piwik no script img

Social-Media-Trend MukbangAus Liebe zum Schmatzen

Sie sehen Menschen beim Essen, Schmatzen und Schlürfen zu. Was für manche ein Albtraum ist, ist für Fans des ASMR-Mukbang entspannend.

US-Youtuber Zach Choi beim professionellen Vertilgen Foto: Zach Choi ASMR/youtube, Screenshot taz

Wenn sich Dennis Hodel vor die Kamera setzt, weiß er, was er seinem Publikum bieten muss. 23 Minuten lang isst er genüsslich einen Döner, gönnt sich Pommes frites mit Mayonnaise und spült alles mit Ayran herunter. Ein Mikrofon, das vor seinem Gesicht hängt, nimmt jedes Kauen, jedes Schlürfen und jedes Schlucken auf. 23 Minuten Essgeräusche: Was für manche eine Horrorvorstellung ist, ist für Fans des ASMR-Mukbang eine entspannende Freizeitbeschäftigung – oder gar Einschlafhilfe.

Mukbangs entstanden 2010 in Südkorea. Das Wort ist ein Neologismus, der aus den Wörtern muk-ja (lasst uns essen) and bang-song (senden) besteht. Mittlerweile ist daraus ein interna­tio­naler Yotube-Trend geworden, der Stars mit Tausenden oder gar Millionen von Followern hervorgebracht hat und auch bei anderen sozialen Medien wie Instagram zu finden ist.

Das Prinzip ist ziemlich einfach: Die Ka­nal­be­trei­be­r*in setzt sich vor die Kamera und isst, meistens große Massen. Das war’s. In den ersten Jahren geschah das häufig als Livestream, der in den Abendstunden anfing und einige Stunden dauerte. Die Mukbanger*innen, zunächst waren es vor allem Frauen, aßen, chatteten mit den Fans, beantworteten Fragen, erzählten aus ihrem Leben.

Essen ist eben nicht nur Nahrungsaufnahme. In der südkoreanischen Gesellschaft, in der immer mehr junge Menschen allein leben, wurde das gemeinsame Essen zum Teil ins Internet verlagert. Über Jahre wurde der Trend außerhalb von Südkorea nicht weiter beachtet. 2015 erst begannen die ersten US-Amerikaner*innen mit Mukbangs. Mittlerweile ist der Trend auch in Deutschland angekommen.

Mit hochsensiblen Mikros aufgenommen

Dabei hat sich jedoch die Art der Mukbangs verändert. Statt Livestreams werden vor allem vorgedrehte Videos veröffentlicht. Es gibt weniger Interaktionen mit den Zuschauer*innen, das Essen ist nicht mehr bloß Anlass der Zusammenkunft, sondern steht selbst im Mittelpunkt – vor allem die Geräusche, die beim Essen entstehen. Und die sind beim sogenannten ASMR-Mukbang mit hochsensiblen Mikros aufgenommen werden.

ASMR steht für autonomous sensory meridian response, was so viel bedeutet wie ein kribbelndes Gefühl, das durch bestimmte, meist akustische Reize ausgelöst wird und das viele Menschen als entspannend empfinden. Solche akustischen Reize können zum Beispiel das Zuzeln einer Weißwurst sein, wie es in einem von Dennis Hodels Videos zu hören ist.

Über 11 Millionen Follower

Laut einer Studie der University of Sheffield und der Manchester Metropolitan University lässt sich die Wirkung von ASMR messen, beispielsweise konnte man eine Senkung der Herzfrequenz feststellen. Auf Youtube gibt es Tausende Videos zu ASMR, sei es Geflüster, das langsame Öffnen von Kartons – oder eben Essen. Rachel Herz, Neurologin an der Brown University in den USA, sagt, Essen sei besonders gut für ASMR geeignet, weil die Geräusche vertraut und intim sind.

Mit all dem Gekaue kann man viel Geld verdienen – zumindest theoretisch. Der mit Abstand größte Star der ASMR-Mukbang-Szene ist Zach Choi. Dem Kanal des US-Amerikaners folgen über 11 Millionen Menschen, durchschnittlich sehen sich innerhalb weniger Tage 3 Millionen seine Videos an. Damit ist er längst Millionär geworden, heute verdient er mit seinen Videos bis zu 1,3 ­Millionen US-Dollar pro Monat.

Die sind hochwertig inszeniert, mit einer Kochsequenz am Anfang. Danach geht es ums Essen. Choi spricht nicht, schaut nur in die Kamera und isst. Der Hintergrund schwarz, er selbst in Schwarz gekleidet. Informationen zum Essen werden als Untertitel eingeblendet. Es dreht sich alles um die Geräusche.

Ähnlich agiert auch Dennis Hodel. Auf seinem Kanal German Freak ASMR isst er mal Kartoffelsalat mit Würstchen, mal Döner, mal gibt es ein klassisches Weihnachtsessen, mal eine absurde Menge Big Macs. Vor mehr als drei Jahren hat er seinen Kanal eröffnet und zu Beginn vor allem Süßigkeiten gegessen. Er ist zufällig auf den Trend gestoßen. „Ich war arbeitslos und suchte auf Youtube nach Videos zur Entspannung. Irgendwann bin ich zufällig auf die ASMR-Mukbangs gestoßen. Da dachte ich mir: Das kann ich doch auch.“

Im beliebtesten Video isst er Döner

Mittlerweile veröffentlicht er wöchentlich zwei bis drei Videos. Die Aufmachung ist immer dieselbe: Hodel sitzt in seiner gelben Adidas-Jacke vor einem schwarzen Hintergrund. Das Essen ist vor ihm angerichtet, das Mikro nimmt alles auf: wie er sich die Hände reibt, mit Papier raschelt und flüsternd seine Zu­schaue­r*in­nen begrüßt. Nach einer kurzen Erklärung, was es heute Leckeres gibt, wird gegessen und genossen.

Seinem Kanal folgen über 27.000 Abon­nen­t*in­nen. Sein beliebtestes Video, bei dem er den Döner isst, wurde allerdings über 170.000-mal geklickt. Kein Vergleich zu Zach Choi oder anderen in der Szene, doch Hodel sagt: „Ich habe noch zwei andere Youtube-Kanäle und damit einen Vergleichsrahmen. Ich sehe, wie viel beliebter meine Mukbang-Videos sind.“ Noch kann er davon nicht leben, es sei aber ein Standbein. Der 34-Jährige arbeitet noch freiberuflich im Marketingbereich.

Das Drehen der Mukbangs ist in seinem Alltag fest integriert: „Anfang der Woche mache ich mir einen Plan. Manchmal hole ich mir dafür Inspiration von meinen Fans oder auf Instagram. Dann gehe ich einkaufen, drehe Teaser für Youtube und Instagram. Bereite das Essen vor, drehe, schneide und poste sie.“

Im Schnitt dauere der gesamte Prozess vier bis fünf Stunden, je nachdem, ob er bloß Fast Food kaufen müsse oder selbst koche. Wenn das Video fertig und raus ist, kommt das Community-Management dran. Hodel likt und antwortet auf jeden Kommentar unter seinen Videos – es können Hunderte sein. „Eigentlich hört es nie auf“, sagt er.

Ausweg aus sozialer Isolation

Der allgemeine Tenor unter seinen Videos ist euphorisch: „I LOVE this video! I turn back to it everytime.“ Oder auch: „This meal looks so good! If this is typical fast food in Germany, I need to visit!“ oder „My number 1 lullaby“. Mein liebstes Schlaflied. Seine Fans sind ihm treu. Wer sich durch seine Kommentare scrollt, dem wird schnell klar, dass die ASMR-Reaktion nur einer der Gründe für die Faszination der Mukbangs ist. Eine Studie der Nottingham Trent University kommt zu dem Schluss, dass Menschen die Videos als Ausweg aus der sozialen Isolation benutzen.

Auch Hodel ist aufgefallen, dass die Zugriffszahlen und die Zahl der Abonnenten in Zeiten der Pandemie gestiegen sind: „Viele sitzen zu Hause allein herum, und dann kann ihnen mein Video das Gefühl geben, dass wir zusammen an einem Tisch sitzen und gemeinsam essen.“ Egal wie sehr sich die Mukbangs in den letzten zehn Jahren verändert haben mögen, sie scheinen immer noch eine Lücke zu füllen und ein gesellschaftliches Bedürfnis zu befriedigen. Lieber jemand laut schmatzen hören, als immer nur allein essen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen