Sozialticket nach dem Berlin-Pass: Die missglückte Reform
Der Nachfolger des Berlin-Passes – der sogenannte Berechtigungsnachweis – ist ein Bürokratie-Monster. Und gehört ganz schnell wieder abgeschafft.
N atürlich war es gut gemeint. Die Reform des Berlin-Passes sollte die Bürgerämter entlasten – und in der Tat wäre uns allen damit gedient, wenn es dort wieder schneller und mehr Termine gäbe. Dumm nur, dass die Änderungen, die noch der alte rot-grün-rote Senat verfügt hat, dafür sorgen, dass nun andere Ämter – Sozialämter, Jobcenter, Landesflüchtlingsamt, Wohngeldstellen – Mehrarbeit haben. Und das ist beileibe nicht das größte Problem.
Viel gravierender ist, dass tausende Nutzer*innen seit Jahresbeginn bei BVG-Kontrollen zu einem „erhöhten Beförderungsentgelt“ verdonnert wurden, weil sie den Nachfolger des Berlin-Passes im Bereich Verkehr – die „VBB-Kundenkarte Berlin S“ – nicht vorweisen konnten, um nachzuweisen, dass sie für die Nutzung des 9-Euro-Tickets berechtigt sind. Über 10.000 Geringverdiener*innen sollen nach taz-Informationen eine 60-Euro-Buße zahlen – weil eine Verwaltungsreform total in die Hose ging.
Dabei hätte man Sicht von Nutzer*innen den alten Berlin-Pass ohnehin beibehalten können. Man bekam ihn unbürokratisch und ohne Termin bei den Bürgerämtern, musste nur Ausweis, Passbild und den Leistungsbescheid vom Amt mitbringen. Mit dem Pappkärtchen konnte man das günstige ÖPNV-Ticket kaufen, das seit der zwischenzeitlichen Einführung des 29-Euro-Tickets eben nur noch 9 Euro kostet.
Außerdem bekamen Berlin-Pass-Inhaber*innen zahlreiche weitere Vergünstigungen bei kulturellen Angeboten – ein wichtiges Angebot, um armen Menschen soziale und kulturelle Teilhabe zu ermöglichen.
Nicht diskriminierungsfrei
Aus Verwaltungssicht hatte der Papier-Pass Nachteile: Erstens musste ihn jemand ausstellen – und vielleicht könnte man hier durch Digitalisierung oder Wechsel in der Zuständigkeit Zeit einsparen?
Zweitens war er nicht ganz fälschungssicher, was angeblich vor allem die BVG gestört haben soll. Heißt es nun zumindest aus grünen und linken Politikerkreisen. Die BVG will die Neuerung nicht gewollt haben, wie überhaupt niemand mehr im politischen Berlin die Reform so, wie sie geworden ist, gewollt haben will.
Drittens – ein Argument, das gegenüber der taz eine Linken-Politikerin vorbrachte – sei das Vorzeigen des Berlin-Passes in Bus und Bahn „diskriminierend“. Alle könnten sehen, dass die betreffende Person Sozialleistungsbezieher*in ist.
An letzterem hat sich mit Einführung der neuen VBB-Kundenkarte Berlin S rein gar nichts geändert. Diese Kundenkarte sieht anders aus als die BVG-Abokarte: Sie ist grau, mit großem Foto und einem fetten „T“ in der Mitte – was immer das bedeutet. Wer sich damit in der Bahn ausweist, ist auf 20 Metern als „besonderer Fall“ zu erkennen. Diskriminierungsfrei ist die VBB-Karte also schon mal nicht.
Überlastete Ämter
Das größere Problem ist allerdings, dass es hochkompliziert ist, die Karte zu bekommen – aus vielen Gründen. So kommen die Ämter nicht damit hinterher, den neuen Berechtigungsnachweis zu verschicken, der den alten Berlin-Pass ersetzt hat. Die Sozialämter etwa waren vorher schon überlastet, unter anderem wegen des Ukraine-Krieges, der ihnen viele neue „Kund*innen“, die Kriegsflüchtlinge, beschert hat.
Der Sozialstadtrat von Neukölln, Hannes Rehfeldt (CDU), hat kürzlich im Sozialausschuss des Abgeordnetenhauses vorgerechnet, dass das Sozialamt rund 10 Minuten pro Berechtigungsnachweis braucht – bei 14.000 „Kund*innen“ mache das also 140.000 Minuten Mehraufwand allein im Sozialamt Neukölln. Wir rechnen weiter: Das sind 2.333 Arbeitsstunden – oder 58 Wochen (!) Arbeit für eine fleißige Vollzeit-Biene.
Das liegt auch daran, dass „Digitalisierung“ in der Berliner Verwaltung nicht wirklich digital heißt. Beim Berechtigungsnachweis ist es so, dass die nun angeblich fälschungssicheren QR-Codes von den Sozialamts-Mitarbeiter*innen händisch in ein 12-seitiges Papierdokument (!) eingeklebt werden müssen. Das sei offenkundig „auch nicht der Gipfel der Digitalisierung, die Berlin braucht“, monierte Rehfeld zu Recht.
Etwas zu digital war dafür die Beantragung der VBB-Karte. Dafür mussten Berechtigte besagten QR-Code selbst scannen und ihn samt einem digitalen Passfoto auf einer Online-Plattform der BVG – beziehungsweise eines von der BVG beauftragten privaten Dienstleisters – hochladen.
Ziel ist Teilhabe, nicht Zeitersparnis
Die Sache ist an sich kompliziert, und nicht nur 85-jährige Bezieher*innen von Grundrente sind daran gescheitert. Dass rein digitale Angebote zwangsläufig Menschen ausschließen, hätte der Senatssozialverwaltung, die das Ganze veranlasst hat, von Beginn an klar sein müssen.
Dazu kam, dass die Plattform in den ersten Wochen oder Monaten fehlerhaft lief, QR-Codes etwa nicht erkannt wurden. Immerhin: Seit einigen Wochen kann die VBB nun auch per Brief (schon wieder: Papier!) beantragt werden. Allerdings ist die Sache immer noch kompliziert – viel komplizierter als der alte Berlin-Pass.
Die Forderung von Betroffenen und Sozialpolitiker*innen von CDU über Grüne, SPD bis Linkspartei, dass man daher zum Berlin-Pass zurückkehren sollte, bis eine wirklich praktikable andere Lösung gefunden ist, ist daher verständlich. Es braucht schnell und pragmatisch eine Lösung, damit ab sofort wieder alle, die auf die Vergünstigungen angewiesen sind, sie auch in Anspruch nehmen können.
Dann können sich Politik und Verwaltung in Ruhe überlegen, was sie warum und wie ändern wollen. Und vielleicht denken sie nochmal ganz grundsätzlich darüber nach, was die Idee des Berlin-Passes war: eine Teilhabemöglichkeit für arme Menschen zu schaffen. Alles andere – Entlastung von Ämtern, Digitalisierung, Fälschungssicherheit – sollte diesem Ziel untergeordnet werden.
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