Social Media Influencer:innen: Ein Ticket Hoffnung
Influencer:innen wie Louisa Schneider und Fabian Grischkat touren mit dem Thema Zuversicht durchs Land. Kann man Hoffnung erfahrbar machen?

Verena Maier beeilt sich, als eine der Ersten am Merch-Stand zu sein. „Können wir noch ein Foto machen?“, fragt die 23-jährige Studentin. Sie verfolgt den Influencer Fabian Grischkat schon seit vielen Jahren, seit den „Grischistudios-Zeiten“, wie sie sagt. Damals waren seine Haare statt weiß-blond noch schlumpfblau. Heute hat er fast 200.000 Follower auf Instagram und verkauft an diesem Augustabend nach seiner Lesung in Hamburg noch Bücher. Verena Maier ist alleine da und sieht Grischkat zum ersten Mal in echt.
Fabian Grischkat ist ein kleiner Star im queer-grünen Social-Media-Universum. In den vergangenen Jahren hat er sich vor allem mit Videos, in denen er politische Sachverhalte von AfD bis Plastikverschmutzung erklärt, eine Followerschaft erarbeitet. Schnelle Schnitte, catchy Einstiege wie „Bei den Rechten ist ein neuer Erzfeind gespawnt“ („to spawn“ kommt aus dem Gaming-Kontext und bedeutet das Erscheinen einer neuen Spielfigur; d. Red.) und ab und zu ein Witz über Markus Söder. Das ist sein Erfolgsrezept.
Der Anlass für die Lesung ist sein erstes Buch „Keine Zukunft ist auch keine Lösung“, das er zusammen mit der Juristin Baro Vincenta Ra Gabbert geschrieben hat. Sie arbeitet als Sprecherin für Greenpeace, hat mit der NGO unter anderem die Bundesregierung auf mehr Klimaschutz verklagt. Gabbert und Grischkat wollen in ihren Lesungen Hoffnung machen. Aber kann man Hoffnung inszenieren? Wen erreicht man damit überhaupt? Und was macht es mit Bewegungen, wenn einzelne Vorbilder den Ton angeben?
In spätsommerlicher Atmosphäre sitzen Grischkat und Gabbert in gemütlichen Sesseln in einer Location im Hamburger Park Planten un Blomen. Auf dem Tisch vor ihnen stehen Blumen. In den Bäumen rundherum werfen Glühbirnen ein warmes Licht auf die etwa 120 Menschen, die den Geschichten der Autor:innen lauschen. Diese sollen Hoffnung geben, die beiden sprechen über abgesagte Greenwashing-Kampagnen von VW und über eine Klimaklage eines peruanischen Andenbauers gegen den deutschen Energiekonzern RWE.
Auch über ihre eigenen Projekte sprechen sie: Wie Fabian Grischkat den Begriff Stolzmonat patentierte, den Rechtsextreme häufig als Gegenbegriff zum Pride Month verwenden, und von Baro Vincenta Ra Gabberts Climate Clinic, in der Aktivist:innen juristischen Rat erhalten können.
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Der Aktivismus verlagert sich zurück ins Analoge
Im Laufe des Abends wird auch der Begriff Hoffnung immer wieder zum Thema. Fabian Grischkat sagt im Gespräch mit der taz: „Wir müssen weg von der naiven ‚Alles-wird-gut-Hoffnung‘.“ Stattdessen spricht er von „aktiver Hoffnung“, ein Begriff, den die Ökophilosophin Joanna Macy prägte. Es geht darum, etwas zu tun, irgendetwas, auch wenn man manchmal nicht mehr weiterweiß.
Die Tour zum Buch zeigt, wie sich Aktivismus im Zeitalter der sozialen Medien auch zurück ins Analoge verlagern kann. Statt von Screen zu Screen will man sich live begegnen. Die beiden sind nicht die Einzigen, die mit dem Thema Hoffnung unterwegs sind.
Luisa Neubauer von Fridays for Future, Carla Hinrichs von der Neuen Generation und die Influencerin Louisa Schneider, sie alle füllen mit der Botschaft, dass es gerade in schwierigen Zeiten Mut und Hoffnung braucht, Säle. Sie wollen Hoffnung als Ressource erfahrbar machen, wollen nicht nur informieren, sondern motivieren, trösten, ermutigen.
Ihnen geht es darum, jene zu erreichen, die längst wissen, wie ernst es ist. Menschen wie Verena Maier, die manchmal auf Klimademos geht, vegan lebt, aber darüber hinaus nicht besonders politisch aktiv ist. Maier wünscht sich von der Lesung, dass ihr der Abend Mut macht, um irgendwie ins Machen zu kommen. Immerhin: der Blick ins Publikum zeigt eine gewisse Durchmischung. Von grauem Haar mit Glatzenansatz bis zum Vokuhila ist alles dabei.
Social Media hat den Aktivismus verändert, Einstiegshürden gesenkt, Sichtbarkeit geschaffen. Influencer:innen erreichen Tausende, die klassischen NGOs kaum zugänglich sind. Für Organisationen wie Greenpeace, für die die Juristin Baro Vincenta Ra Gabbert arbeitet, sind sie deshalb unverzichtbar.
Aber Social Media führt auch zu einer verstärkten Personalisierung. Die Macht innerhalb von Bewegungen konzentriert sich so auf einzelne Stars. Influencer:innen werden zu neuen Meinungsführer:innen. Gerade innerhalb von sozialen Bewegungen werden sie deshalb auch kritisch beäugt.
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Meinungsführer gibt es schon lange
„Bereits in Vor-Internet-Zeiten gab es den Begriff der Meinungsführer“, sagt Medienexperte Armin Scholl vom Institut für Protestforschung. „Das waren Menschen, die innerhalb ihrer Community einen gewissen Einfluss hatten, weil sie besonders kommunikativ aktiv waren. Aber genauso funktioniert Öffentlichkeit. Es braucht Menschen, die vorangehen, die eine besondere Fähigkeit zur Vernetzung haben.“
Auch an diesem Abend zeigt sich, wie erfolgreich das Duett aus charismatischem Meinungsführer und Expertin funktionieren kann. Während ihre Passagen häufig die komplexeren Zusammenhänge erläutern, bekommt er die meisten Lacher.
Einige Monate zuvor: Statt warmer Sommerluft im Hamburger Park, beißende Kälte im Münchener Randbezirk Trudering. Die Klimajournalistin Louisa Schneider hält ihren Vortrag „Grad Jetzt – Gegen die Angst“ – eine Mischung aus Reisebericht und Lesung. Auch dieses Event ist gemeinsam mit Greenpeace entstanden. Sie hat Menschen, die sich für eine bessere Welt einsetzen, in Brasilien, Grönland, Senegal und überall auf der Welt porträtiert. Heute teilt sie deren Geschichten mit ihrem Münchener Publikum.
In der Pause kommt ein Mann auf sie zu. Sie steht noch auf der Bühne, den Pointer in der Hand. Schneider strahlt. Sie hatte im Vorhinein ausdrücklich dazu eingeladen, sie in der Pause zu befragen. Doch der Mann hat vor allem Zweifel: „Denken Sie, so was bewirkt was?“ Leise und in einem sachlichen Tonfall macht er ihr Vorwürfe: Sie würde Dinge nur schönreden, es sei nicht so einfach, man könne diese Krisen so nicht bewältigen.
Schneider scheint überrascht. Ihr offenes Lächeln weicht einem überforderten Blick. Zu einer Diskussion kommt es nicht. Der Mann lässt seinen Redeschwall auf sie nieder, dann geht er wieder. Den Frust der Menschen persönlich abzubekommen, sei ihr vorher noch nicht passiert, erzählt sie später.
Auch in Hamburg stellt sich der Besucher Thorsten Brinkmann die Frage nach der Wirksamkeit. Der 48-Jährige ist Lehrer an einer Schule in einem sogenannten Brennpunkt-Stadtteil in Hamburg. Er sei hier, um seine Schüler:innen besser zu verstehen und Hoffnung für die eigene Arbeit zu schöpfen.
Nach der Veranstaltung sagt er: „Im ersten Moment ändert sich ja nichts, wenn wir hier so gemütlich zusammensitzen und einander zuhören.“ Auf der anderen Seite beginne Hoffnung aber eben „beim einzelnen Menschen“. Er wolle die Motivation mit in den Unterricht nehmen.
Armin Scholl, Protestforscher
Hoffnung ist eine Erfahrung im Kleinen
Selbstwirksamkeit zu spüren, um sich nicht resigniert von der Politik abzuwenden, sei der ausschlaggebende Punkt solcher Veranstaltungen, sagt Medienexperte Armin Scholl. „Diese Events verhindern, dass Menschen immer nur mit der Masse an Negativem konfrontiert werden. Das heißt nicht, dass sie unkritisch sind, sondern nur, dass die Ambition besteht, mehr zu zeigen, als das, was schlecht läuft. Das ist der psychologische Mechanismus, der dahintersteckt.“
Hoffnung, das zeigt sich hier, ist weniger ein großes Versprechen als eine Erfahrung im Kleinen: dass man nicht alleine ist und Engagement doch Sinn hat. Aber wird aus dem Kauf eines Buchs und einem Selfie mit dem Vorbild am Ende auch mehr?
Verena Maier postet nach der Lesung ein paar Ausschnitte auf Instagram. Ursprünglich sei sie wegen des „Fangirl-Moments“ gekommen, erzählt sie nach der Veranstaltung. Sie wolle sich aber einer politischen Gruppe anschließen, sobald sie wieder in ihrer Heimat – einer bayerischen Kleinstadt – ist, „den Grünen oder Fridays for Future oder so was“. Warum? „Weil ich jetzt das Gefühl habe, dass es gemeinsam leichter ist, etwas zu erreichen, und weil es mir guttun wird, mich über die Krisen der Welt auszutauschen.“
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