piwik no script img

Sozialer ZusammenhaltEinsamkeit nimmt in Deutschland zu

Aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der FDP geht hervor, dass mehr und mehr Menschen einsam sind. Das betrifft nicht nur Ältere.

Ab wann ist jemand einsam? Foto: dpa

Düsseldorf dpa | Immer mehr Menschen in Deutschland fühlen sich einsam. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der FDP hervor, wie die Düsseldorfer Zeitung Rheinische Post berichtet. Demnach ist die Einsamkeitsquote bei den 45- bis 84-Jährigen von 2011 bis 2017 um rund 15 Prozent gewachsen. Im Jahr 2017 fühlten sich 9,2 Prozent der Menschen dieser Altersklasse einsam, heißt es in dem Papier der Bundesregierung unter Berufung auf das Deutsche Zentrum für Altersfragen.

Probleme gibt es demnach auch schon bei 11- bis 17-Jährigen. In einer Langzeitstudie (KiGGS) gaben 4,2 Prozent an, sich oft oder immer einsam zu fühlen. 27,6 Prozent sagten, dass sie dies manchmal oder selten verspürten – Mädchen häufiger als Jungen.

Mit Verweis auf wissenschaftliche Studien schreibt die Bundesregierung, dass insbesondere soziale Isolation Auftreten und Verlauf chronischer Krankheiten ungünstig beeinflusse. So zeigten sich Zusammenhänge für Bluthochdruck und andere wichtige Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronisch obstruktive Lungenerkrankungen sowie psychische Erkrankungen und Demenz.

„Wir brauchen eine Strategie zur Bekämpfung der Einsamkeit“, verlangte der FDP-Gesundheitsexperte Andrew Ullmann. Dazu gehörten innovative Wohn- und Mobilitätskonzepte sowie die Förderung von Gesundheitskompetenz.

Die Regierung verweist in ihrer Antwort unter anderem auf das Bundesprogramm Mehrgenerationenhaus, für das bis 2020 jährlich 17,5 Millionen Euro bereit stünden. Insgesamt gebe es in Deutschland rund 540 Mehrgenerationenhäuser, von denen rund 250 gezielte Angebote für einsame Menschen aus allen Altersgruppen machten. Das Bundeslandwirtschaftsministerium fördere im Rahmen der „Integrierten ländlichen Entwicklung“ etwa Gemeinschaftseinrichtungen.

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hatte bereits Anfang Mai einen Regierungsbeauftragten gefordert, der sich um das Problem anhaltender Einsamkeit in der Gesellschaft kümmert. In Großbritannien wurde bereits ein Regierungsposten geschaffen, um gegen Probleme infolge von Einsamkeit vorzugehen. Nach Angaben der FDP gehen auch Japan, Dänemark und Australien gezielt gegen Einsamkeit vor.

Ein Team um die Psychologin Maike Luhmann von der Ruhr-Uni Bochum, hat 2016 festgestellt, dass Einsamkeit keineswegs ein sich langsam auftürmendes Altersphänomen ist. Zwar hätten die Ältesten am meisten Probleme mit Einsamkeit. Ab 86, wenn körperliche Gebrechen und der Tod von Wegbegleitern oft Realität sind, klage jeder Fünfte darüber. Aber: Auch Menschen in der Lebensmitte (46-55 Jahre, 14 Prozent) und jüngere Erwachsene (26-35 Jahre, 14,8 Prozent) fühlen sich ihren Angaben zufolge häufig einsam. Am wenigsten betroffen waren in der Studie die jüngeren Alten (66-75 Jahre, 9,9 Prozent).

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

19 Kommentare

 / 
  • 0G
    05838 (Profil gelöscht)

    In Diltaturen ziehen sich die Menschen aus dem Öffentlichen ins Private zurück.

  • 0G
    05838 (Profil gelöscht)

    Die meisten trinken heute ihr Bier zuhause. Da schreibt ihnen kein Staat vor, ob sie es links oder rechtsdrehend trinken.

  • Wann haben sich Neoliberale je für soziale Notwendigkeiten interessiert? Was wollen die denn gerade verkaufen?

    Verstärkt seit Thatcher ("there is no society") wird von dieser Szene alles getan, um die Gesellschaft zu atomisieren, soweit erfolgreich. Die Anzahl Kinder in der Psychiatrie und die Scheidungs- und Selbstmordrate sind dabei nur drei von etlichen Kennzahlen.

    Wir leben in einer Aufmerksamkeitsökonomie. Und hauptsächlich durch die Werbeindustrie, vorneweg Facebook und Google usw, wird unsere Aufmerksamkeit permanent erzwungen und gestohlen. Sie haben die Systeme dafür geschaffen und optimiert. Es sind Architekturen, in den man ständig von allen Seiten angebrüllt wird - "schau hier" "nein, schau hier", "ich bin wichtiger" "hier, hier ich bin noch lauter" usw. Das ganze verstärkt und rückgekoppelt durch Kommunikation untereinander. Lassen Sie auf einer Feier mal die Szenerie wirken, wenn wieder einmal der größte Teil nebeneinander sitzt oder steht und jeder einzeln mit seinem Handy beschäftigt ist.

    Aufmerksamkeit ist das wertvollste, was wir Menschen zu geben haben. Alles gedeiht mit Aufmerksamkeit besser - ob man sich um eine Pflanze kümmert, eine Aufgabe mit Muße macht oder eine Beziehung zu anderen Menschen mit Liebe. Liebe ist die höchste Form von Aufmerksamkeit.

  • Der Mensch ist von seinem Wesen nicht ausgelegt darauf, sich auf so große Gruppen, wie z.B. eine Stadt einzustellen. Also isoliert er sich. Dazu kommt, dass man sich für "nichts" mehr braucht. Alles befindet sich auf Inseln wie Arbeitsplatz, Supermarkt usw. Zudem ist die deutsche Gesellschaftsnorm eine stark mißtrauische.

  • 7G
    7964 (Profil gelöscht)

    Fragen wir einfach WARUM?



    Oder im real existierenden Kapitalismus lautet die Frage: Wer profitiert von der Einsamkeit?

    Klar, die Menschen wollen nicht alle Brüder werden, aber ein bisschen Miteinander statt Gegeneinander wäre doch schon schön.

    Leider geht das nicht miteinander Reden sollen oder wollen inzwischen bis in die Arbeitsverträge, in denen ja oft (stark verklausuliert) verboten wird, über Ghälter zu sprechen. Überhaupt nutzt miteinander sprechen nur denen, die es tun - und das geht natürlich nicht.

    Früher lernte man sich auf Bahnhöfen oder in Abteilen kennen - heute fährt jeder mit 135PS durch die Welt oder stiert unentwegt auf sein Händi...

  • Die Gefahr von Einsamkeit ist einer Gesellschaft mit individuellen Lebensentwürfen und einen sozialen Netz garantiert größer als in einer homogenen Gesellschaft mit großen Familien, in denen man ohne die Familie aber völlig verloren ist, weil es keinerlei soziale Netze gibt.

    Dafür ist die Gefahr von destruktiven Abhängigkeiten und massivem persönlichen Unglück dort größer.

    Aber ja, die Gefahr der Vereinzelung ist definitiv gegeben. Das stört Leute, die das Alleinsein nicht schlimm finden, nicht weiter, aber die sind dann ja nur allein, nicht einsam. Einsamkeit ist, wenn man allein ist, aber nicht allein sein will. Man kann übrigens auch in der Menge oder in der Familie einsam sein.

    • @Mustardman:

      Sie haben, insb. mit Ihrem letzten Satz, völlig recht. Langfristige, tiefgehende Bindungen aufzubauen, die irgendwann die Kosten/Nutzen Sphäre völlig verlassen, ist leider sehr schwer ;-(

  • ich frag mich die ganze zeit, was wohl das interesse ausgerechnet der FDP an diesem thema sein mag.



    da kommt doch noch irgendwas. irgendwas mit einem neuen markt....

    • @nelly_m:

      "ich frag mich die ganze zeit, was wohl das interesse ausgerechnet der FDP an diesem thema sein mag. "

      Genau das war auch mein erster Gedanke. Ausgerechnet die FDP???

      Ansonsten: neben struktureller Verbesserungen (z.B. Stadtplanung, bauliche Dinge)



      den Therapeuten in diesem Lande mal erklären, dass es mitnichten gut ist immer nur die Abgrenzung vom anderen zu predigen. Wie wär´s mal mit ein bisschen mehr Solidarität?



      Der Satz "liebe Deinen Nächsten, wie Dich selbst" (jetzt mal als Beispiel) ist in der Balance gedacht. Weder totale Selbstaufgabe, noch totale Abgrenzung ist wirklich hilfreich.

      Wie wär´s mal mit Paartherapie als Kassenleistung?

      Ach ja, und Smartphones verschrotten, dann kommt man auch mal wieder in der Bahn ins Gespräch - das bleibt aber meine Privatutopie ;-)

      • @Oliver Tiegel:

        Smartphones sind doch nicht kausal für das für-sich-selbst-bleiben, nur eine beliebte Ausdrucksweise. Ging und geht genauso mit Zeitung, Buch, Musik...

  • 0G
    05838 (Profil gelöscht)

    In meinem Stadtviertel mit etwa 5000 Einwohnern gibt es nur ein öffentliches Lokal, das aber ibzwischen alle zwei Jahre den Pächter wechselt. Kneipen, in denen man nach Feierabend mal zwanglos ein oder zwei Stunden verbringt, ohne erst weite Wege gehn zu müssen und dabei Leute kennen lernt, sind schon vor 10 Jahren weggefallen. Vermutlich in Folge des Rauchverbots.

    • @05838 (Profil gelöscht):

      Schon interessant, wie Nikotin- und Alkoholsucht das "Argumentationsvermögen" von Menschen auf absurde Weise beeinflussen.

      • @teip hausen:

        Sie haben Recht! Bierkneipen sind für Alkohol- und Nikotinsüchtige, Cafés und Konditoreien für Fresssüchtige, Karstadt für Kaufsüchtige, der Friseur für die Süchtigen des Schönheitswahns, Spielsalons für Spielsüchtige, Clubs und Discotheken für Drogensüchtige, Parks und Schwimmbäder für Sexsüchtige... Ich hoffe, Sie werden 200 Jahre alt und erleben noch, dass Ihre absurd vorurteilsbehaftete, intolerante Grundhaltung zur Staatsreligion erhoben wird. Prost!

      • @teip hausen:

        Muss ich beipflichten! Früher gab es auch Heroin und Kokain in der Apotheke. Das waren Zeiten 😬🤪🤩!

    • @05838 (Profil gelöscht):

      Aha - `Menschen sind zunehmend Einsam wegen Rauchverbot & zu wenig Trinkhallen` und nicht weil sich zunehmend Keiner mehr um den Anderen kümmert ?..

      • @Mr. XY:

        Beziehung macht Arbeit. Permanent Egal ob in der Familie, beim Partner oder Freunden. Wer zu dieser Arbeit nicht bereit ist, ist oder wird einsam. Niemand kann ernsthaft erwarten, dass andere sich "kümmern'.

        • @Chutriella:

          Genau. Sagen Sie das bitte genau so sich einsam fühlenden Kindern.

          Solche Stumpfheit ist wahrscheinlich auch ursächlich.

          • @teip hausen:

            Ok, bei den Kindern mögen Sie recht haben. Aber können Sie meiner Behauptung bzgl. erwachsener Menschen zustimmen, dass Beziehung immer Arbeit bedeutet?

            • @Chutriella:

              Ja da haben Sie recht. Aber was Sie hier suggerieren wollen, dass die Einsamen eben faul und deswegen einsam sind, ist falsch.