Zeitgenössische Kunst trifft Rokoko: Sind die Pferde ins Schloss gezogen?
Zwischen Putten und bäuerlichen Szenen präsentiert „Rohkunstbau“ zeitgenössische Kunst im Barockschloss Altdöbern in der Lausitz.

Das ist staunenswert: mit kostbaren Schnitzereien und Wandgemälden verzierte Pferdeboxen in einem Stall. Dieser skurrile Höhepunkt repräsentativen Willens findet sich im Süden Deutschlands, beim Schloss und Zisterzienserkloster Salem. Die Pferde auf den Bildern sind in antiken Ruinen inszeniert.
Nicht weniger seltsam ist jetzt das dunkle Pferd aus Polyurethan, das der Frankfurter Bildhauer Marcel Waldorf zwischen die holzvertäfelten Wände eines kleinen Raumes im Schloss Altdöbern in der Lausitz gelegt hat. An anderen Stellen des barocken Schlosses, wie im prächtig ausgemalten Treppenhaus, finden sich Pferdeäpfel in den Ecken.
Ist das Pferd ins Schloss gezogen, als es Ruine war und leer stand? Ist es ein entfernter Verwandter der Reitpferde der ehemaligen Schlossherren? Auf jeden Fall scheint es einer Geschichte entlaufen zu sein, die in diesem Landstrich, der zu seinen besten Zeiten dem sächsischen Hof in Dresden näher war als den Preußen in Berlin, stattgefunden haben könnte.
Die Skulptur gehört zum Ausstellungsprojekt „Rohkunstbau“, das seit drei Jahrzehnten durch verschiedene Schlösser in Brandenburg gezogen ist und jetzt zum fünften Mal in Schloss Altdöbern zu Gast ist. Jedes Mal ist die Sanierung des barocken Gebäudes, das jahrzehntelang verfallen war und beraubt des Schmucks, des Stucks und der Fußböden, ein Stück weiter fortgeschritten und die Wiederherstellung seiner Ausstattung mit den Künsten des sächsischen Rokokos weiter gediehen.
„Ästhetische Wiederbewaffnung“. 30. Rohkunstbau, Schloss Altdöbern,
bis 2. November. Fr 13 – 18 Uhr, Sa + So 12 – 18 Uhr.
Hybride Figur aus Wurzel und Mantel
Das Verschwenderische des Raumdekors verlangt starke Setzungen. Es ist nicht zuletzt die Spannung zwischen rekonstruiertem Ambiente und zeitgenössischer Kunst, die „Rohkunstbau“ attraktiv macht.
Die Bildhauerin Birgit Dieker arbeitet mit Textilien, Altkleidern und ihren Gebrauchsspuren. Ihre Skulptur „All her Colours“, aus vielen Schichten Stoff gebaut, wölbt sich wie ein Mantel mit Kapuze über einem schwarzen Stamm mit Wurzeln, ebenfalls detailreich aus Stoffen geformt. Das Gewachsene und das Menschengemachte bilden zusammen eine hybride Figur. Umgeben ist sie von bukolischen Szenen in den alten Wandbildern. Was dort noch als Harmonie inszeniert ist, muss in Diekers Arbeit die Balance immer wieder neu tarieren.
Das Schloss ist von einem Landschaftsgarten umgeben. Neben der Zufahrt prangt eine Pyramide, gebaut aus ausrangierten Leuchtbuchstaben. Es ist ein fröhlicher Haufen in seiner Buntheit; obwohl man weiß, dass die Leuchten oft auf eine Geschäftsaufgabe zurückgehen. Die Künstlerin Dafni Barbageorgopoulou, die wie die meisten der 18 an dieser Ausstellung beteiligten Künstler:innen in Berlin lebt, hat ihr den Titel „Discharge“ gegeben. Sie bildet hier ein Echo der Großstadt, die weit entfernt scheint.
In einem Raum mit weitem Blick in den Garten sind ringsum Putten aufgestellt, die verschiedene bäuerliche Handwerke repräsentieren, Spuren von Zerstörung und Restaurierung zeigen. Sie bilden jetzt den Hofstaat um eine Skulptur von Erwin Wurm aus Aluminium. Auf zwei Beinen steht sie auf dem Sockel, zwei Beine streckt sie in die Luft, dick verpackt in gestepptem Daunenzeugs. Ihre Fitness ist so verzweifelt wie kopflos.
Gespür für den Eigensinn
Christoph Tannert, der in Berlin bis letztes Jahr den Stipendiatensitz Künstlerhaus Bethanien geleitet hat, ist der diesjährige Kurator von Rohkunstbau. In den 1990ern Jahren war der Kunsthistoriker ein wichtiger Begleiter der aus der DDR kommenden Künstler:innen, mit großem Gespür für künstlerischen Eigensinn und Ideologieferne.

Wenn er der Ausstellung jetzt den Titel „Ästhetische Wiederbewaffnung“ gegeben hat, dann in bewusster Abwendung von agitatorischen Konzepten, einer Kunst, die ihre Botschaft schon kennt, bevor sie überhaupt entstanden ist. Die Mittel der „Ästhetischen Wiederbewaffnung“ sind Verführung, Überschwang, morbide Schönheit, dramatisches Spiel, witzige Fiktionen, märchenhafte Elemente. Für die Bühne des Schlosses hat Tannert theatrale Positionen gewählt, starke Hingucker, die nichts dagegen haben, auch als Unterhaltung und Narration gelesen zu werden. Auch wenn sie einen kritischen Blick auf gesellschaftliche Verhältnisse im Gepäck haben.
Von Frank Seidel gibt es zwei düstere Gemälde, 2015 entstanden, als Russland die Krim besetzte, ein im Westen unterschätzter Krieg, wie man heute weiß. Gesichter wie Totenschädel schauen aus schwarz verlaufender Farbe, die ein ungewisses Terrain bildet, in „Großer Vaterländischer Krieg“ und „Zurück auf Start“. Die Bilder sind ebenso eine expressive, symbolische Geste, die das Todbringende hinter der Kriegspropaganda markiert, als auch die Wiederkehr eines barocken Momento mori.
Der Besuch der Ausstellung ist übrigens für die Anwohner im Dorf Altdöbern die einzige Möglichkeit, das Schloss zu besichtigen. Denn in der Regel ist es geschlossen und harrt noch einer zukünftigen Nutzung.
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