Sommerserie „Im Schatten“ (6): Kaum Schatten im Krankenbett
Hitzewellen fordern in Berlin jedes Jahr mehrere Hunderte Tote. Gefährdet sind vor allem Alte und Kranke. Das Hitzeschutzkonzept ist noch am Anfang.
Was den Hitzeschutz betrifft, sei man im Unfallkrankenhaus noch ganz am Anfang, sagt die Anästhesistin, die im ukb als Klimamanagerin tätig ist. Als Mitglied des Hitzeteams des Vereins Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit e. V. (KLUG) will sie den Hitzeschutz nach vorne bringen. Das bedeutet, zunächst darüber nachzudenken, welche Bereiche des Krankenhauskomplexes besonders hitzegefährdet sind.
Steigen die Temperaturen auf 30, 35, oder sogar über 40 Grad, wie zuletzt in großen Teilen Süd- und Westeuropas, ist Hitze nicht nur unangenehm, sondern kann lebensbedrohlich sein. 106 Menschen starben laut Amt für Statistik Berlin-Brandenburg im vergangen Jahr allein in Berlin an den Folgen hoher Temperaturen. Im Jahr 2022, in dem es besonders viele Hitzetage gab, waren es sogar 425. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr gab es 271 Drogentote, 33 Menschen starben im Straßenverkehr. Jeder ist potenziell gefährdet, besonders aber Menschen mit Vorerkrankungen, Kinder und Alte. Zwei Drittel der an Hitze verstorbenen Menschen in Berlin sind über 80 Jahre alt.
Die Zahlen sind Schätzungen, die mit einer komplexen Formel aus der Übersterblichkeit berechnet werden. Genaue Angaben darüber, wie viele Menschen durch Hitze sterben, gibt es nicht. Das liegt vor allem daran, dass die Todesursache häufig nicht erfasst wird. Die wenigsten Menschen sterben „an Hitze“, erklärt Nakoinz. Wie zum Beispiel bei einem Hitzeschlag, wenn der Körper nicht genug Wärme abgeben kann und die Organe versagen. „Das sieht in der Endform aus wie eine Blutvergiftung oder ein septischer Schock.“
Viele Tode durch Hitze sind vermeidbar
Viel öfter sterben Menschen „mit Hitze“, haben bereits Herz- Kreislauf-Erkrankungen oder chronische Nierenschäden. Durch den Wassermangel verdickt sich das Blut, es kommt zu mehr Herzinfarkten und Schlaganfällen oder zu einem akuten Nierenversagen – das wird dann auch als Todesursache eingetragen.
Viele dieser Tode sind vermeidbar. Kühle Orte aufsuchen, direkte Sonne vermeiden, viel trinken – diese lebensrettenden Tipps klingen banal, sind aber schwierig umzusetzen, wenn man frisch operiert in einem Krankenbett liegt und die Sonne ungeschützt ins Zimmer knallt. Naheliegend, dass sich auch die Berliner Gesundheitseinrichtungen zunehmend Gedanken machen, wie sie ihre Patient:innen und Mitarbeitenden angesichts der verschärfenden Klimakrise schützen können.
Im Büro von Andrea Nakoinzin ist es dank der runtergefahrenen Rollos angenehm kühl. Auf einem großformatigen Poster ist ein Grundriss der unfallchirurgischen Station aufgezeichnet, die Räume sind je nach Temperaturanfälligkeit eingefärbt. „Im Hitzefall verlegen wir alte oder gefährdete Menschen in die kühlen Zimmer“, erklärt Nakoinz.
Einfache Maßnahmen wie diese sind Teil des Hitzeschutzkonzepts, das gerade am ukb erarbeitet wird. Dazu gehören auch Warnketten, die sicherstellen, dass das Personal die Maßnahmen umsetzt und Patient:innen informiert werden. Hitzewellen sind nicht neu, Konzepte, wie man mit ihnen umgehen soll, hingegen schon. Erst vor zwei Jahren rief der Senat zusammen mit der Ärztekammer Berlin das „Aktionsbündnis Hitzeschutz“ ins Leben. Das soll Hitzeschutzpläne im Gesundheitswesen etablieren.
Hitzewellen sind nicht neu, die Konzepte jedoch schon
Konzepte, Meldeketten und andere kluge Überlegungen kosten wenig und sind schnell umgesetzt. Allerdings bringt auch die ausgeklügeltste Hitzekarte wenig, wenn es keine kühlen Orte gibt. Echte Abhilfe schaffen vor allem bauliche Maßnahmen.
Das bedeutet nicht, dass das gesamte Krankenhaus klimatisiert werden muss. Derzeit werden im ukb nur einzelne Stationen, der OP und die Intensivstationen, gekühlt. Klimaanlagen sind zum einen teuer – sowohl in der Anschaffung als auch im Betrieb – und zum anderen klimaschädlich. „Gerade der hohe CO2 Ausstoß führt ja dazu, dass es so viele Hitzewellen gibt“, sagt Nakoinz.
Bei einem Krankenhausrundgang zeigt die Ärztin klimafreundlichere Alternativen. Das ukb, Ende der 90er Jahre auf offenerer Fläche in Biesdorf errichtet, ist im Vergleich mit anderen Berliner Krankenhäusern schon vorbildlich. Vor dem Haupteingang plätschert ein Brunnen, die begrünten Stationsdächer kühlen durch Verdunstung die Umgebungstemperatur. Auf dem Krankenhausgelände wachsen viele schattenspendende Bäume, die Rollos senken sich bei Hitze automatisch. Andere Häuser wie etwa die Charité haben deutlich schlechtere Ausgangsbedingungen. So sieht der markante, in den 80er Jahren errichtete Bettenturm auf dem Campus in Mitte zwar schön aus, ist aber der Sonne schutzlos ausgeliefert. Statt Grünflächen dominiert eine Betonwüste.
Wo Sonne auf Beton trifft, wird es schnell unangenehm heiß. Und das Leben in der Großstadt kann im Sommer ganz schön unwirtlich sein. Abhilfe verspricht der Schatten – doch auch dort ist es nicht nur gemütlich. In unserer Sommerserie widmen wir uns dem Schatten als Überlebensraum für hitzegeplagte Stadtbewohner*innen, aber auch als Ort für Menschen, die die Gesellschaft gern an den Rand drängt oder übersieht.
In vielen Fällen helfen nur aufwendige bauliche Maßnahmen, um die Temperaturen zu senken. Doch Geld dafür ist nur selten vorhanden. Krankenhäuser müssen Hitzeschutzmaßnahmen aus ihren eigenen, ohnehin schon knappen Investitionsmitteln bestreiten.
Das Problem betrifft nicht nur Krankenhäuser
Andrea Nakoinz deutet auf die Glasdächer des Krankenhausflurs. Dort sind bereits Rollos verbaut, aber auch die könnten durch effektivere Modelle mit UV-Schutz verbessert werden. Doch selbst eine so einfache Maßnahme könne sich das Krankenhaus nicht leisten, obwohl sie dringend notwendig wären. „Für die richtigen Hitzeschutzmaßnahmen braucht man Geld. Da muss der Bund zuschießen“, sagt die Fachärztin.
Doch als das Bundesgesundheitsministerium im Mai seinen Musterhitzeschutzplan vorstellte, warnte Karl Lauterbach (SPD) zwar vor bundesweit jährlich tausenden Toten, von zusätzlichen Geldern sagte der Gesundheitsminister allerdings nichts.
Das Problem betrifft nicht nur Krankenhäuser, sondern auch andere Gesundheitseinrichtungen wie Pflegeheime. „Wir sind baulich auf heiße Tage überhaupt nicht eingestellt“, sagt Andreas Grenz von der Volkssolidarität. Viele der Pflegeheime, die der freie Träger in Berlin betreibt, seien alte Plattenbauten, in denen sich die Hitze schnell staut. Noch könnten die Pfleger:innen die Temperaturen etwa mit klugen Lüftungsmaßnahmen erträglich halten. Doch in Zukunft müsse investiert werden: hitzeresistente Fassaden, automatisierte Rollos und Lüftungssysteme, Klimaanlagen. „Das sind gewaltige Kosten“, sagt Grenz.
Noch komplizierter wird es bei der ambulanten Pflege. Viele Patient:innen versterben in den eigenen vier Wänden. „Gerade alte Menschen haben kein Durstgefühl mehr“, erklärt Grenz. Kommt noch Demenz dazu, würden viele Patient:innen das Trinken einfach vergessen. Bei einer Hitzewelle beraten die Mitarbeiter:innen, wie man sich vor Hitze schützen kann: richtiges Lüften, ausreichend trinken, direkte Sonne meiden. Dazu bieten die Pflegekräfte auch mal an, den Einkauf zu übernehmen, oder führen als Akutmaßnahme kühlende Fußbäder durch.
Doch besonders bei dementen Menschen gestaltet sich effektiver Hitzeschutz schwierig. Denn die Pflegekräfte haben oft nur wenige Minuten pro Patient. Da kommt es auf die Angehörigen an. Regelmäßige Anrufe, bei denen man ans Trinken erinnert, können da schon reichen, sagt Grenz.
Ein gesellschaftliches Problembewusstsein für die Gefahr hoher Temperaturen zu entwickeln sei ein wichtiger Baustein für effektiven Hitzeschutz, sagt Andrea Nakoinz. Damit könne man dann auch die Mitmenschen schützen. Gefährdet seien ja nicht nur alte Menschen – immerhin ist ein Drittel der Hitzetoten unter 80. Trotzdem würden viele noch bei 35 Grad im Schatten joggen, sich auf Festivals betrinken oder Sportfeste mitten im Sommer abhalten. „Die Aufklärung der Bevölkerung ist eine Riesenaufgabe.“
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