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Soziologe Holm über Mietpreisbremse„Verdrängung ist kein Naturgesetz“

Bald greift die erste Mietpreisbremse. Der Stadtsoziologe Andrej Holm analysiert ihre Schwächen – und schlägt andere Maßnahmen vor.

Die neue Mietpreisbremse gilt nur, wenn Wohnungen wieder vermietet werden. Foto: dpa
Interview von Stefan Simon

taz: Wem nützt die neue Mietpreisbremse, die ab 1. Juni erst einmal nur in Berlin gilt?

Andrej Holm: Profitieren werden Menschen, die ein durchschnittliches und überdurchschnittliches Einkommen haben. Menschen in Wohnungsnotlagen bringt die Maßnahme nichts. Wenn Mieten auf zehn Prozent über dem Durchschnitt begrenzt werden, dann freut das vor allem jene, deren Einkommen auch zehn Prozent über dem Durchschnitt liegen. Alle die weniger verdienen, brauchen auch Mietpreise unterhalb des Durchschnitts. Was den Mangel an leistbaren Wohnungen angeht, hat die Mietpreisbremse nichts zu bieten.

Kommt die Mietpreisbremse zu spät? Viele Wohnungen sind ja jetzt schon sehr teuer.

Es ist absurd zu glauben, eine Regelung, die unzureichend ist, hätte bei früherem Inkrafttreten eine bessere Wirkung erzielt. Was fehlt ist eine Wohnungspolitik, die soziale Anforderungen der Wohnungsversorgung auch gegen private Verwertungsinteressen durchsetzt. Die handzahme Mietpreisbremse tut dies nicht. Gerade in den Städten mit angespannten Wohnungsmärkten locken hohe Neuvermietungsmieten oder Verkaufspreise nach einer Umwandlung. Die Preise für Grundstücke und Häuser sind in den vergangenen Jahren stark gestiegen, weil Investoren mit den künftigen Einnahmen kalkulieren. Je stärker sich diese Ertragserwartungen von den Bestandsmieten entkoppeln, desto höher der Verdrängungsdruck für die Mieterinnen und Mieter. Was wir brauchen, ist eine Verwertungsbremse, die diese Ertragslückenspekulation beim Handel mit Grundstücken einschränkt.

Hat sich diese Situation verschärft? Gehen Vermieter heute härter gegen Mieter vor als früher, wenn die Chance auf höhere Neuvermietung besteht?

Würde ich nicht sagen. Die Immobilieneigentümer haben immer sehr viel dafür getan, Mieter aus ihren Wohnungen zu verdrängen. Überall wo Ertragssteigerungen locken und immer dann, wenn die Möglichkeit besteht, versuchen Eigentümerinnen und Eigentümer ihre Interessen auch gegen die Mieterschaft durchzusetzen.

Dagegen müsste doch die Mietpreisbremse helfen, denn schließlich begrenzt sie ja die möglichen Neuvermietungsmieten.

Die Mietpreisbremse bietet leider keinen Schutz vor Verdrängung, weil der Gesetzgeber der Eigentümerseite zu viele Ausnahmen zugesteht. Neubauten, umfassende Modernisierung und Umwandlung in Eigentumswohnungen sind von den Regelungen der Mietpreisbremse ausgenommen. Überall dort, wo durch einen Mieterwechsel hohe Ertragssteigerungen locken, werden diese Lücken konsequent ausgenutzt werden. Daneben bringt das Gesetz eine Reihe von praktischen Problemen mit sich. So sind Wohnungen, die umfassend renoviert werden, drei Jahre von der Mietpreisbremse ausgenommen. Es wurde aber nicht exakt definiert, was mit „umfassend renoviert“ gemeint ist. Da wird es viele Rechtstreitigkeiten geben.

Bild: Wolfgang Borrs
Im Interview: Andrej Holm

44, ist deutscher Sozialwissenschaftler und forscht als Stadtsoziologe zu Gentrifizierung und Wohnungspolitik. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Glauben Sie, dass Vermieter verstärkter umfassende Renovierungen geltend machen werden?

Ja, die Mietpreisbremse definiert schließlich die Ausnahmen. Die Regelung bietet einen Anreiz für Eigentümer oder Vermieter, diese Lücke auch zu nutzen. Die Eigentümer werden sehr geschickt sein, diese Möglichkeiten auszuloten.

Ist nicht das eigentliche Problem der Wohnungsmangel?

Ja, denn die Preise steigen dort, wo tatsächlich zu wenige Wohnungen zur Verfügung stehen. In schrumpfenden Städten, wie Halle oder Chemnitz, spielt die Mietpreisdynamik keine so große Rolle. Durch die Mietpreisbremse entstehen keine neuen und vor allem keine preiswerten Wohnungen.

Die Immobilienbranche beklagt, dass die Mietpreisbremse Neubauten verhindern und Investoren abschrecken würde.

Es ist das Geschäft der Immobilienlobby, jede Störung ihres Geschäfts zu kritisieren. Den lautstark angekündigten Investitionsstreik der Bauherren wird es aber nicht geben, Neubauten sind schließlich von der Mietpreisbremse ausgenommen.

Was müsste die Politik aus Ihrer Sicht tun?

Die aktuelle Situation ist Ergebnis eines langjährigen Versagens der Wohnungspolitik. Zur Zeit wird versucht die Fehler, die durch die massiven Privatisierungen, die Kürzungen der Wohnbauförderung und eine weitgehende Liberalisierung des Städtebaurechts entstanden sind, durch ungeeignete Instrumente wieder gut zu machen. Auf Dauer wird das in Großstädten mit sozialen Spannungen nicht ausreichen. Es muss auf kommunaler Ebene der soziale Wohnungsbau gefördert werden. Und es müssen Menschen unterstützt werden, die besonders schwer eine Wohnung finden.

In manchen Straßenzügen in Großstädten gibt es mittlerweile vor allem Ferienwohnungen.

In Berlin gibt es inzwischen das Zweckentfremdungsverbot. Dadurch soll künftig die Umwandlung in Ferienwohnungen verhindert werden. Ob es jedoch hilft, den Boom einzudämmen, wird davon abhängen, ob das Personal in den Ämtern mit ausreichend Sanktionspotenzial ausgestattet wird.

Kann man überhaupt noch gegen Gentrifizierung vorgehen?

Man kann. Und man sollte auch! Aufwertung und Verdrängung sind schließlich kein Naturgesetz und es gibt ja bereits zahlreiche Initiativen, die dagegen vorgehen. In vielen Städten wehren sich Hausgemeinschaften gegen Modernisierungsvorhaben, Umwandlungen und Mieterhöhungen, und in Berlin mobilisieren Initiativen zur Zeit für einen Mietenvolksentscheid, mit dem ein eigenes Gesetz zur Sozialen Wohnraumversorgung durchgesetzt werden soll. Weil die Politik versagt, nehmen Mieterinnen und Mieter die Wohnungsfrage nun selbst in die Hand.

Wäre es sinnvoller gewesen, die Mietpreisbremse bundesweit einheitlich einzuführen? Wo sie jetzt kommt, legen ja die Bundesländer fest.

Könnte eine Überlegung wert sein. Allerdings ist es weniger sinnvoll, ein zahnloses Instrument besser zu machen um eine breite Anwendung zu finden. Die Wirkung hätte es nicht verstärkt.

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7 Kommentare

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  • Ist das nicht einfach einer dieser Pseudo-Märkte, die gar nicht richtig funktionieren können?

     

    Ich würde auf eine ernsthafte und progressive Besteuerung immobiler Vermögenswerte - abhängig vom Marktwert - setzen: http://wiki.piratenpartei.de/Antrag:Bundesparteitag_2012.2/Antragsportal/PA549

     

    Außerdem muss die Geldschöpfung reformiert werden, denn die Immobilienpreise sind zum guten Teil auch ein Ergebnis der Bilanzierungsverfahren der Geschäftsbanken: http://wiki.piratenpartei.de/Antrag:Bundesparteitag_2012.2/Antragsportal/PA571

    • @Eric Manneschmidt:

      Nicht den Wald vor lauter antikapitalistischen Bäumen aus den Augen verlieren, Herr Manneschmidt! Der Mietmarkt ist so real wie nur was: Es gibt Angebot und Nachfrage, und die regulieren sich gegenseitig. Denn Wohnraum ist nicht durchweg "überteuert". Vergleichsweise(!) günstige Mieten finden sich sogar in München oder Hamburg, nur halt nicht in den angesagten Gegenden.

       

      Wo es aber angesagt ist zu wohnen, liegen die Mietpreise deshalb so hoch, weil es genug Menschen gibt, die willens und in der Lage sind, die bevorzugte Lage mit dem entsprechenden "Premiumaufschlag" zu bezahlen. Sonst würden die Vermieter auf den Wohnungen sitzen bleiben bzw. mit den Preisen runtergehen müssen.

       

      Solange pro Wohnung EIN williger Interessent ausreicht, um sie vermietet zu bekommen, ist es dem Markt recht egal, ob zwanzig Anderen der Preis zu hoch wäre. Man kann jede Wohnung halt nur einmal vermieten, und etwaige zwanzig andere Interessenten schauen so oder so in die Röhre.

       

      Also:

      Der Markt funktioniert hervorragend. Was nicht funktioniert, ist die Forderung, dass das, was Alle haben wollen, auch in der benötigten Menge und für Alle erschwinglich zur Verfügung steht, auch wenn es eine (schon rein physikalisch notwendig) begrenzte Ressource ist. Diesen Zustand würde man aber richtigerweise nicht "Markt" nennen sondern "Schlaraffenland"...

      • @Normalo:

        Ja nun, komischerweise haben doch viele Menschen (bzw. Wahlberechtigte) keine Lust auf Obdachlosigkeit. Auch nicht für andere. (Äh, ...Schlaraffenland?)

        Deswegen wird halt reguliert und es werden auch Zuschüsse gewährt und die Kosten der Unterkunft übernommen (Sozialgesetzgebung).

        Und in dem Moment (spätestens) ist es halt vorbei mit dem Markt.

        Wobei die aus der sehr asymetrischen Vermögensverteilung entstehenden Monopol- und Oligopolsituationen eigentlich sowieso schon verhindern, dass es einen funktionierenden Markt gibt.

        Also halt diese Vermögensverteilung angehen (von oben nach unten) und dann deregulieren, würde ich sagen.

        • @Eric Manneschmidt:

          Sie tun so, als seien transferfinanzierte Mietverhältnisse zahlenmäßig stark genug vertreten, um diktieren zu können, ob es einen funktionierenden Markt gibt. Das ist aber nicht der Fall - gerade nicht da, wo sich die Mietinteressenten knubbeln.

           

          Auch geht es nicht darum, Obsdachlosigkeit zu verhindern, sondern die 10% (großzügig geschätzt) Wohnraum zu verteilen, für die eine unerfüllbar hohe Nachfrage von zahlungskräftigen Interessenten besteht. Wer sich keine Wohnung in einem schicken Münchner Innenstadtquartier leisten kann, sitzt deshalb noch lange nicht auf der Straße. Er hat es nur nicht so bequem und prestigereich wie Andere.

           

          Und was die Vermögensverteilung betrifft: Die ist ein Symptom eines funktionierenden Marktes. Vermögen werden fast ausschließlich durch Konsumentenverhalten ermöglicht. Wenn z. B. jeder Depp meint, unbedingt ein IPhone zu brauchen, dann werden eben Apple und seine Aktionäre reich davon. Entsprechendes gilt für die Vermieter in preistreibenden Lagen: Wo kein Markt, da kein Profit.

          • @Normalo:

            Transferfinanzierte Mietverhältnisse mögen nicht überall eine Rolle spielen, sicherlich aber in Berlin, Bremen...

             

            Ansonsten: Sie definieren "Markt" über die Anwesenheit von Mono-/Oligopolen und ich denke es ist genau andersherum.

            Daher können wir nur aneinander vorbeidiskutieren.

  • Ob es nun an der Redaktion oder an Herrn Holm liegt, gerade, als der Artikel spannend wurde, kamen nur Allgemeinplaetze. Was kann man den nun gegen Gentrifizierung machen, ohne den Wohnungsmarkt komplett zu verstaatlichen?

     

    Nachdem Herr Holms das erste mal klargestellt hat, dass er die Mietpreisbremse fuer wirkunglos haelt, haette man ausserdem weitere Fragen dazu, ob jemand anderes dafuer zustaendig sein solle, auslassen koennen...

  • Die Rüge nach einem Einzug durch einen neuen Mieter in Bezug auf die Unstimmigkeit mit der Mietpreisbremse kann es in Berlin nur „theoretisch“ geben.

     

    Der Wohnungsmarkt in Berlin ist ein Verkäufermarkt.

     

    Sehr oft haben Vermieter mehr als 100 Bewerber auf eine Wohnung. Der Vermieter bekommt von Bewerbern die Einkommensauskunft und Einsicht in die Schufa Daten. Wer mehr Geld hat, der bekommt die Wohnung. Das ist zwar gegen das Sozialstaatsprinzip, weil dadurch stets die Diskriminierung nach Einkommen stattfindet und Vermietungen vom Wohnraum nur ausnahmsweise zum Wohle der Allgemeinheit geschehen. Die schwere Wohnmarktsituation wirdallein für Profitsteigerung der Eigentümer ausgenutzt.

     

    Die Mietpreisbremse ist trotzdem ein wichtiger erster Schritt damit die soziale Verdrängung einen größeren Stolperstein bekommt und die soziale Marktwirtschaft (Art. 20 GG), die in unserem Land verpflichtend immer gilt, die soziale Komponente nicht verliert. Damit ist aber noch nicht Schluss und diese Mietpreisbremse muss mit der Zeit angepasst, feinjustiert und zum Wohle der Allgemeinheit (was vor Eigentum in Deutschland immer vorrangig gilt, Art. 20 in Verb. mit Art. 14 GG) verbessert werden.

     

    Das ist auch ein Signal an das Volk, wählen zu gehen und weiterhin mit Politikern mitzureden. Denn unsere Politiker müssen und wollen ja wissen, was alle Menschen in unserem Land wollen und brauchen.

     

    Wir brauchen mehr Wohnungen in öffentlicher Hand, mit einem fairen sozialen Vergabeverfahren und an Einkommen und Inflation gebundene Mieten. Diese Landes- oder Bundeseigene Immobilienunternehmen dürfen keine kommerziellen Zwecke verfolgen.

     

    Kann der Verkäufermarkt durch Politik zum Käufermarkt bzw. Mietermarkt umgewandelt werden? Kann die zukünftige nachgebesserte Mietpreisbremse Mieten auch senken?

     

    Ja! Denn wir sind ein Land der sozialen Marktwirtschaft, in dem das Eigentum verpflichtet, vorrangig zum Wohle der Allgemeinheit zu wirtschaften.