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Sommerfestival auf Kampnagel in HamburgGrusel mit Groove

Die Festival-Eröffnung bot Düsteres und Meditatives. Noch zwei Wochen gibt es Tanz, Theater, Performance, bildender Kunst – und natürlich Musik.

Diesmal war er sogar gut gelaunt: Taylor Kirk von der kanadischen Band Timber Timbre Foto: Victoria Baczynska/Kampnagel

Irgendwann zitiert Hamburgs Kultursenator Carsten ­Brosda Bruce Spring­steen. Der US-amerikanische Sänger, von dem Brosda erklärter Fan ist, mache eine Gleichung auf: „Eins plus eins ist nicht immer zwei.“ Rockkonzerte seien unerklärlich, so Brosda. Die Menschen kämen nicht dorthin, um etwas zu lernen. Sondern um etwas zu fühlen, das bereits tief in ihren Eingeweiden steckt.

Die Macht des Vertrauten und die Kraft der Gefühle, das passt gut zur Eröffnung des Sommerfestivals von Kampnagel, bei der Brosda am vergangenen Mittwoch sprach. Kurz und knackig, über die „verletzte Gesellschaft“ und die Kunst, die Raum brauche. Im Foyer wird derweil Sekt gereicht, draußen probieren die ersten die Nebelmaschinen-befeuerte Rauch-Kanone aus.

Schön, wieder dort zu sein, beim alljährlichen Festival. Noch bis zum 25. August präsentiert es Veranstaltungen aus den Bereichen Tanz, Theater, Performance, bildender Kunst – und natürlich Musik. Ein Höhepunkt ist der Auftritt der Post-Punk-Veteranen A Certain Ratio (18. August), krönender Abschluss dann der Bob-Dylan-Tribut der Sängerin Cat Power in der Elbphilharmonie (24. August).

Hinten im Festivalgarten eröffnen zwei Musiker, die von großen Stadiongesten kaum weiter entfernt sein könnten, das Konzertprogramm auf der Waldbühne. Auch sie setzen auf die Macht des Bekannten und die Kraft der Gefühle: Der palästinensische Oud-Spieler Bakr Khleifi greift im Duo mit dem iranischen Geiger Misagh Joolaee auf das Vokabular klassischer arabischer und persischer Musik zurück – vor allem aber improvisieren die beiden.

Stimmen zu misslichen Zuständen der Welt

Hypnotisch und meditativ sind ihre ausladenden Stücke, immer wieder schleichen sich vertraute Muster ein. Eins plus eins ist bei Khleifi und Joolaee manchmal drei, manchmal sogar vier oder fünf. Jazz könnte das sein; auch westliche Folk-Muster sind zu erahnen. Kein Wunder, spielen beide doch in mehreren international besetzten Ensembles.

„Wallah Krise!“ ist das kostenlose Programm auf der Waldbühne übertitelt, das diasporische Stimmen zu den misslichen Zuständen der Welt präsentieren möchte. Wie beruhigend, dass manchmal schlicht die sich umgarnenden Stimmen zweier Instrumente reichen.

​ Internationales Sommerfestival,

noch bis 25. 8., Hamburg, Kampnagel; Infos und Programm: www.kampnagel.de/sommerfestival

Drinnen in der Konzerthalle KMH ist es ganz dunkel. Die kanadische Band Timber Timbre tritt auf; deren Sänger Taylor Kirk kann sehr schlecht gelaunt sein. Das letzte Mal, als man die Band sah, brach er fast das Konzert ab, weil ein paar Besuchende sich nicht an das Fotografierverbot gehalten hatten. Miese Stimmung und Handyverbot gibt es bei der Eröffnung am Mittwoch jedoch nicht. Sondern ein Lächeln und eine gelupfte Käppi: „It’s nice to see you again.“

Es ist voll in der Halle, die Luft stickig, die Bühne in blutrotes Licht getaucht. Timber Timbre führen zu viert ihren apokalyptischen Folk-Sound auf, in dem New Orleans Soul, die Grandezza der Beach Boys und die Schwermut Leonard Cohens stecken. Eine unvergleichliche Musik, spooky und groovy gleichzeitig.

Ein weißer Typ, der Blues singt

„Do you wanna see a dead body, ask the community“, singt Kirk. Ein grotesk-fröhliches Jahrmarktklavier setzt ein, dann endet der Song in Kakophonie. Schon bei seinem aktuellen Album, erschienen im ersten Jahr der Trump-Präsidentschaft, war Kirk es leid, über Politik zu reden. Dabei bot es sich eigentlich an: Die Platte war klimakrisenhaft „Sincerely, Future Pollution“ betitelt. Sieben Jahre später ist die Welt kein bisschen besser, aber Timber Timbre sind auf dem Zenit ihrer Kunst.

Kirk muss nichts erklären, nichts kommentieren, die Songs sprechen für sich. Der gespenstische Gesang klingt trotz Hall klar und nüchtern, die Orgel ist stets lauter als die Gitarre, die Drums stampfen düster. Auch Timber Timbre wissen um die Kraft des Vertrauten und um die Gefühle in den Eingeweiden. Ein Schlagzeug-Pattern klingt nach „Be My Baby“ von den Ronettes, ein Intro hat Reminiszenzen an Stevie Wonders Siebziger-Funk, an anderer Stelle glaubt man gar, ein Classic-Rock-Riff von ZZ Top zu hören.

„Es gibt nichts Schlimmeres als einen weißen Typen, der Blues singt“, hat Taylor Kirk einmal gesagt. Er singt ihn trotzdem, jedenfalls etwas, das an Blues erinnert. Die gesamte Pop-Geschichte steckt in diesen Songs, aber sie wird verfremdet, geknechtet, zerdehnt – und genau das macht sie so brillant.

Als Zugabe spielen Timber Timbre das erhabene, Gänsehaut erzeugende „Run From Me“, mit dem Kirk sich schon vor zehn Jahren für einen Job als James-Bond-Theme-Song-Komponist zu bewerben schien. Das Publikum schwitzt, aber es wiegt sich im Takt. Ein dunkler Walzer, bei blutrotem Licht.

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