Singer-Songwriter Craig Smith: Unterwegs verlorengegangen
Craig Smith machte im Los Angeles der 60er Jahre Karriere als Folkie und drehte auf dem Hippie Trail durch. Ein Buch erzählt nun seine Geschichte.
I’m Walkin’ Solo“ heißt Track Nummer 9 von „Apache“, eines 1971 in Kleinstauflage veröffentlichten Albums eines gewissen Saitya Sai Maitreya Kali, den seine Mutter, die er kurz darauf fast umgebracht hätte, unter dem Namen Craig (Smith) kannte. In den späten 1960er, frühen 1970er Jahren gab es eine Redewendung, wenn eine Band auseinanderbrach oder ein prominenter Künstler seine Gruppe verließ: Er geht solo.
Das hieß: Hier schließt sich niemand einer anderen Band an und macht also irgendwie weiter, sondern hier fühlt sich jemand berufen, sich der neuesten hochexistenziellen Disziplin an der schwindelerregenden Baumgrenze der Unterhaltungsindustrie knapp unter den Gipfeln der Kunst zu widmen: dem Singer-Songwritertum.
Nicht länger eine Rolle spielen, eine Type verkörpern, die durch den Kontext Band und das jeweilige Genre der Populärmusik bestimmt ist, war das Ziel. Stattdessen war der Künstler nun beides, der eigene Chef, die Gestaltungsmacht, die sich Kontext, Narrativ, Image etc. ausdachte, und der Darsteller, die Verkörperung des Narrativs.
Die typische seelische Überforderung des outgesourceten Solo-Selbstständigen unserer postfordistischen Zeit war hier präfiguriert in einem Genre, das dann auch tatsächlich unterhalb seiner mit Ach und Krach stabilen Starriege Joni Mitchell, Neil Young, Leonard Cohen, Carole King (und auch unter denen: James Taylor, Tim Buckley) tatsächlich viele Opfer zu beklagen hatte, bei denen „solo gehen“ verloren gehen hieß: Opfer von Drogen, Esoterik, Religion, Wahnsinn oder einfach nur eines Desinteresses, das in dem Maße wuchs, in dem das Interesse der Betreffenden an sich selbst zunahm. Skip Spence, Dino Valente, Bobby Callender, Scott Fagan, David Stoughton – um nur einige der Genialeren unter den komplett Vergessenen zu nennen.
An ihr Genie reicht Craig Smith nur gelegentlich heran, das Drama seines Verschwindens kann es mit ihren Epen allemal aufnehmen. Seit einigen Jahren werden diese Verlorengegangenen wieder gefunden. Meist postum gräbt man das Werk aus, veröffentlicht es auf 180 Gramm schwerem Vinyl und verkauft es einer kleinen Gemeinde hingebungsvoller Verehrer des knappen eigenen Nichtscheiterns: Diese zarte Verschrobenheit hat man auch einmal gehegt, doch irgendwann dann wieder seinen Verstand eingeschaltet. Mit Werken wie „Apache/Inca“ von Satya Sai Maitreya Kali – also Craig Smith – kann man sich gefahrlos diesen Abgründen wieder nähern.
Zugleich eröffnet sich einmal mehr ein anrührender Einblick in die Seele des idealen Gesamtkaliforniers, zwischen perfekten, strahlenden Äußeren und zotteliger, psychopathischer Homelessness. Craig Smith war ein sunny boy, ein Fernsehdarsteller, TV-Chor-Sänger, male model, der in den späten 1960ern an eine Hauptrolle in einer nie über den Pilot herausgekommenen Fernsehserie geriet: „The Happeners“, die Geschichte eines Hipster-Folktrios in New York.
Kompositionen für andere
Zusammen mit seinem ebenfalls um einen mit den Monkees vergleichbaren Ruhm gebrachten Ko-Star Chris Ducey gründete er daraufhin eine Reihe von Bands im wirklichen Los Angeles und reüssierte nebenher als Songwriter, dessen Lieder sogar von Glenn Campbell aufgenommen wurden. Smith machte sich mit allen bekannt, die im LA der späten 1960er etwas zu sagen hatten: von Frank Zappa bis zu den Beach Boys.
Das Album: Satya Sai Maitreya Kali: „Apache/Inca“ (Maitreya Apache Music/Import)
Das Buch: Mike Stax: „Swim through the Darkness. My Search for Craig Smith and the Mystery of Maitreya Kali“, Process Media, Port Townsend, 230 Seiten, ca. 20 Euro
Der Einzige, der ihm aber wirklich half, war ein anderer, heute fast vergessener genialer Songwriter (und Musiker, Bastler, Filmer und vieles mehr): Michael Nesmith, der ebenfalls ein Fernsehstar gewesen war (bei den Monkees) und seine Rolle als TV-Popstar im wirklichen Leben weiterspielen wollte (mit dann allerdings deutlich mehr Erfolg). Nesmith half der von Craig Smith und Chris Ducey gegründeten Band The Penny Arkade, produzierte ihr 1968 unvollendetes Album, während der strahlende Schwiegersohndarsteller Smith sich mit noch mehr Leuten anfreundete, die in LA das Sagen hatten.
Jetzt war das aber Charles Manson. Psychedelische Drogen und diverse längere Reisen auf diversen Hippie-Trails folgten. Smith blieb nicht der Einzige, der dabei seinen Verstand verlor und mit einem neuen Namen zurückkam: Saitya Sai Maitreya Kali – ja, in Indien und Nepal will er auch gewesen sein.
Heiße Währung Ureinwohner
Als er nach Los Angeles zurückkam, muss er immer noch ein charmanter Bursche gewesen sein, und was er so an privatreligiösem Zeug redete, war damals auch kein Grund, die Polizei zu rufen. Zwei sehr zarte Alben entstehen im Mikroselbstverlag im Laufe des Jahres 1972, „Apache“ und „Inca“ – amerikanische Ureinwohner waren in Kalifornien ja mindestens eine so heiße Währung wie Nepal und der Maharishi, der den Beatles-Fan Maitreya in der Zwischenzeit natürlich auch beeinflusst hatte.
Verhangene, sehnsuchtsvolle, aber irgendwie sonnige Vocals, die von Seide und Elfenbein schwärmen, schälen sich aus unaufdringlichen, akustischen Gitarrengirlanden heraus und erinnern ein wenig an die allerdings stärker zur Formlosigkeit strebenden postkoitalen Kifferidyllen von Dino Valente, die ich an dieser Stelle vor ein paar Jahren anpreisen durfte – dann wieder an „Dear Prudence“.
Zwischen diese entspannten seelischen Dehnübungen platziert Maitreya aber – auf beide Alben verteilt – fast das ganze unveröffentlichte zu diesem Zeitpunkt schon vier Jahre alte Album seiner Band The Penny Arkade: zum Teil psychedelische Dutzendware, wie sie seit Jahrzehnten auf den Compilations der „Nuggets“-Serie verkauft wird, teils aber auch ziemlich delikater bis begabter Spinnkram, darunter auch ein recht angeturntes 13-minütiges Jam-Piece.
Spinne auf der Stirn
Auch dem seinerzeit noch recht unbekümmert mit den fürs Psychedelische zuständigen Reglern und Filtern spielenden Nesmith hört man gerne zu. Den Originalcovern mit ihren zahlreichen Widmungen an Berühmtheiten, die Smith kannte (Neill [sic!] Young, Paul Butterfield, Mike Wilson, Gabor Szabo) oder gern gekannt hätte (Paul McCartney, Lord and Lady Lennon, Jimi Hendrix …) kann man entnehmen, dass Smith schon 1972 etwas gewaltsam an ein altes Leben unter den Stars wieder anknüpfen wollte. Doch das Spinnentattoo, das er sich an der Stelle der Stirn hatte stechen lassen, wo bei Charles Manson, dessen Stoppelschnitt er ebenfalls kurz übernahm, das Hakenkreuz saß, kam einer vorauseilenden Selbststigmatisierung als gefährlicher Weirdo gleich.
Smiths Freunde berichten schon damals von Gewaltausbrüchen, von einer klassisch gespaltenen Person, die als Craig immer noch sonnig, als Maitreya eher gemeingefährlich wurde. Misogynie war auch schon ein Zug einiger privatreligiöser Texte auf „Inca“. Dass er dann auf seine Mutter losging und sie fast umbrachte, erinnert an andere Aggressionen gegen die Mütter oder Quasimütter großer Verrückter der Gegenkultur wie Joe Meek oder Wild Man Fisher. Zappa, für den Maitreya immerhin eine Tour lang den opening act machte, hatte ja sicher auch etwas zu klären, als er seine Band The Mothers of Invention nannte und seine Musiker vielleicht nicht nur aus lauter Neo-Dadaismus nötigte, möglichst abstoßende Mutti-Kostüme zu tragen.
Jedenfalls verbrachte Maitreya die nächsten drei Jahre in verschiedenen Anstalten. Den Rest seines Lebens von 1976 bis 2012 kannte man ihn als obdachlosen Sänger auf den Straßen von LA – nicht allerdings ohne diverse Comeback-Versuche, bei denen auch immer wieder die eine oder andere Single abfiel, zuletzt 1994. Dem britischen Journalisten Mike Stax verdanken wir dann seit ein paar Jahren eine veritable Craig-Smith-Forschung: eine erschöpfende Biografie und auch die Liner Notes zum vorliegenden Doppelalbum, das „Apache“ und „Inca“ koppelt.
Als Maitreya 2012 starb, wollte seine Familie nicht mal seine Asche abholen – auch das hat dann sein Biograf übernommen. Denn das gehört mindestens zum Geschäft der Wiederentdeckung, es ist die Sepulkralkultur des Rock ’n’ Roll.
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