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Soziale KürzungenDruck auf Arme steigt

Die schwache Wirtschaftslage führt zu mehr Bürgergeldempfängern und damit zu höheren Sozialausgaben. Das Rezept der Union: Sanktionen.

Für viele arme Menschen wird es dieses Jahr nur für die Reise nach Balkonien reichen Foto: Marijan Murat/dpa

Die Sommerferien nahen, die Temperaturen steigen, aber viele Menschen in Deutschland können sich nicht einmal eine Woche Urlaub leisten. Laut Statistischem Bundesamt galt das im Jahr 2024 für jede fünfte Person hierzulande. Besonders häufig traf es Alleinerziehende, Alleinstehende und Familien mit vielen Kindern.

Wie viele Bürgergeldbeziehende auf Urlaub verzichteten, ging nicht daraus hervor. Doch eine Studie kam kürzlich zum Schluss, dass jeder oder jede Dritte von ihnen sogar auf Essen verzichtet, um über die Runden zu kommen. Fast drei Viertel der Befragten erklärten, die Regelsätze reichten nicht für ein würdevolles Leben. In dieser Stimmung hat das Bundeskabinett nun den Haushaltsentwurf verabschiedet.

Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage rechnet die Bundesregierung in diesem Jahr mit mehr Menschen, die Grundsicherung beziehen werden. Dies wird automatisch zu höheren Ausgaben beim Bürgergeld führen – aber für die Einzelnen sind keine Verbesserungen zu erwarten. Im Entwurf für den Bundeshaushalt werden das Bürgergeld und die Kosten für Unterkunft und Heizung, an denen sich der Bund beteiligt, mit insgesamt 42,6 Milliarden Euro veranschlagt. Zum Vergleich: 2023 betrugen diese Ausgaben rund 37,4 Milliarden Euro.

Die Sanktionen werden nicht helfen

Bärbel Bas,Bundesarbeitministerin

Die öffentliche Debatte über das Bürgergeld, angefeuert durch die Union, dreht sich meist um Sanktionen bis hin zum kompletten Leistungsentzug – so als ließen sich dort Milliarden holen. Im Koalitionsvertrag von Schwarz-Rot heißt es auch, dass Sanktionen „schneller, einfacher und unbürokratischer durchgesetzt werden“ sollen. Menschen mit psychischen Erkrankungen sollen aber besonders berücksichtigt werden.

Das Märchen der Totalverweigerer

In der vergangenen Woche hatte Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) in einem Interview mit dem Deutschlandfunk klargestellt, dass Bestrafungen keinen großen Einspareffekt erzielen werden. „Die Sanktionen werden nicht helfen“, sagte sie. Es sei ein Irrtum zu glauben, dass sich bei unkooperativen Leistungsbeziehenden große Summen einsparen ließen. Bas verwies dabei auch auf die Datenlage und betonte, dass die „sogenannten Totalverweigerer“ eine kleine Gruppe seien.

Bereits seit Ende März 2024 ist es möglich, den Regelbedarf für bis zu zwei Monate vollständig zu kürzen, „wenn jemand sich bewusst und grundlos weigert, eine konkret angebotene, zumutbare Arbeit aufzunehmen – und zuvor bereits gegen eine entsprechende Pflicht verstoßen oder selbst gekündigt hat“, erklärte ein Sprecher des Arbeitsministeriums der taz. Die Erwartung, dadurch Geld einzusparen, beruhe primär „auf der präventiven Wirkung“.

Der Koalitionsvertrag von Union und SPD sieht zudem eine Änderung für ukrainische Geflüchtete vor, die nach dem April 2025 eingereist sind. Künftig sollen diese wie andere Asylsuchende die geringeren Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten und nicht Bürgergeld.

Doch noch ist das nicht umgesetzt. Die Arbeiten für einen entsprechenden Gesetzentwurf hätten laut Sprecher „nach Regierungsbildung Anfang Mai begonnen“ und sollen zügig fortgeführt werden. Würde das umgesetzt, ließe sich zwar Geld einsparen – allerdings gibt es keine belastbaren Schätzungen über die Höhe, „da Fallzahlen und Kosten in unmittelbarem Zusammenhang mit der weiteren Entwicklung des Krieges stehen“, betonte der Sprecher.

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10 Kommentare

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  • Interessanterweise wird der Bereich in dem am einfachsten Einsparungen zu machen wären stets in der Debatte ignoriert. Da für Verwaltung inzwischen mehr ausgegeben wird als für die Förderung, sollte hier zuerst die Axt angesetzt werden. Einfach nur noch die Auszahlungen verwalten am besten mit einem einheitlichen Bürgergeld und fertig. Die überschaubaren Erfolge bei kafkaesken Verwaltungsaufwand stehen in keinerlei Verhältnis mehr und die Mitarbeiter der Verwaltung könnten in der Steuerfahndung eine sinnvollere Zweitverwendung erfahren.

    • @Šarru-kīnu:

      Das geht leider gar nicht, da Angestellte und Beamte der öffentlichen Verwaltung mehrheilich CDU wählen.....

  • " Doch eine Studie kam kürzlich zum Schluss"



    Es war keine Studie, sondern eine Umfrage - mit einer sehr kleinen Stichprobe.....



    "viele Menschen in Deutschland können sich nicht einmal eine Woche Urlaub leisten"



    Es wäre mir neu, dass Urlaub zu den Grundbedürfnissen zählt, die das Bürgergeld abdecken muss... noch vor 30 Jahren war Urlaub Luxus, den sich nur wenige leisten konnten....

    • @Sandra Becker:

      Vor 30 Jahren war es 1995. Meine - natürlich rein persönliche - Beobachtung ist da eher andersrum.



      Meinten Sie vielleicht vor 130 Jahren?

  • Finanziell gesehen werden die geplanten Sanktionen nichts bringen. Sie umzusetzen, wird mehr kosten, als das bisschen, um was man das Bürgergeld bei Totalverweigerung oder Nichtablieferung irgendwelcher Unterlagen überhaupt kürzen könnte. Diese Sanktionen werden eine reine Beschäftigungstherapie für irgendwelche Mitarbeiter der Arbeitsagentur werden.

    Was Not täte, wäre, weniger über Sanktionen als mehr über Möglichkeiten nachzudenken, wie man Bürgergeldempfänger so weit bekommt, nicht mehr vom Bürgergeld abhängen zu müssen. Konservative Parteien wollen seit Jahren Sozialleistungen reduzieren. Die Frage ist, um welchen Preis dies geschieht, und ob die Resultate überhaupt den Aufwand rechtfertigen, alle Bürgergeldempfänger mit ständigen Schikanen zu überziehen.



    Als Steuerzahler würde ich mir eher wünschen, die Steuereinnahmen durch die aktive Bekämpfung von Steuerhinterziehung zu erhöhen. Da ist viel mehr zu holen und es trüge dazu bei, dass sich alle gerechter behandelt fühlten.

  • Eine lukrativere Abschaffung von Diskriminierung als die Gleichstellung ukrainischer Fluechtlingen mit allen anderen gabs wohl noch nie. Unverstaendlich warum das nicht schon viel frueher geschehen ist.

    Enebso unverstandlich ist, ob beim Buergergeld wie beim Asyl, dass das Ansinnen Trittbrettfahrer von der Hilfe auszuschliessen bekaempft wird waehrend man sich im gleichen Atemzug ueber unzureichende Unterstuetzung der HIlfsbeduerftigen beschwert. Gerade in Zeiten der Klimakatastrophe muesste doch langsam jedem klar sein, dass Resourcen endlich sind.

  • Während Milliarden für Aufrüstung locker gemacht werden, sollen arme Menschen mit Sanktionen und Kürzungen klarkommen – ein sozialpolitischer Offenbarungseid zugunsten der Härte statt der Menschlichkeit.

  • "dass jeder oder jede Dritte von ihnen sogar auf Essen verzichtet, um über die Runden zu kommen. Fast drei Viertel der Befragten erklärten, die Regelsätze reichten nicht für ein würdevolles Leben"

    Can confirm. Lebe derzeit ungefähr am Regelsatz (wenn auch selbst tragend) Als Person mit großem Körperbau und hohem Kallorienbedarf, nahezu unmöglich stets satt zu werden.

    Wenn die Politik beim Bürgergeld wirklich sparen wöllte, müsste Sie an die Wohnungspreise ran. Die werden ja vom Staat gezahlt.

  • Zitat: "Im Koalitionsvertrag von Schwarz-Rot heißt es auch, dass Sanktionen „schneller, einfacher und unbürokratischer durchgesetzt werden“ sollen. Menschen mit psychischen Erkrankungen sollen aber besonders berücksichtigt werden."

    Wieso dort das "aber"? Von Menschen mit psychischen Erkrankungen ist doch gerade nicht zu erwarten, daß sie sich gegen ungerechtfertigte Sanktionen zur Wehr setzen werden?

  • Lichtblick: Wir haben mit Bärbel Bas eine professionelle Arbeitsministerin, die arme Menschen versteht. Sie wird zumindest den Sozialstaat, diese große Errungenschaft unseres Landes, verteidigen.

    Ansonsten nur düstere Realität.

    Wie den "Politikern der Mitte" in jeder Rezession nichts besseres einfällt, als Druck auf die Habenichtse auszuüben, liegt nicht mehr in den kognitiven Bereichen, die ich nachvollziehen kann.