Ski-Legende über Naturschutz im Gebirge: „Brauchen nachhaltige Konzepte“
Man müsse sich dringend fragen, ob Sommertrainingslager noch zeitgemäß seien, sagt Felix Neureuther. Von der Natur werde sein Sport allerdings immer etwas abverlangen.
taz: Herr Neureuther, wie oft gehen Sie denn zurzeit zum Skifahren?
Felix Neureuther: Jetzt grade geh’ ich eigentlich nur mit den Kindern zum Skifahren. Und wenn das Wetter passt, sind wir eigentlich möglichst jeden Tag am Berg.
Was ist denn das Tolle am Skifahren?
Das Tolle? Dass selbst die Kleinsten daran schon einen riesigen Spaß haben. Dass man draußen in der Natur ist. Dass man die Natur mit all ihren unterschiedlichsten Formen wahrnimmt. Dass man dieses Adrenalin spürt, die Geschwindigkeit, den Wind im Gesicht. Und letztlich ist es auch einzigartig, oben am Berg stehen zu dürfen, ins Tal zu schauen und zu wissen: Hey, da darf ich jetzt gleich runterfahren.
37, ist der erfolgreichte deutsche Skirennläufer der vergangenen Jahre. 2019 beendete der Garmischer seine aktive Karriere und wechselte ins TV-Expertenfach. Der Sympathikus gewann etliche WM -Medaillen und wurde mehrfach Zeiter im Slalom-Gesamtweltcup. Ähnlich gut glückte ihm die Emanzipation von seinen berühm-berüchtigten Eltern Rosi Mittermaier und Christian Neureuther.
Das sollten alle Kinder erleben dürfen. Aber wird das nicht zu viel für die Berge?
Ich finde es wichtig, dass Kinder das erleben dürfen. Es geht um die Begeisterung für die Natur und die Möglichkeiten, sich darin auszutoben. Diese Erfahrungen begleiten sie dann ein ganzes Leben. In der heutigen, digitalisierten Zeit ist es gar nicht mehr selbstverständlich, dass Kinder rausgehen in die Natur.
Sie haben Schnee mal als Traummaterie bezeichnet. Was ist denn so traumhaft am Schnee?
Wenn es draußen zu schneien beginnt, hängen die Kinder an den Fensterscheiben und können es nicht erwarten, raus zu kommen. Und das ist einfach wundervoll. Wenn Kinderaugen zu leuchten anfangen, dann ist das etwas Besonderes und eigentlich das schönste Leuchten, das es gibt.
Nun gibt es ja immer weniger Naturschnee. Ist denn Kunstschnee auch eine Traummaterie?
Natürlich nie so wie ein magisches Schneekristall. Aber er kann den Menschen doch noch sehr viel ermöglichen. Touristischer Skisport in den Alpen wäre ohne Kunstschnee nicht mehr möglich. Es kommt darauf an, den Kunstschnee so energieeffizient wie möglich zu produzieren. Auch für die Natur kann die Schneeproduktion durchaus etwas Positives haben. Gletscher können damit beschneit werden und bleiben unter der Schneedecke länger erhalten. Der Wasserhaushalt von Bergwiesen kann besser gesteuert werden.
Da kann Kunstschnee wirklich helfen?
Ja, auch wenn die Gletscher abschmelzen, ist es wichtig, sie so lange wie möglich zu erhalten. Das kann übrigens auch durch „Snowfarming“ funktionieren. Gletscher sind nun mal die größten Wasserspeicher, die wir in den Alpen haben, und die Alpen beherbergen das größte Wasserreservoir Europas.
Der Kunstschnee, der dafür sorgt, dass der Kommerzzirkus Wintersport weiterlebt, soll also die Alpen retten. Spüren Sie da nicht auch einen gewissen Widerspruch?
Nein, das würde ich so nie behaupten, es ist nur ein Nebeneffekt. In Deutschland sind übrigens nur 2 Prozent der Skipisten beschneit, und in Bayern sind 0,3 Prozent der Bergflächen mit Pisten bestückt. Das Wichtigste ist doch, dass wir uns bewusst machen, wo die größten Schäden verursacht werden. Und das ist eindeutig die An- und Abfahrt in den Skiurlaub. Wenn man auch diese Themen bewusst angeht und strukturiert, kann man einen großen Beitrag zu geringerem CO2-Ausstoß leisten. Das gilt allgemein für das Reisen. Alle, die sich im Wintersport engagieren, also auch die Liftbetreiber und Touristenorte, müssen sich dieser Verantwortung stellen. Und das geschieht ja auch. Wir können aber den Menschen nicht einfach diese Freude am Leben nehmen. Dazu trägt der Wintersport wesentlich bei.
Was wäre denn da eine Idee?
Man sollte sich überlegen, wie man anreist, dass man vielleicht nicht jedes Wochenende in die Berge fährt, sondern lieber eine Woche Skiurlaub macht. Die An- und Abreise verursacht bis zu 80 Prozent des CO2-Ausstoßes bei einem Skiurlaub. Ich weiß aus meinem Heimatort Garmisch-Partenkirchen, welche günstigen Möglichkeiten auch die Bahn bietet. Es gibt also schon Möglichkeiten.
Kann der Skisport, der als Leistungssport betrieben wird, eine Vorreiterrolle einnehmen?
Unbedingt!
Der müsste sich also auch verändern.
Man sollte sich die Frage stellen, ob es noch zeitgemäß ist, im Juli oder August ein Trainingslager auf einem Gletscher durchzuführen. Das machen alle Nationen, auch die, die im Gegensatz zu Österreich, Italien, Frankreich oder der Schweiz im eigenen Land keinen Gletscher haben, auf dem man im Sommer Skifahren könnte, also weit anreisen müssen. Alle sollten sich daher fragen, ob diese Sommertrainiererei sinnvoll ist. Es werden ja schon zehn-, elf-, zwölfjährige Kinder zu so einem Sommertraining verpflichtet. Das ist aber in meinen Augen völlig unnötig.
War das auch schon so, als Sie in diesem Alter waren?
Auch, aber nicht so krass. Die Professionalisierung und der damit verbundene Aufwand des Skirennsports ist extrem fortgeschritten. Das spüren wir auch beim Nachwuchs, weil viele Eltern diesen Aufwand und die damit verbundenen Kosten nicht mehr mitmachen wollen und können. Auch die Kinder werden überfordert und haben oft keine Lust, mitten im Sommer zum Skifahren zu gehen. Eine „Sommerpause“ würde also in vielen Bereichen etwas bringen. Kinder können auch zu Hause trainieren.
Was denken Sie mit all Ihrer Begeisterung für den Skisport, wenn Sie hören, dass durch die Spiele in Peking 300 Millionen Menschen an den Wintersport herangeführt werden sollen?
Ich glaube sowieso nicht, dass man es schafft, 300 Millionen Chinesen nachhaltig für den Skisport zu begeistern. Bei uns in den Alpen ist der Skisport über viele Jahrzehnte hinweg gewachsen, bis letztendlich eine Begeisterung dafür entstanden ist. Aber du kannst das den Menschen doch nicht einfach hinstellen und sagen: So, bitte, und jetzt macht mal. Deshalb sehe ich es kritisch, wenn man in einer Region ein Skigebiet plant und auch durchsetzt, wo im Jahr durchschnittlich 5 Zentimeter Neuschnee fallen.
So wie es im Pekinger Olympaiskigebiet Yanqing der Fall ist …
… wo man in ein Naturschutzgebiet eingegriffen hat und Dörfer dafür geopfert hat. So kann der Skisport der Zukunft nicht aussehen. Wir haben eine Verantwortung für unsere Sportart, wir werden immer auch von der Natur etwas abverlangen, aber es muss im richtigen Verhältnis stehen. Gewinnmaximierung darf dabei nicht an erster Stelle stehen. Man sollte die Menschen auch emotional packen, mit nachhaltigen Konzepten, das wäre in meinen Augen die beste Gewinnmaximierung, weil dadurch eine noch größere Begeisterung entstehen könnte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen