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Soziologe über AfD-Erfolg„Der Erfolg der Linken zeigt, wie es gehen kann“

Die AfD könnte im Osten künftig noch weiter wachsen, sagt Soziologe Axel Salheiser. Was helfen könnte: das eigene Parteienprofil schärfen.

Die Wut der Zukurzgekommenen: Wahlkampfabschluss der AfD in Erfurt am 22.02.2025 Foto: Paul-Philipp Braun/imago
Anne Fromm
Interview von Anne Fromm

taz: Die AfD ist in allen ostdeutschen Flächenländern stärkste Kraft geworden. Wie erklären Sie sich das?

Axel Salheiser: Ich hatte damit gerechnet. Was mich aber schockiert, ist, dass sie im Vergleich zu den letzten Landtagswahlen kräftig zugelegt hat. Sie profitiert einerseits vom Klima in ganz Deutschland. Andererseits zeigen Nachwahlbefragungen, dass in Ostdeutschland andere Themen wahlentscheidend waren als in Westdeutschland. Themen wie Umwelt und Klima haben im Osten so gut wie keine Rolle gespielt. Hier war das Hauptthema die Zuwanderung – als Sündenbock­debatte. Das Narrativ, dass MigrantInnen systematisch bevorzugt werden, verfängt hier, weil viele Ostdeutsche sich als BürgerInnen zweiter Klasse sehen.

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taz: Warum? So schlecht geht es den Leuten im Osten nicht.

Bild: privat
Im Interview: Axel Salheiser

ist Soziologe und wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) Jena. Er forscht zu Rechtsextremismus und gruppen­bezogener Menschenfeindlichkeit.

Salheiser: Das stimmt, aber demokratische PolitikerInnen scheuen sich, das anzusprechen, weil niemand seine WählerInnen beschimpfen will. Und es ist ja auch schwierig, den Leuten zu sagen: „Es geht euch vielleicht nicht so gut, wie ihr erhofft habt. Aber es könnte euch noch viel schlechter gehen.“

Was stimmt, ist: Die Erfolge der Politik der letzten 35 Jahre werden viel zu wenig adressiert. Stattdessen malen die Ostdeutschen ihre Zukunft düster: Strukturwandel, die Jungen ziehen weg, die Regionen werden leerer. Wir wissen, dass da, wo die Zukunftsorientierung besonders negativ ist, die Unzufriedenheit mit der Demokratie besonders groß ist.

taz: Aber auch andere Regionen in Deutschland stehen vor ungelösten Zukunftsfragen. Warum ist der Osten noch empfänglicher für rechte Narrative?

Salheiser: Wir untersuchen seit vielen Jahren die Einstellungen der ThüringerInnen. Der wichtigste Faktor, der erklärt, warum Menschen die AfD wählen, sind nationalistische und fremdenfeindliche Einstellungen. Das heißt, dass Menschen, die rassistisch eingestellt sind, am ehesten die AfD wählen. Das klingt banal, bleibt aber relevant. Nicht alle Menschen, die unzufrieden sind mit der Demokratie wählen AfD. Aber alle, die die AfD wählen, sind unzufrieden mit der Demokratie. Die AfD saugt die politische Unzufriedenheit auf wie ein Schwamm.

taz: Die AfD hat in Thüringen und Sachsen fast 40 Prozent errungen. Was bedeutet das?

Salheiser: Daraus ergibt sich ein großes Repräsentationsdefizit. Wenn fast jeder zweite Thüringer die AfD gewählt hat, fragt man sich zu Recht, warum diese politische Kraft von der Macht ferngehalten wird. Das können die demokratischen Parteien nicht ausreichend erklären. Im Gegenteil: Die CDU steht für eine Migrationspolitik, die sehr nah an dem ist, was die AfD will. Wie soll sie dann überzeugend erklären, warum sie nicht mit der AfD arbeitet?

taz: Die demokratischen Parteien haben viel probiert: Sie verweisen auf die rechtsextremen Tendenzen, sie versuchen sie inhaltlich zu stellen. All das scheint nichts zu nützen. Wie geht es besser?

Salheiser: Der Erfolg der Linkspartei zeigt ja im Kleinen, wie es ­gehen kann: Kein Abarbeiten an der AfD, stattdessen das eigene Profil schärfen. Es ist ein Fehler, die sozia­le Frage an die Herkunft von Menschen zu knüpfen. Das Reden von der Einwanderung in unsere Sozialsysteme bleibt falsch. Das führt dazu, dass Migration in Gänze als illegal geframt wird. Die demokratischen Parteien müssen es schaffen, dieses Narrativ abzuräumen. Es nutzt nur der AfD.

taz: Die Stärke der AfD ist kein rein deutsches, schon gar kein rein ostdeutsches Phänomen. Rechtspopulisten triumphieren global. Schließt Deutschland jetzt also zum generellen Zeitgeist auf?

Salheiser: Ja, aber der Vergleich zu den Rechtspopulisten in Italien, Niederlanden und Frankreich hinkt. Ich will die dortigen rechten Parteien nicht verharmlosen. Aber die AfD ist viel schärfer. Sie steht nicht nur stramm rechts. Sie ist rechtsextrem und will den Systemwandel.

taz: Ist absehbar, dass die AfD aufhört zu wachsen?

Salheiser: Nein, davon ist überhaupt nicht zu sprechen, gerade im Osten. Wir sehen eine lineare Entwicklung über die letzten Wahlen. Wenn wir diese Linie verlängern, dann erringt die AfD bei den nächsten ostdeutschen Landtagswahlen eine absolute Mehrheit. Das ist eine katastrophale Entwicklung. Welche Schäden die demokratische Kultur nimmt, können wir im Regionalen schon jetzt sehen.

Die AfD baut mit ihrer Präsenz in den Parlamenten ihre Strukturen aus und stärkt ihre außerparlamentarischen Vorfeldorganisationen. Es führt zu mehr Gewalt, zu mehr Polarisierung. Die Leidtragenden sind in erster Linie Geflüchtete, Queere, linke und nicht-weiße Menschen auf dem Land.

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6 Kommentare

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  • Zwei Drittel der Ostdeutschen haben nicht AfD gewählt.

    Profil schärfen ist ein Ansatz, der wichtigere ist aber der AfD die Grenzen aufzuzeigen.

    Kooperationen in den ostdeutschen Landesparlamenten signalisieren lediglich das die Partei in der Mitte angekommen ist.

    Was sollte sich der normale Bürger groß Gedanken machen, wenn an allen Ecken und Enden bereits ein "miteinander" im lokalen Bereich stattfindet.

  • Die AfD ist ja kein ostdeutsches Problem.

    Zu ihrem großen Erfolg in Ostdeutschland ließe sich vieles anführen: Die autoritäre Staatsvergangenheit, der Nationalismus der Spät-DDR, das ideologische Vakuum und die Perspektivlosigkeit nach der Wende.

    Ich möchte das Wählen der AfD nicht entschuldigen und ihren offenkundigem Faschismus nicht verharmlosen.

    Was sich die Westdeutschen (zu denen ich auch gehöre) aber eingestehen sollten:

    Die Ostdeutschen SIND nach der Wende als Bürger/innen zweiter Klasse behandelt worden. Ihre Betriebe wurden von westdeutschen Bossen abgewickelt, ihre Lebenserfahrung und Expertise wurden nicht mehr geschätzt, ihre hohen Repräsentanten waren auf einmal nur noch Westdeutsche.

    Es gibt sehr viele Beispiele.

    Und vielleicht würde ein offener Dialog, in denen diese Erfahrungen einmal thematisiert würden, wo einmal zugehört würde, dazu beitragen, das vergiftete Klima wieder zu verbessern.

  • "Der Erfolg der Linken zeigt, wie es gehen kann“



    Ich frage jetzt mal ganz frech: welcher Erfolg?



    Die Linke ist auf dem letzten Platz der Gewinner dieser Wahl gelandet 🗳️



    Zur Erinnerung: AfD +10,4%, BSW +4,9%, Union +4,3%, Die Linke +3,9%.



    Und was steht diesen +3,9% gegenüber? -3% bei den Grünen und -9,3% bei der SPD.



    Deutschland ist ganz entschieden nach rechts gewandert, 50% haben Union und AfD gewählt, SPD und Grüne stehen vor großen inneren Umbrüchen und in der linken Bubble wird wegen 3,9% Zugewinn bei Der Linken ein Jubelartikel nach dem nächsten aus der Pipeline geblasen...🤨



    So schön und unerwartet der Erfolg für Die Linke ist - die Wahl insgesamt ging fürs linke Spektrum krachend verloren und die 3,9% wurden ja nicht vom politischen Gegner gewonnen - siehe Berlin - der Erfolg Der Linken wurde maßgeblich mit dem Blut der Grünen erkauft, Berlin ist nun schwarz-lila gefärbt statt einst grün...



    Auch Volt kam komplett unter die Räder - in Berlin als auch deutschlandweit. Gar hinter der Tierschutzpartei am Ende, 0,7% der Bedeutungslosigkeit...



    Ich kann diese ganzen Jubelarien nicht nachvollziehen🤷‍♂️



    Hatte man Stimmen von rechts oder der Mitte errungen - aber so?

  • Tja, Profil schärfen... CDS/CSU sind die Probleme der normalen Bürger doch völlig wumpe. Die betreiben Besitzstandswahrung im Interesse der Oberschicht, koste es was es wolle. Das ist schon ein scharfes Profil. Mit Protesten auf der Straße kann das sicher bekämpft werden, wenn es nämlich wieder darum geht, das Sozialsystem zusammenzukürzen. SPD und die Grünen haben das mit dem Sozialproblem aus meiner Sicht noch nicht verstanden. Da ist die Denke aus Sicht der alten Bundesländer noch viel zu stark. Und der Teil des Bündnis 90 bei den Grünen ist doch inzwischen völlig untergebuttert worden. Das wollten sie ja schon mal aus dem Namen streichen. Viele haben aber nicht begriffen, was eigentlich dahintersteht. Und da sind wir wieder genau bei dem Problem, was viele schon in den letzten Jahren an unterschiedlichen Stellen angesprochen haben. Der Westen hat den Osten nicht verstanden, vor allem nicht verstehen wollen, leider. Vielleicht ändert sich das jetzt mal, endlich.

    • @Minion68:

      Dann doch bitte mal verraten, was der Westen denn nicht verstanden hat?

      • @Axel Schäfer:

        Wer das wissen will, sollte sich bitte mit der Transformation in den neuen Bundesländern ab den 90ern beschäftigen. Man findet hierzu jede Menge Menge Material.