piwik no script img

Sorbische KulturDer Dichter im Pfützenland

Benedik Dyrlich ist Lyriker. Er gibt Bücher heraus und scheint manchmal zu verzweifeln, weil die Deutschen keinen sorbischen Schriftsteller kennen.

Benedik Dyrlich (l.) und sein Bruder Nikolaus Dürlich, mit „ü“, in dessen Werkstatt. Foto: Thomas Gerlach

Neuendörfel-nowa wjeska taz | „Wussten Sie, dass es eine rege serbische Literaturszene in Deutschland gibt?“ Benedikt Dyrlich ist aufgestanden. Nein, Deutschland war nie einsprachig, auch seine Literatur war es nicht. Und es werden immer mehr, die in ihrer Muttersprache schreiben, aber auch auf Deutsch. Dyrlich greift nach den Büchern auf dem Tisch, keine serbischen – es sind sorbische Bände. Es gibt nicht wenige in Deutschland, die das verwechseln, die den kleinen, bedeutenden Unterschied überhören. Serben? Sorben? Mancher denkt an die Balkankriege und an Belgrad, anstatt an die Lausitz.

In einem Buch, eher ein dickes Magazin, das Dyrlich hochhebt, sind sie dann aber doch vereint, serbische und sorbische Autoren, dazu slowenische, russische, ukrainische, tschechische, auch deutsche, viele Gedichte, einige Erzählungen, alles auf Deutsch. „Sorben und ihre Freunde“ steht da als Hinweis auf dem Titelblatt, dahinter 280 Seiten, eine vielstimmige Anthologie mit Namen „Bawülon“, herausgegeben in einem winzigen Verlag aus Ludwigsburg, der Verleger stammt aus Rumänien. Der Balkan, Ostsüdosteuropa, beginnt doch in Bautzen, gleich hinter Dresden.

Dass diese Sammlung zustande kam, ist auch Benedikt Dyrlichs Verdienst, der Kontakte geknüpft, Texte lektoriert hat, der selbst Gedichte und Prosa beigesteuert hat, zudem das Motiv fürs Titelfoto. Es zeigt Dyrlich mit Peter Handke. Ein Lächeln huscht über Dyrlichs Gesicht, denn er hat den schweigsamen Handke zum Sprechen gebracht. Handke, von dem bekannt ist, dass er sich windet, eigene Texte vorzutragen, war 2008 zur sorbischen „Poesienacht“ nach Bautzen gekommen und lauschte den Autoren.

Mehrfach hat er den prominenten Gast gebeten, geradezu „gebettelt“, auch einige Verse vorzutragen. „Plötzlich sagte Handke: 'Gut, ich lese ein kurzes Gedicht, wenn du es vorher sorbisch vorträgst.’“ Dyrlich griff in seinen Tasche, zückte ein Bändchen, bat Handke auf die Bühne und las: Złota doba // Kral / radowaše kaž / paduch /A paduch / radowaše kaž / kral“. Und der Österreicher las: „Das Goldene Zeitalter / Der König freute sich diebisch / Und der Dieb freute sich königlich.“ Und Dyrlichs Frau Monika drückte auf den Auslöser.

Dyrlich, 66 Jahre alt, erzählt mit leiser, fast schüchterner Stimme. Doch jetzt ist nicht zu überhören, dass ihm ein Coup gelungen war. Es ist ja nicht nur der kleine Überfall. Es ist die Wertschätzung des Kollegen für eine Literatur, von der in Deutschland kaum jemand etwas weiß. Wer kennt Kito Lorenc? Wer Jurij Koch? Róža Domašcyna? Beno Budar? Lubina Hajduk-Veljković? Mina Witkojc? Jeder Name ein Rätsel. Selbst Jurij Brězan, der bedeutendste sorbische Schriftsteller der letzten hundert Jahre, ist mit seinen Krabat-Romanen kaum über Ostdeutschland hinaus bekannt.

3sat interessiert das nicht

„Es geht doch auch darum, den Blick zu schärfen“, sagt Dyrlich. Es geht um Wahrnehmung. „Warum gibt es nicht ein, zwei Beiträge über sorbische Literatur in der ‚Kulturzeit‘ bei 3sat?“, fragt Benedikt Dyrlich, Schriftsteller, Journalist, auch Kulturpolitiker. Dyrlich sitzt in einem Sessel in seinem Arbeitszimmer unterm Dach. Ein braunes Schaffell verleiht dem Studierzimmer etwas Bodenständiges. Draußen auf der Terrasse zerplatzen Tropfen.

„Es ist beschämend, in München zu erklären, dass die Bibel ins Sorbische übersetzt wurde“, erregt er sich. Und es ist deprimierend, immer wieder zu beteuern, dass Sorbisch kein Dialekt ist, sondern eine Hochsprache. Dass die Sonette von Shakespeare genauso in diese Sprache übersetzt wurden wie Bücher des Kirgisen Tschingis Aitmatow und von Douglas Adams.

Und die Unkenntnis macht auch nicht vor Ministern und Professoren halt. Dyrlich überlegt kurz, ob er das offenbaren soll, und erzählt dann doch von den Audienzen im Bundeskanzleramt mit den Kulturstaatsministern. Dyrlich, bis 2015 Vorsitzender des sorbischen Künstlerbundes, nahm auch nach Berlin sorbische Bücher mit. Der erste, Naumann, schien ahnungslos, der zweite, Nida-Rümelin, immerhin interessiert. Bei so viel Unbedarftheit könnte einem der Kragen platzen. Dyrlich schnappt Regenschirm und Autoschlüssel und steuert sein Auto in die Lausitz, seine Landschaft, hinein.

Die Mittagesfrau schleicht in der ­Hitze auf die Felder, ­verwirrt die Bauern mit Fragen, so lange, bis sie den Verstand verlieren. Manchem rammt sie eine Sichel in den Kopf. So ­erzählen es die ­Sorben

„Luza heißt Pfütze“, sagt Dyrlich und lässt den Scheibenwischer tanzen. Łužica, Lausitz, heißt Pfützenland. Landschaft, Denken und Sprache – sie gehen eine besondere Verbindung ein, ist sich Dyrlich sicher. Hat sie schon jemand ergründet? Die Teiche, die Bäche, die Linden, die Birken, die Hügel, die Wegkreuze, auch der Granit – das alles spiegelt sich in der sorbischen Sprache. Es geht über glänzenden Asphalt, die Straße scheint einen Teich zu zerschneiden. Der Regen passt. „Land der tausend Teiche“ sei ein anderes Bild, sagt Dyrlich. Es klingt nach Tourismus und irgendwie deutsch.

„Ich weiß nicht, wie das mit der Zuwanderung wird“, sagt Dyrlich. „Ich weiß aber, was es heißt, zweisprachig zu sein und beide Sprachen als Wert zu begreifen.“ Leitkultur sei da gar nicht mehr nötig. „Man kann ruhig von zwei Muttersprachen reden.“ Zwei Sprachen, zwei Schätze – wer könnte etwas dagegen haben? Zumindest diejenigen, die auf den zweisprachigen Orts- und Straßenschildern das Sorbische übermalen und die auch immer wieder die Wegkreuze der katholischen Sorben zerstören.

Der Regen hat sich verzogen, Hühner scharren

Das Ortsschild von Neudörfel-Nowa Wjeska ist unversehrt. Dyrlich blickt zum Himmel, dann auf die Wiese hinter dem Zaun. Der Regen hat sich verzogen. Hühner scharren. Dort drüben auf der Wiese hat Dyrlich als Junge die Mittagsfrau, die Připołdnica, kennengelernt. Sie ist die ungemütlichste Sagengestalt der Sorben. Sie schleicht in der Mittagshitze auf die Felder, verwirrt die Bauern mit Fragen, so lange, bis sie den Verstand verlieren. Manchem rammt sie eine Sichel in den Kopf. So erzählen es die Sorben, so hat es Dyrlichs Mutter im Sommer oft erzählt, eine fromme katholische Sorbin, die einen Tischler heiratete, sechs Kinder gebar und früh starb.

Dort drüben auf der Wiese haben sie gesessen. „Ihr fragt mich aus wie die Mittagsfrau“, stöhnte die Mutter, wenn sie von ihren Kindern mit Fragen bedrängt wurde, erzählt Dyrlich. Auf Sorbisch hat sie den Kindern die Welt erklärt, hat erzählt von ihrem Leben als Dienstmädchen in Dresden, vom Marienwunder oder vom Kaplan An­dritzki, dem sorbischen Märtyrer, der im Konzentrationslager starb. Vier sind später in die Welt hinaus – nach Stuttgart, Gladbeck, Berlin. Zwei sind geblieben. Der eine wurde Holzschnitzer, der andere Schriftsteller – Benedikt Dyrlich.

„Das mit den zerstörten Wegkreuzen hat nachgelassen“, sagt Nikolaus Dürlich. „Vor ein paar Jahren war es schlimmer.“ Der Bruder ist im Arbeitskittel aus seiner Werkstatt getreten. Nikolaus Dürlich muss es wissen. Er ist derjenige, der die Kreuze repariert, wenn Mutwillen sie zerstört oder das Wetter sie mürbe gemacht hat. „Nikolaus Dürlich“ steht über dem Eingang auf einer Tafel. Nein, kein Schreibfehler, sagt Benedikt Dyrlich. Er, der Schriftsteller, hat den Familiennamen in Dyrlich ändern lassen. Der Bruder, der „Herrgott-Schnitzer“, hingegen hat den deutschen Namen beibehalten. Aus praktischen Gründen. Der Schriftstellerbruder hat es besser, sagt der Holzschnitzer und lacht. „Benedikt bleibt Benedikt – ob Sorbisch oder Deutsch.“ Aber sein Vorname, Nikolaus? Dürlich schreibt die sorbische Form dann lieber gleich selbst in den Reporterblock „Mikławš“. Für deutsche Kunden ein Zungenbrecher – schlecht fürs Geschäft.

Ansonsten ist der Bruder weniger konziliant. Dass Deutsche, die in ein sorbisches Dorf ziehen, auch nach zwanzig Jahren kein Wort Sorbisch reden, ärgert ihn. Andere schafften das nach fünf Jahren. Und die Sorben nähmen ständig Rücksicht auf die Deutschen. „Wenn bei einer Feier nur ein Deutscher dabei ist, reden alle Sorben deutsch.“ Die Sorben haben selbst Schuld, wenn die Sprache verschwindet, schimpft Nikolaus weiter. Der Schriftstellerbruder sagt es anschließend so: „Die Sprache ist das Herz des Sorbentums.“

Der Heiland leidet im Dutzend

Der „Herrgott-Schnitzer“ führt jetzt in seine Welt, an dessen Wänden der Heiland im Dutzend leidet, mit hängendem Haupt und Dornenkrone. Dazwischen Stechbeitel, Messer, Holzblöcke, eine altertümliche riemengetriebene Säge, die der Meister kurz aufheulen lässt. Aus der Not heraus sei sein ­Vater, ein Tischler und Kleinbauer, zum Holzschnitzer geworden, sagt Dürlich. Nach Weltkrieg und deutscher Teilung habe man keine Kruzifixe mehr aus Bayern beschaffen können. Die katholischen Sorben brauchten einen neuen Lieferanten. Es wurde Jakub Dürlich. Sohn Nikolaus setzt die Tradition fort.

Benedikt studierte fünf Semester katholische Theologie, später Theaterwissenschaften, wurde Dramaturg am Deutsch-Sorbischen Volkstheater Bautzen und 1990 für vier Jahre Abgeordneter der SPD im sächsischen Landtag. Und er ist Erzähler geworden, nicht mehr auf der Wiese wie die Mutter, sondern am Schreibtisch, ist Lyriker, gibt Bücher heraus und scheint manchmal zu verzweifeln, dass die Deutschen Sorben und Serben verwechseln und dass sie keinen sorbischen Schriftsteller kennen, nicht einmal Jurij Brězan. Brězan, 2006 gestorben, war SED-Funktionär im Schriftstellerverband. „Aber auch ein bedeutender Schriftsteller.“

Die beiden Brüder sind wieder auf der Straße, vor sich das Klosterwasser – ein Bächlein nur, dabei hat es schon die Satkula geschluckt, die sich auf ihrer kurzen Reise durchs Sorbenland schlängelt. Das Meer „wäre ein anderes Meer, nähme es nicht auch das Wasser der Satkula auf“, schreibt Brězan ein einem seiner Krabat-Romane. Die Welt, gäbe es die etwa 60.000 Sorben nicht, würde wohl nicht nach ihnen krähen. Doch wäre sie eine andere. Noch eine Weile stehen die Brüder am Klosterwasser.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Das sieht nicht gut aus. Schleswig-Holstein (und Dänemark) tut für die dänische Minderheit viel - was tut Sachsen für die Sorben? Ich hätte mir mehr Informationen gewünscht.

     

    Ja, die Sprache ist eminent wichtig.

     

    Die Leitkulturdiskussion ist verheerend für die Minderheiten. Solche Ideen, wie daß man zuhause deutsch sprechen solle, tun ihr Übriges. Deutschland, so scheint es momentan, fühlt sich nicht wohl mit kultureller Vielfalt. Aber das ist ein deutsches Problem, die Minderheiten können nichts dafür... wir waren schon immer da...

     

    In der Tat sollte man von öffentlich-rechtlichen Medien erwarten, daß sie auch einmal in den Sprachen der Minderheiten senden - zumindest der alteingesessenen. Das ärgert mich als Dänen auch seit Jahren. Eine Stunde pro Woche würde uns ja genügen. Diese alten ethnischen Minderheiten sind ein Teil der Kultur hier, sie bereichern sie sogar.

     

    Und Schulen sollten eigentlich auch zumindest AGs für Sorbisch, Friesisch, Dänisch usw. anbieten. Wenn man in diesen Landstrichen wohnt, gehört das zur Allgemeinbildung! Aber da ist wieder das allgemeine deutsche Bildungsproblem im Weg... Minderheitensprachen kommen erst dann an die Reihe, wenn Kunst, Sport und Musik eines Tages ausreichend unterrichtet werden. Noch nicht mal das ist der Fall.

     

    Ich hätte mir auch gewünscht, Otfried Preußler wäre erwähnt worden, der offenbar ja den Krabat-Stoff aufgegriffen hat und den meisten (älteren...) Deutschen vielleicht noch ein Begriff ist. Den Film hätte man auch erwähnen können.

     

    Das Thema verdient viel mehr Beachtung. Schon gar, weil die Minderheiten es ja vormachen, wie ein friedliches Zusammenleben funktionieren kann. Da könnten sich viele mal 'ne Scheibe abschneiden. Könnte teilweise fast als Modell herhalten, in SH jedenfalls.

     

    Sachsen, komm in die Pötte!

    • @kditd:

      Aber auch in Schleswig-Holstein ist nicht alles rosig. Hier kämpfen die dänische, die friesische und auch die plattdeutsche Sprechergemeinschaft seit Jahren um Sendezeit im öffentlichen Rundfunk (also dem NDR) - und jedesmal beißt man damit beim NDR auf Granit. Was beim RBB und MDR selbstverständlich zu sein scheint (=sorbische Sendungen im Radio und Fernsehen), da ist beim NDR komischerweise bis heute ein Tabu.