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Sozialökonom über GrundeinkommenVollautomatischer Luxusliberalismus?

Gastkommentar von Kai Brüggemann

Hamburg stimmt bald über ein Grundeinkommen ab. Unser Gastautor bezweifelt, dass das die gegenwärtige Gesellschaft wirklich gerechter machen würde.

Wirbt für Zustimmung: Plakat fürs Volksbegehren zum Grundeinkommen in Hamburg-Eimsbüttel Foto: Christian Charisius/dpa

S tellen Sie sich vor, eine Initiative setzt sich dafür ein, dass eine von Ihnen gewünschte politische Maßnahme, etwa das Deutschlandticket, unter zweitausend ausgewählten Leuten „modelliert“, also getestet, wird. Was würden Sie denken?

Sie könnten hoffen, unter den Glücklichen zu sein. Sie könnten sich wünschen, dass der Test Ent­schei­dungs­trä­ge­r:in­nen in der Politik überzeugt, die Maßnahme tatsächlich einzuführen.

Sie könnten sich aber auch fragen, warum die Initiative nicht direkt für die Einführung der Maßnahme kämpft.

Es lässt sich durchaus fragen, warum die Hamburger Kampagne für die Testung des bedingungslosen Grundeinkommens sich für ein Experiment einsetzt, und nicht für eine reale Umsetzung. Warum entpolitisiert die Kampagne eine konkrete Forderung und neutralisiert sie als wissenschaftliches Experiment?

Kai Brüggemann

geboren 1995, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für die Geschichte der Volkswirtschaftslehre an der Universität Hamburg. Dies ist seine private Sichtweise.

Zugegeben, wissenschaftlicher Rat ist unerlässlich für öffentlichen Diskurs. Als Experiment wird die reale Umsetzbarkeit des Grundeinkommens aber von vornherein aus der Debatte gezogen. Das Problem: Genau das ist aus volkswirtschaftlicher Sicht die Achillesverse der Grundeinkommensidee.

Lassen Sie mich einen „Hot Take“ zum Experiment formulieren: Ja, das Grundeinkommen, in verschiedenen Varianten, wird den Teilnehmenden ganz gut gefallen. Dazu gab es auch schon mehrere Versuche, in Deutschland, in der Schweiz, in Finnland, in den USA. Auch ist aus progressiver Perspektive die Befreiung von Arbeitszwang und Existenzsicherung wünschenswert, keine Frage.

Die öffentliche Debatte um das Grundeinkommen sollte sich aber viel mehr um die Praktikabilität als Arbeitsmarkt- und sozialpolitische Maßnahme drehen. Denn das ist, was ein Grundeinkommen ist. Damit muss es sich auch an sozialstaatlichen Alternativen messen lassen.

Die öffentliche Debatte um das Grundeinkommen sollte sich viel mehr um die Praktikabilität als Arbeitsmarkt- und sozialpolitische Maßnahme drehen

Der Punkt ist: Ein Grundeinkommen steht auf der Ausgabenseite einer volkswirtschaftlichen Rechnung. Auf der Einnahmenseite stehen Verteilungskämpfe um Löhne, Profite und Steuern zur Finanzierung der Staatsausgaben. Gewerkschaften sprechen sich jedenfalls regelmäßig gegen ein Grundeinkommen aus. Ist das Grundeinkommen also eine sozialpolitische Nebelkerze?

Ist das Grundeinkommen besser als der Sozialstaat?

Der Sozialstaat umfasst ja viel mehr als eine regelmäßige Zahlung, er berücksichtigt aus gutem Grund den individuellen Kontext, und steht, gerade in heutigen Zeiten, massiv unter Druck.

Ein Grundeinkommen, so die Idee, ist ein Mindesteinkommen, das heißt eine regelmäßige Zahlung, die allen Bür­ge­r:in­nen zusteht. Ist also das Arbeitsmarkteinkommen nicht existenzsichernd, zahlt die Gesellschaft drauf. Dagegen sind zum Beispiel Mindestlöhne politische Maßnahmen, die genau das verhindern sollen, damit die Gesellschaft, und damit der Sozialstaat, ausbeuterische Arbeitsverhältnisse nicht belohnt.

Das Grundeinkommen ist darüber hinaus zu unterscheiden von einem bedingungslosen Grundeinkommen. Das steht grundsätzlich allen zu, unabhängig von bestehenden Arbeitsmarkt- und Kapitaleinkommen. Bedingungslosigkeit heißt also in der Theorie, dass der Top-Manager, der sein Millioneneinkommen in Aktien anlegt und saftige Renditen erntet, noch eine Zahlung obendrauf kriegt. Für die politische Debatte zum Grundeinkommen ist also die Höhe und Bedingung der Auszahlung entscheidend, damit diese als ernstzunehmende Alternative zum bestehenden Sozialstaat gelten kann.

Der Hamburger Gesetzesentwurf, der auch ein „bedingungsloses Grundeinkommen“ vorsieht, unterscheidet deshalb zwischen einer „Sozialdividende“, die allen zusteht, und der sogenannten „negativen Einkommenssteuer“, fokussiert sich aber auf letztere.

Idee eines neoliberalen Vordenkers

Was ist mit der „negativen Einkommenssteuer“ gemeint? Die Idee geht auf den neoliberalen Vordenker Milton Friedman zurück. Er prägte sie in den 1960er-Jahren, in einer Zeit als Wachstumsraten in den USA zurückgingen und der Wohlfahrtstaat der Nachkriegszeit zunehmend finanzpolitisch kritisiert wurde. Springender Punkt im Vorschlag Friedmans: Der Staat reduziert seine Leistungen auf eine monatliche Überweisung – dafür sind öffentliche Güter, von Bildung über Rente und Gesundheit, nicht mehr öffentlich finanziert.

Aus sozialpolitischer Sicht ist das ein eindeutiger Rückschritt. Das Konzept kommt außerdem aus der Kategorie „Steuererklärung auf dem Bierdeckel“ und entspringt der Vision eines möglichst unbürokratischen und verschlankten Staates.

Progressive Politik muss in erster Linie für höhere Einkommenssteuern für Reiche, für Vermögenssteuern und eine gerechtere Schuldenpolitik kämpfen, um das Geld dann den Menschen zugutekommen zu lassen, die es am dringendsten brauchen. Natürlich wäre es auch wünschenswert, die Sanktionierung im Bürgergeld zu reformieren, und mehr individuelle Freiheit zu schaffen. All das wären konkrete, politikorientierte Forderungen, die sich an der Realität und nicht an einem Experiment orientieren.

Vielleicht ist ein bedingungsloses Grundeinkommen in einer Utopie denkbar. In heutigen Zeiten geht es aber an wirtschafts- und sozialpolitischen Herausforderungen vorbei.

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