Sommerserie „Im Schatten“ (2): Das Kreuz mit der Abkühlung
Kirchengebäude könnten bei Hitzewellen ideale Schutzräume für vulnerable Gruppen sein. Trotzdem öffnen nur wenige Gemeinden tagsüber ihre Türen.
Verwiesen wird dabei auch auf das Angebot „Kühler Raum“ – also auf Rückzugsorte vor der Hitze in Berlin, die „sich beispielsweise in Kirchen, öffentlichen Einrichtungen wie Bibliotheken oder auch in Nachbarschaftstreffs“ befänden. Und tatsächlich zeigt die auf der entsprechenden „Bärenhitze“-Website mitgelieferte Online-Erfrischungskarte der Technologie Stiftung Berlin zwar unzählige praktische Orte „zum Erfrischen und Verweilen“ im kompletten Stadtgebiet. Nur: Die versprochenen Kirchen sind kaum vertreten.
Dabei hatte die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Annette Kurschus, bereits im vergangenen Hitzesommer an Kirchengemeinden appelliert, ihre Gebäude als Schutzräume zu öffnen. „Kirchen sind durch ihre bauliche Beschaffenheit und ohne den Einsatz von Kühltechnik häufig die kühlsten Orte in Stadt und Land. Sie können Menschen Schutz vor Hitze bieten“, sagte Kurschus. „Diesen Schatz möchten wir mit möglichst vielen teilen, die von Hitze geplagt sind oder auch nur eine kurze Abkühlungspause brauchen.“
Trotz des Appells sind die meisten Kirchengebäude in Berlin verschlossen und werden nur für den Gottesdienst und, wenn es hoch kommt, vielleicht zwei weitere Veranstaltungen pro Woche geöffnet. Ausnahmen bilden die Kirchen mit touristischer Funktion im Stadtzentrum, aber auch die katholische Gedenkkirche Maria Regina Martyrum, unweit der ehemaligen Hinrichtungsstätte Plötzensee. Auch die Kreuzberger Passionskirche lädt regelmäßig nicht nur zu kommerziellen Konzerten, sondern auch zu anderen öffentlichen Veranstaltungen und Sprechstunden ein.
Wo Sonne auf Beton trifft, da wird es schnell unangenehm heiß. Und das Leben in der Großstadt kann im Sommer ganz schön unwirtlich sein. Abhilfe verspricht der Schatten – doch auch dort ist es nicht nur gemütlich. In dieser Sommerserie widmen wir uns dem Schatten als Überlebensraum für hitzegeplagte Stadtbewohner*innen wie auch als Ort für Menschen, die die Gesellschaft gern an den Rand drängt. Oder leicht übersieht.
Sorge vor Vandalismus
Dabei war die geöffnete Kirchentür über Jahrhunderte Normalität. Kirchen waren lange auch Pilgerherbergen, Versammlungs- und Repräsentationsräume. Die offene Kirchentür bot Gläubigen zudem die Gelegenheit, wann immer sie wollten, allein zu beten, ihre Sorgen artikulieren zu können oder einen Ort zu finden, wo sie im Idealfall zur Ruhe kommen und Hilfe finden konnten.
Mit der Säkularisierung sank die Zahl der Menschen, die genau das tun wollten. Die veränderte Stellung der Institution Kirche in der Gesellschaft brachte es auch mit sich, dass die vormalige Ehrfurcht vor Kirchengebäuden schwand. Hier picknickende Rucksacktouristen, die ihren Müll hinterlassen, dort Diebstahl von historisch wertvollen Kunstgegenständen. Ein Kirchenvertreter weiß sogar von Fäkalien zu berichten, die eine katholische Gemeinde im Taufbecken vorgefunden hätte, als deren Tür noch jederzeit offen stand.
Stefan Förner, der Sprecher des katholischen Erzbistums Berlin, sagt dann auch: „Generell ist es nicht möglich, eine Kirche ohne eine Aufsicht offen stehen zu lassen, dafür ist die Gefahr des Vandalismus zu groß.“ Und diese Aufsicht müssten Mitglieder der immer kleiner werdenden Kirchengemeinden ehrenamtlich leisten.
Anders als die katholische Kirche lehnt die evangelische ein Öffnen der Kirchen ohne Aufsicht nicht grundsätzlich ab, doch die Entscheidung liegt bei den Gemeinden. Die wiederum sind zwiegespalten: Einerseits wollen sie ihre Sakralbauten öffnen auch für Nichtchristen, die sich aus unterschiedlichen Gründen von Kirchen angezogen fühlen. Andererseits müssen die Kirchengemeinden für die Reinigung aufkommen und sie haften bei Diebstahl und Unfällen.
Versicherungstechnische Unsicherheiten
Vor Jahrhunderten entstandene Kirchen entsprechen in der Regel nicht den heutigen Sicherheitsstandards. Niedrige Deckenhöhen, unebene Stufen und unsichere Treppenaufgänge sind der ortsansässigen Gemeinde vertraut, Gästen aber nicht, sodass es leicht zu Unfällen kommen kann.
Die Versicherung der evangelischen Landeskirche kommt bei Diebstahl und Vandalismus zudem nur für Gegenstände auf, die eingeschlossen sind. Bei Taufschalen, Altarleuchtern, Kruzifixen und Gemälden ist das nicht möglich. Die Landeskirche empfiehlt ihren Gemeinden deshalb, diese Gegenstände außerhalb des Gottesdienstes in andere Räume zu stellen. Doch da müssen sich erst einmal Ehrenamtler finden, die diese auch körperlich schwere Arbeit regelmäßig auf sich nehmen.
So umfasste die Liste der evangelischen Kirche im vergangenen Hitzesommer lediglich sieben tagsüber geöffnete Kirchengebäude in Berlin, bei der katholischen Kirche sind es vier. Wobei es sich hier um Kirchen handelt, die ohnehin unabhängig von der Jahreszeit öffnen.
Zum Beispiel die evangelische St. Marienkirche am Alexanderplatz. Hierher kommen, so Pfarrer Michael Kösling, mehrere hundert Touristen pro Tag. Aber auch sogenannte soziale Randgruppen suchen hier Ruhe und Schutz: verwirrte Menschen, Alkoholkranke, Obdachlose.
Die Gemeinde hat sich entschieden, einen hauptamtlichen Kirchenwart anzustellen, der von Ehrenamtlern unterstützt wird. Ein höheres Besucheraufkommen an heißen Tagen hat der Pfarrer bisher aber nicht festgestellt. „Wir bieten bisher auch kein Wasser oder anderen Hitzeschutz an.“ Zudem sei die St. Marienkirche als einzeln stehendes Gebäude mit ihren großen Fenstern bei hohen Temperaturen zwar immer noch erträglicher als normale Wohnräume, aber eben auch nicht sonderlich kühl.
Kritik von der Linken
Aber kann es sich Berlin in Zeiten des Klimawandels leisten, hunderte wohl temperierte Sakralbauten in der Stadt nur dann offen zu halten, wenn die immer kleiner werdenden Kirchengemeinden Ehrenamtler finden, die sich darum kümmern? Nein, sagt Tobias Schulze, der Fraktionschef der Linken im Abgeordnetenhaus.
Seine Fraktion forderte den Senat schon vor Monaten auf, die Erarbeitung eines Hitzeschutzplans zu beschleunigen und dabei die Bedarfe vulnerabler Gruppen und Senioren besonders zu berücksichtigen. Dazu sollen öffentlich zugängliche Gebäude wie eben auch Kirchen in Hitzephasen als Kühlzonen genutzt werden können. „Sakralbauten bleiben aufgrund ihrer Bauweise in Hitzeperioden besonders kühl“, sagt Schulze der taz. „Es sollte hier noch mal Absprachen mit der Landesregierung geben, die auch die Probleme der personellen Absicherung lösen.“
Einige Bezirke sind im Juni bei der Erarbeitung von Hitzeschutzplänen bereits auf die Kirchen zugegangen mit der Bitte, ihre Gebäude bei Hitzewarnstufe 1 – also bei Temperaturen ab 32 Grad – zu öffnen. In Charlottenburg-Wilmersdorf sind ganze zwei Kirchen der Bitte nachgekommen. Auch hier handelt es sich um Gemeinden, die über genügend Ehrenamtler verfügen oder die wegen anderer Projekte ohnehin häufiger mal öffnen. Finanzielle Mittel werden hierfür nicht zur Verfügung gestellt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind