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Sitzplatzvergabe bei Air BerlinProfit auf Kosten der Sicherheit

In Air-Berlin-Flugzeugen bleiben Sitze am Notausgang leer, wenn niemand extra zahlt. Das Luftfahrt-Bundesamt hält das für rechtlich fragwürdig.

Ob hier jemand sitzt, ist bei Air Berlin keine Frage der Sicherheit, sondern des Geldes Foto: dpa

Berlin taz | Wer in einem Flugzeug am Notausgang sitzen darf, ist genau geregelt: Die dort platzierten Passagiere müssen erwachsen sein, körperlich fit und zudem in der Lage, sich mit der Crew zu verständigen. Denn im Fall einer Notlandung müssen die Notausgänge, an denen kein Besatzungsmitglied sitzt, von einem Passagier geöffnet werden. Das ist oft an den Ausgängen über den Flügeln der Fall. Wie die Tür aufgeht, wird in Piktogrammen auf der Tür erläutert.

Trotzdem sind diese Sitzplätze vor allem bei großen Fluggästen überaus beliebt – denn neben der zusätzlichen Verantwortung bieten sie mehr Beinfreiheit: Um eine gute Erreichbarkeit des Notausstiegs zu gewährleisten, ist der Sitzabstand dort deutlich höher als in normalen Economy-Reihen. Viele Fluggesellschaften sind daher dazu übergegangen, für die Sitzplätze am Notausgang einen Aufpreis zu verlangen. Wenn sie nicht vorab gebucht werden, erlauben es die meisten Airlines aber, dass sich Passagiere an Bord kostenlos umsetzen – oder sie sorgen sogar aktiv dafür, dass in jedem Fall ein Passagier am Ausgang sitzt, um diesen bei Bedarf zu öffnen.

Anders die zweitgrößte deutsche Fluggesellschaft, Air Berlin: Sie lässt die Plätze am Notausgang neuerdings komplett leer, wenn niemand bereit ist, den geforderten Aufpreis zu bezahlen, der je nach Strecke zwischen 19,99 und 79,99 Euro beträgt. Dass es damit im Notfall keinen Passagier gibt, der direkt am Ausgang sitzt und idealerweise sogar darauf vorbereitet ist, ihn zu öffnen, sieht die Airline nicht als Problem.

Falls eine Notlandung vorab absehbar sei, habe die Crew noch genug Zeit, Passagiere umzusetzen, sagt Sprecherin Janina Mollenhauer der taz. Und wenn das nicht möglich sei, „wird die Tür dann vom ersten Passagier geöffnet, der sie erreicht“. Dieses Vorgehen sei völlig legal, meint Mollenhauer: „Es gibt keine gesetzliche Vorschrift, dass auf diesen Plätzen jemand sitzen muss.“

Das sieht das für die Überwachung der Fluggesellschaften zuständige Luftfahrt-Bundesamt allerdings anders. Zwar sei in der einschlägigen EU-Vorschrift tatsächlich nur aufgeführt, welche Personen nicht an einem Notausgang sitzen dürfen, bestätigt die Behörde auf taz-Anfrage. Um dann aber zu erklären: „Dennoch lässt sich die Forderung, dass an einem nicht mit einem Flugbegleiter besetzten Notausstieg grundsätzlich eine geeignete Person, die im Notfall diesen Notausstieg öffnen kann, zu platzieren ist, indirekt aus den Bauvorschriften für große Flugzeuge CS-25 ableiten.“

Binnen 90 Sekunden komplett evakuieren

Für die Zulassung müsse ein Hersteller nachweisen, dass ein Flugzeug innerhalb von 90 Sekunden komplett evakuiert werden kann. Bei dieser Übung seien alle Plätze am Notausgang besetzt. „Das heißt“, folgert das Luftfahrt-Bundesamt, „dass ein Luftfahrtunternehmen auch im realen Betrieb dafür Sorge zu tragen hat, dass alle verfügbaren Notausgänge oder Notausstiege im Notfall unverzüglich geöffnet werden können.“

Konfrontiert mit dieser Aussage sagt Air-Berlin-Sprecherin Mollenhauer, dass bei der Übung ohnehin nur „die Hälfte der Notausgänge“ benutzt werden dürfe. Nach Ansicht des Unternehmens werden die Türen über den Flügeln, die im Notfall von Passagieren geöffnet werden müssen, also gar nicht unbedingt benötigt, um die Vorgaben der Evakuierungsübung zu erfüllen.

In diesen findet sich zwar tatsächlich die Aussage, dass bei der Übung nur 50 Prozent der Notausgänge benutzt werden dürfen; schließlich kann ein Teil von ihnen beim Aufprall beschädigt werden oder wegen eines Feuers unbenutzbar sein. Doch die benutzten Ausgänge müssen „repräsentativ für alle Notausgänge“ sein, heißt es in der Vorschrift. Dass auf alle mittleren Ausgänge über den Flügeln verzichtet werden könne, wie Air Berlin argumentiert, ist also unzutreffend.

Kein Verständnis für das Vorgehen von Air Berlin hat auch Luftrechtexperte Elmar Giemulla, der in Berlin und New York Jura lehrt sowie Opfer und Hinterbliebene von Flugzeugunglücken berät. „Selbst wenn es keine ausdrückliche Verpflichtung gibt, die Notausgangsplätze zu besetzen, verstößt die Praxis, sie leer zu lassen, gegen die Sicherheitsphilosophie“, sagte er der taz. Denn es sei absehbar, dass sich die Evakuierung verzögert, wenn kein Passagier vorab für die Öffnung der Tür bestimmt sei, sondern es ein Wettrennen zu den Ausgängen gibt.

„Die Notausgänge dienen der Sicherheit“, sagte Giemulla. „Da darf es keine Abstriche geben, um zusätzliche Einnahmen zu erzielen.“

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6 Kommentare

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  • Als Umweltredakteur hat Malte Kreutzfeldt bestimmt schon vom Klimawandel gehört und weiß, dass wir ein viel größeres Problem haben. Es sitzen nämlich sozusagen am ganz großen Notausgang ein paar Leute, die nicht richtig erwachsen werden wollen und auch keine kommunikativen Fähigkeiten haben. Sie glauben, ein kleiner, reicherer Teil der Menschheit hätte ein gottgegebenes Recht, die Atmosphäre und den ganzen Globus kaputtzumachen und dafür irgendwelche anderen blechen zu lassen, die keine Wahl haben. Sie glauben, das sei keine Sklavenhaltermentalität, sondern Fortschritt. Sie sind geil darauf, neue Startbahnen einzuweihen und sich dafür wählen oder bezahlen zu lassen, dass sie das Fliegen weiter künstlich billig machen, obwohl wir das Jahr eins nach dem Paris-Gipfel haben.

     

    Bernhard Pötter, auch ein taz-Umweltredakteur, hat geschrieben:

     

    "... von einer bedrohten Spezies hat sich der deutsche Verbraucher zum rücksichtslosen Schnäppchenjäger gemausert. Der braucht keinen Bestandsschutz mehr. Sondern einen Benimmkurs." http://www.taz.de/1/archiv/?dig=2005/03/15/a0146

     

    Ich bin sicher, dass Malte Kreutzfeldt den Satz kennt. Und er kennt bestimmt auch die neue UBA-Studie: Betuchte Mitbürger, die sich selbst als umweltbewusst einschätzen, haben eine viel schlechtere CO₂-Bilanz als ärmere Deutsche, denen die Umwelt schnuppe ist. Das hat vor allem drei Gründe: große Wohnung, großes Auto, viel Fliegen. http://www.taz.de/Konsum-und-Umweltbewusstsein/!5325200/

     

    Etwas Ähnliches hat Manfred Kriener schon vor Jahren am Beispiel des Tourismus beschrieben. Als taz-Umweltredakteur.

     

    Und ich lese und lese das alles und frage mich: Sind wir alle bescheuert?

    • 1G
      1714 (Profil gelöscht)
      @Mika:

      Mika, das mag zwar alles zutreffend sein - doch in diesem Zusammenhang geht es komplett am Thema vorbei.

      • @1714 (Profil gelöscht):

        Nein, das ist genau das Thema. Die Welt ist klein geworden und hat ein riesengroßes Gerechtigkeitsproblem und ein riesengroßes Zukunftsproblem. Kein Vielfliegerverbraucherschutzproblem.

         

        Oder eine Nummer kleiner: Über Klimapolitik für den Luftverkehr hat die taz schon sehr lange nicht mehr berichtet. Der letzte Artikel mit Inhalt erschien am 1. März 2015. http://taz.de/!5018558/

         

        PS: Wenn die Fliegerei zu massenhaft mehr Weltverständnis und tieferen Einsichten führen würde, wärs ja ok. Aber ist ja nicht. Wer fliegt, bleibt meistens unter seinesgleichen.

    • @Mika:

      Sie haben natürlich recht. Seit dem die Grünen nicht mehr in der Regierung sind, ist die Umwelt für die Politik unwichtig geworden. Selbst Leuchttürme wie die Energiewende werden demontiert. Feminismus wird zwar propagiert, wurde aber in einen konservativen Feminismus umgewandelt. Die konventionellen Rollenmodelle sollen möglichst bewahrt werden. Frauen sollen für die Kinder zu Hause bleiben und Väter sollen bitte Vollzeit arbeiten. Klassische Garanten für die alte Rollenverteilung wie die diskriminierenden Lohnsteuerklassen oder mangelnde Väterrechte werden zwanghaft verteidigt. Aber nach der Babypause sollen die Frauen dann Sprungkarriere in den Aufsichtsrat machen.

      Und so ist die Umwelt in der Verkehrspolitik zur Quantité négliable geworden.

      "Gutes Bewusstsein" war schon immer eine Begleiterscheinung von schlechtem Tun und natürlich gibt es immer Leute, die ihren Reichtum umweltfrevlerischer verprassen als man selbst.

  • Zitat "Für die Zulassung müsse ein Hersteller nachweisen, dass ein Flugzeug innerhalb von 90 Sekunden komplett evakuiert werden kann."

     

    Ob da jemand am Notausgang sitzt oder nicht, eine vollbesetzte Boing komplett in 90 sec zu evakuieren, funktioniert nie und nimmer - vermute ich mal, aber das vehement.

     

    Abgesehen von dieser Vermutung, finde ich die Notausgangssitz-Vergabepolitik von Air Berlin halsabschneiderisch.

    • @awes:

      Gerade erst geschehen bei der Bruchlandung von EK 521, alle 300 Passagiere wurden in 90 Sekunden evakuiert.