Sotschi 2014 – Snowboard Cross: Gestürzte Galionsfigur
Die lesbische Snowboarderin Belle Brockhoff wollte ihre Medaille Wladimir Putin widmen. Ein unverschuldetes Malheur durchkreuzt jedoch ihren Plan.
SOTSCHI taz | Es war eine dieser Szenen, die die Fans des Snowboard-Cross so lieben. Im rasanten Rennen Frau gegen Frau kamen sich zwei Sportlerinnen ganz nah, Dominique Maltais aus Kanada und die Australierin Belle Brockhoff. Es wurde eng in der Kurve. Maltais fuhr kurz über Brockhoffs Brett. Die Australierin stürzte und verpasste die Qualifikation für das Finale der besten sechs. In dem Finiale wurde Maltais Zweite hinter der überlegenen Siegerin Eva Samkova aus der Tschechischen Republik.
Die Blumenzeremonie für die Medaillengewinnerinnen lief gerade, da stand Brockhoff im Zielraum, zeigte auf die Kanadierin und sagt: „Da hätte ich auch stehen können.“ Ist sie sauer? „Ich habe ihr schon ein paar Takte gesagt“, meinte die 20-Jährige. „Und jetzt werde ich ihr noch einen gesalzenen Brief schreiben.“ Sie kann schon wieder lachen. Dabei hätte sie so gerne eine Medaille gehabt. Die hätte sie Wladimir Putin gewidmet. Das hat sie vor dem Rennen gesagt. Dem russischen Präsidenten hätte sie es gerne gezeigt. Als sie von den homophoben Gesetzen in Russland gehört hat, hat sie sich das vorgenommen.
Jeder kann wissen, was Brockhoff über Putins Spiele denkt. Sie ist eines der Gesichter der „Principle 6 Campaign“. In der hat sich ein engagiertes Häufchen Sportler zusammengeschlossen, um für die Einhaltung einer Regel in der Charta des Internationalen Olympischen Komitees zu werben, gegen die die Olympier nach Ansicht der Athleten selbst verstoßen. „Jede Form von Diskriminierung eines Landes oder einer Person aufgrund von Rasse, Religion, Politik, Geschlecht oder aus sonstigen Gründen ist mit der Zugehörigkeit zur Olympischen Bewegung unvereinbar“, heißt die Regel in der vom Deutschen Olympischen Sportbund autorisierten Übersetzung.
Knallrote T-Shirts verkaufen die Macher der Kampagne – in weiß steht darauf das Prinzip Nummer sechs des Olympismus. Belle Brockhoff, die im Sommer des vergangenen Jahres ihr Coming-out hatte und seitdem als offen lesbische Sportlerin im Snowboardzirkus mitmischt, besitzt etliche davon. Sie hatte sich vorgenommen, sie während der Spiele zu tragen. Hat sie? „Nein, ich habe es nicht angezogen“, sagt sie und schaut dabei so, als wolle sie sich dafür entschuldigen.
Gallionsfigur der LGBT-Bewegung
Gesehen hätte es ohnehin kaum einer. Das australische Team hat seinen Athleten verboten, auf eigene Faust Sotschi zu erkunden. Die Sportler dürfen die olympischen Pfade nicht verlassen, auf denen sie das offizielle Outfit ihres jeweiligen Teams tragen müssen. „Aber machen Sie sich keine Sorgen“, sagt Brockhoff. „Ich werde weiter meine Meinung sagen, und wer sie hören will, der wird sie hören.“
Ihre sportliche Arbeit hat sie verrichtet. Im kleinen Finale wurde sie Zweite. Platz acht bedeutet das in der Endabrechnung. „Nicht schlecht für meine ersten olympischen Spiele, oder?“ Bei denen habe sie von zwei Seiten unter Druck gestanden. Der Verband und ihre Trainer haben erwartet, dass sie sich auf ihren Wettkampf konzentriert. Und für die LGBT-Community sei sie eine der Gallionsfiguren gewesen. Man habe von ihr erwartet, dass sie in Sotschi Flagge zeigt. Das sei nicht leicht gewesen. Hätte sie eine Medaille gewonnen, stünde sie immer noch unter Druck.
Jetzt will sie erst einmal durchatmen und noch ein wenig olympische Atmosphäre einsaugen, sagt sie. Und als sie gerade anfangen will, zu erzählen, wie sie sich in Zukunft gegen Homophobie engagieren will, da schiebt sie der stämmige Presseattaché des australischen Teams einfach weg. „Genug jetzt!“, sagt er. Wer das gesehen hat, wird von Brockhoff keine Entschuldigung mehr verlangen, dass sie – auch wenn sie es versprochen hat – das Principle-6-T-Shirt nicht getragen hat in Sotschi.
Leser*innenkommentare
Miraculix
Gast
"Jede Form von Diskriminierung eines Landes oder einer Person aufgrund von Rasse, Religion, Politik, Geschlecht oder aus sonstigen Gründen ist mit der Zugehörigkeit zur Olympischen Bewegung unvereinbar“
schön wärs, aber was anderes als ne geldmaschine ist das ganze doch nicht mehr. der geist von olympia wurde wie der geist von weihnachten aus kostengründen wegrationalisiert. die wenigen gallischen dörfer die es da noch gibt werden auch irgendwann ihren letzten tropfen zaubertrank verbraucht haben.