piwik no script img

Sinkende ImpfbereitschaftDen Stoff in der Kneipe

Kommentar von Julian Jestadt

Die Zahl der täglichen Impfungen in Deutschland geht zurück. Doch nur mit einer hohen Geimpftenquote ist ein guter Schutz gegen die Delta-Variante zu erreichen.

Überall sollte geimpft werden, z.B. in Kneipen, wie hier bei einem Pilotprojekt in Berlin Ende Mai Foto: Wolfgang Kumm/dpa

D ie Delta-Variante grassiert, die Impfstoffmengen steigen, aber die Zahl der täglichen Impfungen geht zurück. Ob es das Gefühl ist, angesichts niedriger Inzidenzen nicht mehr bedroht zu sein, oder ob es sich um ein urlaubsbedingtes Impf-Sommerloch handelt, ist offen. Fest steht: Die Impfbereitschaft in der bundesdeutschen Bevölkerung lässt nach. Das ist beunruhigend.

Wenn das Tempo der deutschen Impfkampagne nicht wieder an Fahrt gewinnt, dürfte die Pandemie noch lange dauern. So forderte Jens Spahn, es müsse „ein Impfruck durch Deutschland gehen“. Das ist richtig. Doch dafür braucht es ein viel niedrigschwelligeres Impfangebot.

Das Robert Koch-Institut hat kürzlich das Ziel für einen guten Schutz vor einer neuen Welle nach oben korrigiert. Während bisher von einer Quote zwischen 70 bis 80 Prozent die Rede war, müssen der neuen Einschätzung zufolge 90 Prozent der über 60-Jährigen und 85 Prozent der 12- bis 59-Jährigen geimpft sein. Gerade bei den Jüngeren zwischen 18 und 59 Jahren sind es bisher aber nur gut 55 Prozent.

Eine verstärkte und gezieltere Öffentlichkeitsarbeit, wie sie einige Bundesländer planen, ist sicherlich wichtig, kann aber nicht die einzige Strategie sein. Das Impfen muss einfacher werden, gerade wenn mehr Impfstoff verfügbar ist. Statt einen Termin machen zu müssen, sollte man sich spontan impfen lassen können. Statt zu einem Impfzentrum fahren oder einen Arzt aufsuchen zu müssen, sollte überall geimpft werden: in Fußballstadien oder bei Demos, in Einkaufsstraßen und Bahnhöfen, vor Clubs und Kneipen.

Die Devise: Wenn die Menschen nicht zur Impfung kommen, kommt die Impfung zu den Menschen. Auf diese Art wird man vor allem die Jüngeren erreichen, die sich aus Trägheit nicht haben impfen lassen, weil der Urlaub verlockender oder die Sorge um Nebenwirkungen zu nervig ist. Einen Impfruck kann es jedenfalls nur geben, wenn das Impfen noch leichter wird – überall.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Impfen in Kneipen? Super Idee! Wenn nicht dahinter wieder das Vor-Urteil lauern und unverschämt grinsen würde…

    Nein, nicht jeder Gering-Verdiener verbringt seine Freizeit vorm Tresen. So wenig, wie jeder arme Mensch zu dumm ist, sich einen Impftermin geben zu lassen. Aber fast alle Menschen, die wenig verdienen, müssen sich noch mehr gängeln lassen als Gut-Verdiener, deren Lobbys immerhin für soziale Wohltaten gesorgt haben.

    Während Chefs (mehr oder weniger) frei über ihre Terminkalender verfügen und hoch dotierte Fachkräfte sich notfalls auch während der Arbeitszeit impfen lassen können, müssen Schicht- oder Bandarbeiter fürs Impfen tauschen oder Urlaub nehmen. Urlaub, der ihnen zu allem Überfluss auch noch kurzfristig verwehrt werden kann „aus betrieblichen Gründen“. Wo ausschließlich Schlagkraft was gilt, sind halt Nicht-Schläger gekniffen.

    Wenn „die Menschen nicht zur Impfung kommen“, muss das jedenfalls nicht zwingend an den Menschen selber liegen. Käme die Impfung zu den Menschen, könnte das hilfreich sein. Es würde etwa die „Arbeitgeber“ in Zugzwang bringen, ihr Scherflein doch beizusteuern, statt auf dem Buckel ihrer Beschäftigten Konkurrenzkämpfe auszufechten.

    „Niederschwellige Angebote“ wären überhaupt eine gute Sache. Nur stehen sie im Widerspruch zum Machtgebaren mancher Alphatiere. Die wollen es schließlich nicht nötig haben müssen, sich irgendwie zu kümmern um Minderbemittelte aller Couleur. Dafür, schließlich, haben sie ja Personal, dass sie nur denen hinterherzurennen brauchen, die noch etwas mächtiger sind als sie selbst - und nur die Klinken an den Türen putzen, hinter denen es golden glitzert.

  • Ich habe mir in einem Impfzentrum vor zwei Wochen den "ersten Schuss" abgeholt. Die Ärztin die mir die Spritze verabreichte war schwer gefrustet, fast die Hälfte der Impfkandidaten wäre an dem Vormittag ohne Absage einfach nicht erschienen. Da ist wirklich die Luft raus!

  • Ein tiefer gehendes Problem ist, dass die Politik bisher davon ausgegangen ist, dass die Impfungen das Thema Corona erledigen. Diese Illusion schwimmt uns angesichts der Ausbreitung der Varianten gerade davon.

    Die Impfungen werden sicherlich auch in Zukunft helfen und viele Menschen vor dem Sterben retten, aber sie werden wahrscheinlich zusammen mit Masken, Luftfiltern, Hygieneregeln, Home Office, Beschränkungen von Großveranstaltungen, ein wichtiger Bestandteil eines Maßnahmenpakets sein, dass noch eine ganze Weile nötig sein wird.

    • @jox:

      Bitte Ausreisebeschränkungen nicht vergessen.



      Sinnvoll wäre auch ein Zuordnung der Kontakte über Gesichtserkennung im öffentlichen Raum. Da könnte China bestimmt mit Technik aushelfen.