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Sozialträger wirft Mieter rausRäumung durch die Hintertür

69-Jähriger wird vom Sozialträger Fördern und Wohnen aus seiner Wohnung zwangsgeräumt. Mehr als 50 Polizisten im Einsatz, um Protest-Blockade aufzulösen.

Wollten Zwangsräumung verhindern: Aktivisten vor der Wohnanlage Hüllbeen 12 in Harburg-Rönneburg.

Mit einem großen Polizeiaufgebot ist dem Mieter Hans-Werner Mathies am Donnerstag die Räumungsverfügung für seine Dachgeschoss-Wohnung Hüllbeen 12 in Harburg-Rönneburg überbracht worden. Der Hauptmieter Fördern und Wohnen (F&W) setzte Mathies dabei die Pistole auf die Brust: Entweder er unterschreibe einen Mietvertrag für eine ihm nicht bekannte Wohnung in der F&W-Unterkunft in der Oldenburger Straße in Stellingen oder er werde sofort zwangsgeräumt und könne sich dann im Männerwohnheim Wetternstraße oder in der Obdachlosen-Übernachtungsstätte Pik As einen Platz suchen.

Der förmliche Verwaltungsakt durch eine Gerichtsvollzieherin war begleitet von Protesten von Gentrifizierungskritikern. Rund 50 Aktivisten der Kampagne „Zwangsräumungen verhindern – Mietenwahnsinn stoppen“ des Netzwerks Recht auf Stadt hatten sich vor den Eingängen der Wohnanlage in der Rönneburger Einfamilienhaussiedlung postiert, um dem Rausschmiss von Mathies Paroli zu bieten. Denn Mathies Fall ist einer von vielen: In Hamburg gab es im vergangenen Jahr 1.600 Zwangsräumungen.

In der Rönneburger Wohnanlage mit Garten war seit 2003 das F&W-Projekt „befristetes Mietwohnen“ untergebracht, in dem Obdachlose auf ihre Sozialverträglichkeit getestet wurden. Seit Ende 2012 lässt P&W aus Kostengründen und in Abstimmung mit der Sozialbehörde das Projekt auslaufen. Die städtische Wohnungsbaugesellschaft Saga verlangt das Areal entmietet zurück, um die Wohnanlage modernisieren und neu vermieten zu können.

„Im Rahmen der Beendigung des Projektes sind insgesamt 39 Haushalte in eine eigene Wohnung bei der Saga, bei einem anderen Wohnungsunternehmen oder in Wohnungen von F&W gezogen“, sagte F&W-Sprecherin Christiane Schröder. „Für Herrn Mathies hat sich trotz aller Bemühungen aufgrund seines Unterstützungsbedarfs kein Wohnungsangebot bei anderen Vermietern ergeben.“ Andere Angebote habe er nicht angenommen.

Dass Mathies nun eine Wohnung mit unbefristetem Mietvertrag in der Oldenburger Straße bekommen hat, ist nach Auffassung der Aktivisten dem öffentlichen Druck geschuldet.

SAGA/ GWG

Die SAGA/ GWG gehört der Stadt und gilt als zentrales kommunales Instrument für eine soziale Wohnungspolitik. Aufsichtsratsvorsitzende ist Jutta Blankau (Senatorin für Stadtentwicklung).

Als größtes Wohnungsunternehmen Hamburgs verfügt sie über 130.000 Mietwohnungen und 1.500 Gewerbeobjekte.

Der soziale Ausgleich in den Wohnquartieren ist ein wichtiges Ziel des Unternehmens. Deshalb fördert es in verschiedenen Stadtteilen den Sport und die Kunst.

Weniger Sozialwohnungen: Während 1990 noch 77 Prozent des Saga-Bestandes Sozialwohnungen waren und entsprechend vermietet werden mussten, gehen seit 2010 nur 19 Prozent der Neuvermietungen an vordringlich Wohnungssuchende.

Allein um der Gerichtsvollzieherin und zwei F&W-Mitarbeitern sowie einem Spediteur am Donnerstagmorgen den Weg in den Hüllbeen 12 frei zu machen, brauchte die Polizei zwei Anläufe. Erst als noch ein Trupp Verstärkung eingetroffen war, gelang es den mehr als 50 Polizisten durch schubsen und zerren dem Räumungstrupp den Weg durch die Sitz- und Stehblockaden zu bahnen. Bei der Räumung nahm die Polizei zwei Minderjährige vorübergehend fest und erteilte ihnen Platzverweise.

„Ich musste gleich den Mietvertrag unterschreiben. Ich bin erpresst worden“, sagte Hans-Werner Mathies im Anschluss an den Besuch der Gerichtsvollzieherin und der F&W-Mitarbeiter. „Die hätten sonst meine Sachen herausgetragen und zwangseingelagert, das kostet viel Geld.“

So könne er jetzt noch einen Tag lang seine Sachen zusammenpacken. Am Freitag werde der Spediteur sein Hab und Gut abholen und nach Stellingen bringen. „Die möchten gern, dass das Freitag alles reibungslose geht – die Polizei möchte nicht wieder gerufen werden“, sagte Mathies.

„Diese Zwangsräumung ist ein massiver Eingriff in das Leben eines fast 70-Jährigen“, kritisierte Katharina Jung vom Bündnis Zwangsräumung verhindern. „Die Saga und F&W entziehen sich mittels gegenseitiger Schuldzuweisungen ihrer sozialen Verantwortung. So berauben sie Herrn Mathies seines existenziellen Lebensraums.“

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3 Kommentare

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  • S
    Steffi

    Sie schreiben nicht, was der Grund für die Zwangsräumung war.

  • RB
    Rüdiger Bäcker

    Was Herrn Mathies hier widerfährt, ist eine schlimme Sache. In seinem Alter einen gerade erst wiedergewonnenen Lebensmittelpunkt zu verlieren, ist hart. Aber was soll denn nun konkret geschehen? Ich frage mich zunächst einmal, ob es einen Räumungstitel gegeben hat? Ohne einen solchen Titel hätte Herr Mathies nicht geräumt werden dürfen. Wer hat diesen Titel ausgefertigt? Natürlich stellt sich auch die Frage, wo denn die anderen sozialen Institutionen waren, als sich der Konflikt mit dem Sozialträger anbahnte? Und wenn die SAGA einem solchen Projekt Räume übergibt, muß sie dann nicht auch damit rechnen, dass einzelne "Problemfälle" übrig bleiben? Warum hat die SAGA Herrn Mathies in Wohnortnähe keine andere Wohnung vermitteln können? In diesem Stadtbezirk werden seitens der SAGA laufend 1 - Zimmerwohnungen als " Altenwohnungen " auf dem Markt angeboten. Jeder kann sich davon in den entsprechenden Internetportalen überzeugen. Davon war keine Wohnung für Herrn Mathies geeignet? Der Sozialträger kam auch nicht auf die Idee, für Herrn Mathies zu suchen? Am Ende passiert das, was Menschen wie Herrn Mathies laufend widerfährt : Er gerät in Vergessenheit. Die Maschinerie der Empörten, Geschäftemacher und Politiker rollt unbeirrt weiter. Vielleicht gibt es eine Kleine Anfrage. Natürlich durch 'Nichtantworten" des Senats totgelabert. Und irgendwann geschieht der nächste Fall Mathies und das Ganze beginnt von vorne. Es stimmnt wohl (wieder), was Zille um 1890 schrieb: " Mit einer Wohnung kannst Du einen Menschen erschlagen wie mit einer Axt."

  • MC
    Max C. Brauer

    Hamburg du meine Perle

    Hamburg du meine Kugel

    wat hest du di verennert !

    Die soziale Atmosphäre bei Konflikten gleicht der von Chicago. Gewissenlose SAGAisten, gewissenlose Gerichtsvollzieher, gewissenlose Polizisten.

    Von der vereinigten bürokratischen Arbeiterklasse mit 70 erst einmal eins in die Fresse - das ist der wahre Kern der SPD. Alles andere ist nur Schnack.