Sozialdemokratisierung der Linkspartei: Sozis, vereint euch wieder!
In Thüringen mag auf dem Label der Sieger:innen „Linkspartei“ stehen – gewonnen hat Sozialdemokratie pur. Zeit für eine Wiederannäherung.
W ir als Publikum schauen zu, manche gar mit gewissen Anteilen an Schadenfreude, wie die Union sich allmählich zu zerlegen beginnt – weil ihr Chef in Thüringen, Mike Mohring, an das Naheliegende laut zu denken wagte: Gespräche mit der Linkspartei.
Mohrings Wunsch zu erfüllen könnte so einfach sein, denn die Linkspartei ist ja nur noch mit historischem Blick eine in der SED-Nachfolge. Blickt man also einfach auf das Faktische, nicht auf das für die Union (und nicht nur für sie) Fürchterliche: Die Linkspartei, sagen Letztere, sei Mauerbau, Schießbefehl, die Erb:innenschar der Margot und Erich Honeckers und Erich Mielkes sowieso.
Die Fakten zur Kenntnis genommen, also die kommunale Praxis in Thüringen mit Bodo Ramelow als Ministerpräsident, und nötigenfalls auch das Programmatische, dann handelt es sich bei der Gräuelpropaganda wider die Linkspartei um verzweifelte Augenwischerei. Thüringens Linkspartei mit der ultraklugen Susanne Hennig-Wellsow an der Spitze ist nichts als eine sozialdemokratische, mainstreamig-mittige Partei, wie es sie im besten Sinne in der alten Bundesrepublik einst auch mal gab – als SPD.
Eine Partei ohne volxpädagogische Allüren, ohne eitlen Schein, das Große und Ganze verändern zu können, dafür eine Organisation der Kümmer:innen, der Pragmatiker:innen, der Fortschrittsgläubigen in jeder kleinen Verbesserung des Alltags, und sei es die Verdichtung der Taktzeiten im öffentlichen Nahverkehr, der Rentenberatung, der Inklusion über Plattformen für Rollstuhlfahrende an Tramhaltestellen.
Die SPD, eine Partei der Büroleiter
Eine Partei nicht der Hipster, sondern eine, die besorgt ist um die konkrete Besserung der Lebenschancen von jenen, die es nicht so dicke im Portemonnaie haben; und eine, die auf eine kluge Wirtschaftspolitik, auf Kommunikation mit Unternehmen und Betrieben nicht verzichtet, also den Kapitalismus schlechthin bejaht – und ihn zu formen versucht.
Dass die real existierende SPD es nicht schafft, dieses Image auszufüllen, dass sie gar, mit einem Wort des Politikwissenschaftlers Franz Walter gesagt, vor allem eine Partei der Büroleiter sei, wurde in Thüringen ebenfalls offenkundig: Wolfgang Tiefensee, nun wirklich kein Unsympath, holte nur etwas mehr als acht Prozent. Die SPD ist ein Schiff, das gerade sehr schön und unnötig vor sich hin sinkt.
Die Sozialdemokratie, die sich auch so nennt, hat aktuell und auf absehbare Zeit einen politischen Appeal an Attraktivität wie eine ehemalige Textillinie, die vollkommen aus der Mode geraten ist, weil sie weder gut aussieht noch in Zukunft wieder up to date wird: nur noch museumsfähig.
Die Rechten freut dies natürlich, die Konservativen der Union haben Mitleid, vielleicht auch, weil ihr ähnliche Überflüssigkeit droht – zerrieben nämlich zwischen Rechten auf der einen und den immer schon linksbürgerlichen Grünen auf der anderen Seite.
Verzagt und hochmütig zugleich
Es mag ja eine Binsenweisheit sein, aber sie sei betont: Es braucht eine große linke Partei, und zwar nicht für ihre Mitglieder, die ihre linke Identität pflegen wollen, sondern als Organisation, die in den politischen Praxen Rechten, Konservativen und Liberalen (wie auch Grünen) Repräsentationsmacht entgegensetzen kann. Mit anderen Worten: SPD und Linkspartei, inzwischen fast ähnlich groß (oder klein, je nach Perspektive) mögen sich auf den vermutlich langwierigen Prozess der Wiedervereinigung begeben.
In der – immer am Thüringer Beispiel diskutiert – Linkspartei gibt es so gut wie nichts, was nicht auch die SPD gut finden könnte, in der SPD findet sich nur wenig, was nicht auch die Linkspartei in sich integrieren könnte. Die eine Partei ist eher verzagt und hochmütig zugleich , die andere – siehe Mietendeckel in Berlin – mutiger und entschiedener, das Angemessene politisch realisieren zu wollen.
In der SPD gibt es noch keine Prominenten, die dies zu denken vermögen – man ist offenbar noch nicht hinreichend marginalisiert. In der Linkspartei indes ist es ein Mann wie der Oberbürgermeister von Frankfurt (Oder), René Wilke, der eben dies offen sagt: Beide Parteien widmen sich einem ähnlichen Spektrum, aber nur zusammen hätten sie die Schlagkraft, von den (öko-)liberalen und konservativen Oppositionen ernst genommen zu werden.
Wilke errang vor einem Jahr einen Sieg im Rennen um den OB-Posten in einer Stadt, die fest in der Hand der Union war: mit einem populären Wahlkampf, der sich nicht wie Aktendeckel und Wiedervorlage anfühlte, sondern Klinken putzte und Talent zum städtischen Stolz betonte.
Auf historisch scheinbegründete Klugscheißerei verzichten
Wir wissen zwar aus den hinlänglich langweilenden Stichworten, mit denen sich Fundis beider Parteien jeweils annerven, dass das schwierig werden könnte: Mauerschießbefehl, Kriegskredite, Stasi – und dass Oskar Lafontaine für Sozialdemokrat:innen, die Ende der neunziger Jahre dabei waren, eine Persona non grata ist, ist ja auch keine News.
Aber das sind nur Chiffren historischen Scheininteresses, die jeweils den entsprechenden Rechthaber:innen dienen. Bodo Ramelow macht es anders, dabei hat er 2009 die Möglichkeit einer rot-rot-grünen Koalition in Thüringen noch vergeigt, weil er, wie es heißt, die Sozialdemokraten an die Wand verhandelt habe.
Für eine Wiedervereinigung wäre nützlich, auf historisch scheinbegründete Klugscheißerei zu verzichten. Und sich auf eine Partei zu verlegen, die um ihre kapitalismuskritischen Mitglieder weiß und sie für legitim stichwortfähig hält, aber diese nicht zu Rang kommen lässt. Eine Partei, die eher für eben das einsteht, was als demokratischer Sozialismus verstanden wird, so wie der Historiker Tony Judt es begriff: Anwältin der kleinen Leute und Verteidigerin der Republik, eine Mauer gegen die Rechten.
Keine Weltumstülper, keine Revolutionäre, die gewännen nämlich nie. Vielmehr Kämpfer:innen für eine Welt, die nur in kleinen Etappen ein bisschen besser werden kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern