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Soziologe über Migration„Antifaschismus heißt mehr über die soziale Frage sprechen“

In Deutschland wird über Migration entweder als Bedrohung oder als Ressource gesprochen. Beides falsch, sagt der Migrationsforscher Helge Schwiertz.

Werden in Deutschland als Bedrohung oder ökonomisch nützlich wahrgenommen: Menschen, die sich auf den Weg gemacht haben Foto: Maria Giulia Trombini/dpa

Interview von

Amira Klute

taz: Herr Schwiertz, vor zehn Jahren wähnte sich Deutschland als Land der „Willkommenskultur“. Schon kurz danach wurde über Geflüchtete vor allem als Bedrohung gesprochen. Warum ist die Stimmung umgeschlagen?

Helge Schwiertz: Ich glaube, dass das Motto ‚Refugees Welcome‘  2015 zwar kurz im Mittelpunkt der öffentlichen Debatte stand, dass aber schon damals die politischen Verhältnisse in Deutschland von einer anti-migrantischen Hegemonie geprägt waren. Die Problematisierung von Migration ist einfach tief in die gesellschaftlichen Verhältnisse eingeschrieben.

taz: Können Sie das genauer erklären?

Schwiertz: Migration wird grundsätzlich als ein Problem gesehen. Und das geht letztendlich an der Realität der Migrationsgesellschaft vorbei.

Bild: privat
Im Interview: Helge Schwiertz

Jahrgang 1984, ist Soziologe und Migrationsforscher an der Universität Hamburg.

taz: Sie sagen, es gibt in Deutschland vor allem zwei Bilder über Migration.

Schwiertz: Ja, in dem einen wird die Gesellschaft als ein Volk begriffen und Migration erscheint dem gegenüber als ein bedrohliches Anderes, also als ein Problem. Migration als Bedrohung darzustellen, trägt zugleich dazu bei, die Vorstellung eines einheitlichen Volkes hervorzurufen und dieses gewaltvoll abzugrenzen.

Vortrag

„Anti-migrantische Hegemonie überwinden – Solidarische Infrastrukturen der Migration aufbauen“, 9.12. um 19.30 Uhr, Kölibri der GWA St. Pauli, Hein-Köllisch-Platz 12, Hamburg.

taz: Und welches ist das andere Bild?

Schwiertz: Das der Gesellschaft als Bevölkerung. Da geht es dann eher darum zu schauen: Wie kann diese Bevölkerung optimiert werden, damit alle noch produktiver sind? Da erscheint Migration weniger als ein Problem, sondern mehr als eine nützliche Ressource. Diese beiden Bilder stehen in einem Spannungsverhältnis, überlappen sich teilweise aber auch.

An Mi­gran­t*in­nen werden übersteigerte Forderungen gestellt, sich nützlich zu machen, weil sie überhaupt erst als Andere dargestellt werden.

taz: Sie kritisieren beide Bilder. Warum haben Sie ein Problem mit dem Argument, Deutschland brauche Migration, zum Beispiel um der Überalterung oder dem Fachkräftemangel in der Pflege zu begegnen?

Schwiertz: Ich möchte das tatsächlich problematisieren, weil es Menschen auf ihre Nützlichkeit reduziert. Es wird damit eine Unterscheidung zwischen vermeintlich guten und schlechten Mi­gran­t*in­nen eingeführt. Die Offenheit gegenüber den sogenannten Nützlichen, geht mit einer noch härteren Abgrenzung gegenüber denen einher, die vermeintlich nicht nützlich sind. Hier überlappen sich die Bilder: Weil man den Maßstab der Nützlichkeit ja so insbesondere an nicht-deutsche Mi­gran­t*in­nen anlegt und jetzt nicht in demselben Maße an eine Bevölkerung, die bereits zum Volk gezählt wird. Es werden an Mi­gran­t*in­nen übersteigerte Forderungen gestellt, sich nützlich zu machen, weil sie überhaupt erst als Andere dargestellt werden.

taz: Was ist denn die Alternative – eine andere Erzählung über Migration und Flucht?

Schwiertz: Es ist wichtig, Migration und Gesellschaft nicht gegenüberzustellen, sondern vielmehr das Bild einer Migrationsgesellschaft in den Mittelpunkt zu rücken. Wir sollten weniger auf die Ebene des parteipolitischen oder medialen Diskurses schauen, sondern stärker danach, was in den Städten, in den Gemeinden, in den Nachbarschaften passiert. Da leben Menschen bereits zusammen und es gibt Ansätze, mit Herausforderungen umzugehen. Genau hier müssen wir ansetzen und die gelebte Realität diesem öffentlich konstruierten Bild von Migration als Problem entgegensetzen.

taz: Wird das die potenzielle AfD-Wählerin überzeugen, die glaubt, Geflüchtete bekämen viel Geld vom Staat?

Schwiertz: Wir müssen im Sinne eines „präventiven Antifaschismus“ mehr über die soziale Frage sprechen. Man muss gegen den Rassismus von AfD, CDU und ihren An­hän­ge­r*in­nen argumentieren, aber es ist nachhaltiger, zugleich über das, was viele Menschen beschäftigt, wie Mieten und steigende Preise, zu sprechen – statt der Problematisierung von Migration mehr Raum zu geben. Es ist wichtig, auf allen Ebenen der anti-migrantischen Hegemonie etwas entgegenzusetzen. In meiner Forschung wurde deutlich, dass Menschen nicht nur auf Protestformen wie Demos setzen, sondern vermehrt Infrastrukturen der Solidarität aufbauen. Beispiele dafür sind in Hamburg die migrantisch selbstorganisierte Gruppe „Women in Action“ oder die Initiative „Hamburg sagt Nein zur Bezahlkarte“.

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8 Kommentare

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  • 1. ist dem aber nicht so:

    www.zeit.de/wirtsc...ng-finanzen-nutzen

    2. wenn Sie zur nächsten größeren Baustelle gehen, können Sie sich selbst davon überzeugen, dass durch Zuwanderung Wohnraum entsteht.

    3. warte ich noch auf die interessante Rechnung, wie teuer für uns der Rassismus in der Migrationspolitik ist, welche Volkswirtschaftlichen Schäden daraus entstehen, das ausländische Fachkräfte einen Bogen um uns machen, die Anerkennung von Qualifikationen ein ewiger Prozess ist oder junge Menschen in unklaren Zwischenstadien ausharren müssen, ohne sich eine langfristige Existenz aufbauen zu können.

    4. halte ich es für äußerst erstaunlich, wie man sich gleichzeitig vor zu vielen Alten (Deutschen) und vor zu vielen Jungen (Ausländern) Sorgen kann.

  • Im letzten Absatz werden Aussagen über soziale Fragen getroffen. Mieten und steigende Preise. Wenn im Rahmen der Zuwanderung durch diesen Personenkreis in Summe kein zusätzlicher Wohnraum ( sei es durch Steueraufkommen oder Arbeitsleistung ) geschaffen wird und erhebliche Sozialtransfers stattfinden, dann geht dies zu Lasten der ansässigen Bevölkerung und wird dann kritisch gesehen. Dies wird dann auch nicht durch Demos oder Aktivismus gelöst.

    • @Puky:

      Die aufnehmenden Kommunen würden es lösen, wenn der Bund ihnen und den Ländern einen fairen Anteil an Haushaltsmitteln zugestehen würde. Dann würde auch dem populistischen Rechtstrend gegen „die da oben“ mehr entgegengesetzt. Auf der kommunalen Ebene erfahrene Selbstwirksamkeit und weniger von Neid und Missgunst geprägte Begegnung vor Ort wirkt gegen beides: Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. U.a. deshalb bekam die AfD in unserer kleinen Stadt in RLP bei den zwei letzten Wahlen weniger als 8%.

  • Danke! Endlich bekomme ich wissenschaftlich bestätigt, was ich schon lange vertrete: Menschen dürfen nicht nach Nützlichkeit unterschieden und hereingelassen werden (mehr oder weniger widerwillig, weil sie halt gebraucht werden, aber gleichgestellt oder gar gemocht werden sie deswegen noch lange nicht). Noch weniger dürfen sie einfach abgewehrt, ab- und ausgestoßen und dabei entwürdigt und letztlich entmenschlicht werden. Der neue Faschismus des globalen Nordens (in seinen westlichen wie östlichen Varianten) versucht primär mit dem Schüren von Überfremdungshysterie und Umvolkungshetze in der Gesellschaft zur politischen Macht zu kommen. Dazu gehört eine ignorante bis verächtliche Abwendung von der Außenwelt. Alles „shithole countries“. Gegenhalten: Liebe deine Fernsten! Besonders die Bedürftigen. Bei der Mainzer Fassenacht wird vor jeder Büttenrede gefragt: Wolle mer se roilosse? Ja doch, alle!

    • @Klaus Schmitt:

      Wenn sie die Määnzer Fassenacht zitieren, zitiere ich Jupp Schmitz, unvergessener Kölner Karnevalist:



      Wer soll das bezahlen?



      Wer hat das bestellt?



      Wer hat so viel Pinkepinke?



      Wer hat so viel Geld? ...

  • Es gibt die Verfolgten, Asyl - und da können wir als reiches Land mit unserer Vergangenheit kaum anders als klar zu helfen. Siehe auch das Grundgesetz.

    Es gibt dann die, die das machen, was ja diverse "Expats" auch täglich machen: in anderen Ländern ein besseres Leben suchen, als das, was sie gegenwärtig führen. Da kann mensch Nützlichkeitserwägungen im Gegenzug aus staatlicher Sicht schon etwas mehr verstehen. Menschen sind und bleiben es aber alle. Konkret Nadjme, Hassan, David, Lusmi, Edson, ...

    Schauen wir statt des Ablenkungsgetöses von Scharfmachern also tatsächlich nach guten Lösungen in den Kommunen und verbreiten diese. Lockern wir das strikte Arbeitsverbot womöglich und schauen, was passiert.

  • "Es ist wichtig, Migration und Gesellschaft nicht gegenüberzustellen,"

    Das ist doch der ganz entscheidende Halbsatz des Interviews, nur leider biegt der Interviewte dann falsch ab.

    Wichtig ist, wie viel Migration eine Gesellschaft leisten? Zu berücksichtigen sind dabei Kosten der Unterbringung, der Integration, der Verwaltung, der Ausbildung und aller weiteren Folgekosten. Diese Kosten müssen der Gesellschaft zwecks Transparenz offen dargestellt werden und es bedarf der Erläuterung, wie mit Migration bei Überschreitung umgegangen werden soll.

    Ansonsten droht eine Verbereiterung der Armut, der Überlastung der Gesellschaft und ein Problem in den Sozialsystemen. Daraus ergibt sich dann die soziale Frage.

    Einfach nur die Forderung nach mehr Solidarität ist doch vollkommen untauglich,

    • @DiMa:

      Ich verstehe nicht worauf Sie hinauswollen. In ihrem Kommentar tun Sie doch genau das:

      Migration und Gesellschaft gegenüberstellen.