Sozialarbeiter demonstrieren in Berlin: An der Grenze der Belastbarkeit
Mit einer großen Demo wollen Sozialarbeiter:innen am Samstag auf ihre Lage aufmerksam machen und sich für die Tarifverhandlungen warm laufen.
Marc Seilheimer von der Initiative „Hände weg vom Wedding“ ist Sozialarbeiter in der Suchthilfe. Er organisiert sich seit Beginn im Bündnis. „Wir sind ein sehr breites Bündnis, dass von linken, kommunistischen Gruppen bis hin zu Gewerkschaften, Berufsverbänden und darüber hinaus reicht. Gemeinsam setzen wir uns für faire Arbeitsbedingungen und gerechte Entlohnung in der sozialen Arbeit ein“, sagt er.
Zum ersten Mal haben sich so viele Akteur:innen und Organisationen zu einem großen Bündnis zusammengeschlossen. Um die Vernetzung zwischen Sozialarbeitenden zu stärken, gab es schon einzelne Aktionen und Veranstaltungen in diesem Jahr. Das erste große Treffen fand im August 2023 statt.
„Wir richten uns einerseits nach außen, indem wir uns für die Anhebung der Löhne, die Zurücknahme der angekündigten Kürzungen und gute Arbeitsbedingungen einsetzen“, sagt Seilheimer. „Wir richten uns aber auch nach innen an die Kolleg:innen. Denn der Organisierungsgrad in der sozialen Arbeit ist eine Katastrophe. Wenn wir was ändern wollen, müssen wir uns vernetzen und zusammentun.“
Der fehlende Organisierungsgrad in der sozialen Arbeit: Wie eng ist er mit den Arbeitsbedingungen verknüpft? In den Jugendämtern in Berlin übernimmt ein:e Mitarbeiter:in im Schnitt 45 Fälle. Oft sind es sogar mehr: Häufig bearbeiten Mitarbeiter:innen um die 70 bis 100 Fälle. Die Beurteilung der Situation in den Familien und eine angemessene Unterstützung sind bei dieser Menge unmöglich. Denn im Schnitt bleiben hier rechnerisch 5 Minuten pro Familie in der Woche.
Die Situation an den Hochschulen
Barbara Schäuble von der Initiative Hochschullehrenden Care ist auch Teil des Solidaritätsbündnisses. Die Personalnot in den Jugendämtern macht vor der Hochschule nicht halt, erzählt sie. Teilweise fänden Studierende, die mit einem Werkvertrag 20 Stunden im Jugendamt arbeiteten, nicht mehr die Zeit, in die Vorlesungen zu gehen. „Die Belastung ist einfach zu hoch.“
Die Situation der Jugendämter wirkt sich in Folge auf die Ausbildungsqualität der Studierenden aus. „In Praktika haben sie kaum die Möglichkeit, belastende Situationen unter Anleitung zu reflektieren. Auf diese Art werden Menschen langfristig schlechter ausgebildet in diese schwierigen Situationen entlassen.“
Auch die freie Jugendhilfe ist von der Überlastung der Jugendämter betroffen. Die Erfahrung zeigt: Oft warten Träger der freien Jugendhilfe lange auf die notwendigen Zusagen für Unterstützungsmaßnahmen, und Hilfen werden nicht rechtzeitig genehmigt. Junge Menschen etwa, die aus Krisengebieten fliehen mussten, bleiben unterversorgt, wenn die Klärung des Hilfebedarfs zu lange dauert. Und wenn die Hilfen zur Erziehung nicht genehmigt werden, kann die Mutter im Niedriglohnsektor ihren Kindern die Schulbücher nicht kaufen.
Zugleich sind die Mitarbeiter:innen der freien Träger selbst von Fördergeldern abhängig. Sozialarbeiter:innen sind ständig damit beschäftigt, Projekte zu beantragen und Fördermittel zu akquirieren, um die eigene Stelle und damit auch die eigene berufliche Zukunft zu sichern. Wenn sie sich selbst von Projekt zu Projekt hangeln müssen, nimmt die Planung und Administration viel Raum ein, für die eigentliche soziale Arbeit bleibt ihnen kaum Zeit.
„Begrenzung von Unterstützungsleistungen“
Um Ursachen für schlechte Arbeitsverhältnisse zu benennen und gerechte Lohnverhältnisse zu schaffen, haben sich Sozialarbeiter:innen im schon vor einiger Zeit im „Solidaritätstreff Soziale Arbeit“ zusammengeschlossen. Marc Seilheimer ist auch hier organisiert. „Als Solidaritätstreff Soziale Arbeit kritisieren wir immer wieder, dass freie Träger für die gleiche Arbeit nicht das gleiche Geld bekommen wie im öffentlichen Dienst. Die Löhne bei freien Trägern sind häufig zwischen 20-30 Prozent niedriger“, sagt Marc Seilheimer.
Während das Limit der Sozialarbeitenden immer weiter verschoben wird, nehmen hitzige Debatten über die „Begrenzung von Unterstützungsleistungen“ zu. Das Bündnis macht auf der Website deutlich: Die Tendenz, Menschen in ernsthaft geführten Diskussionen als „überfordernd für das System“ oder „unrentabel/riskant“ einordnen, ist entwürdigend. Auch dagegen richtet sich der Protest.
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