagonistinnen an vorderster Front.
Und die Fünf Sterne?
Sie haben diverse Protagonistinnen, die Bürgermeisterin Roms, Virginia Raggi, die von Turin, Chiara Appendino und andere. Zugleich ist die Geschlechterparität kein echtes Thema für sie. Und die national wirklich Wichtigen sind auch dort am Ende die Männer.
Sowohl bei der PD als auch bei den Fünf Sternen also das gleiche Bild?
Genau, bisher relativ viele Frauen, aber immer in der zweiten Reihe. Dafür sind gewiss die Männer verantwortlich – aber auch die Frauen. Sie orientieren sich gern an männlichen Platzhirschen, statt untereinander Bündnisse zu schließen.
Wenn wir auf die Wahlkampfthemen schauen – sieht es wenigstens dort besser aus?
Ein bisschen was gibt es zur Geschlechtergleichstellung, quer durch die politischen Lager. Aber der Schwerpunkt liegt fast immer nur bei Fragen der Mutterschaft, ausgehend von der großen Sorge um die demografische Entwicklung des Landes, um die verheerend niedrige Geburtenrate. Am stärksten exponiert sich bei Hilfen für Mütter die stramm rechte Partei Fratelli d’Italia. Aber so gut wie alle Parteien wollen die Situation berufstätiger Mütter verbessern. Zur Geschlechterparität dagegen findet sich kaum etwas. Die linke, Liste Liberi e Uguali (LeU – Freie und Gleiche), ist die einzige , die sich zum Beispiel für Parität bei den Gehältern einsetzt.
Wie erklären Sie sich das?
Ich habe den Eindruck, dass die Parteien nicht daran glauben, mit diesem Thema Stimmen hinzuzugewinnen.
Und am Ende überwiegt erneut das traditionelle Bild von der Frau als Mutter?
Ich würde es „neotraditionell“ nennen. Denn wenigstens stellt niemand mehr infrage, dass Mütter berufstätig sind.
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