Silvester auf Hamburgs Reeperbahn: Männer unter sich
Unter Polizeischutz feiern Hamburger auf der Reeperbahn Silvester – Frauen sind kaum zu sehen. Polizei meldet 14 Anzeigen wegen sexueller Beleidigung
HAMBURG taz | Auf den Stufen am Ufer sitzen sie dicht gedrängt. Die große Weihnachtstanne auf der Alster ist an diesem Silvesterabend mit einer Diskobeleuchtung dekoriert. Es ist 23 Uhr am Hamburger Jungfernstieg. Hier sind fast nur Männer, die meisten zwischen 18 und 35 Jahren. Über eine kleine Box ertönt Musik, dann tanzen einige. „Wir sind alle aus Afghanistan“, sagt ein Mann. „Wir finden es schön hier.“
Polizeibullis am Fahrbahnrand erinnern daran, dass dieses Silvester besonders ist. Dass 530 Polizisten zusätzlich im Einsatz sind, um sexuelle Übergriffe zu verhindern.
Im Fußgängertunnel zur S-Bahn gibt es einen Streit. „Hau ab, verpiss dich“, ruft eine junge Frau und wendet sich mit ihrer Freundin von einer Gruppe ab. Was los war? „Der hat mich beleidigt. Gesagt, er will mich ficken mit seinem großen Schwanz“, sagt die 16-jährige aus Fuhlsbüttel. Waren das Fremde? „Nee, ich kenne die Typen. Die sind hier aufgewachsen“, sagt sie.
Am S-Bahnsteig Richtung Reeperbahn ist es noch drängeliger. Ein Zug ist zu voll. Keine Chance reinzukommen. Dass Silvester ist, merkt man in den Zügen. Schon auf der Fahrt zum Jungfernstieg ändert sich die Stimmung im Abteil spürbar, als am Hauptbahnhof ein Pulk von Männern einsteigt. Sie machen nichts Verbotenes, sie gucken aber etwas zu aufdringlich, distanzlos.
Silvester 2016 hielten sich laut Polizei bis zu 45.000 Besucher im Vergnügungsviertel St. Paulis auf. Etwa 10.000 waren an den Landungsbrücken und 4.000 am Jungfernstieg.
530 Beamte waren im Einsatz – doppelt so viele wie sonst.
Die Polizisten stellten 100 Strafanzeigen. 75 Personen erhielten einen Platzverweis, 57 ein Aufenthaltsverbot.
27 Personen wurden in Gewahrsam genommen, zwölf vorläufig festgenommen. Grund sind laut Polizei „alkoholtypische Delikte“ wie Körperverletzungen.
Bisher wurden 14 Strafanzeigen wegen „Beleidigung auf sexueller Basis aufgenommen“. Zehn davon an der Reeperbahn, eine an den Landungsbrücken, eine am Jungfernstieg und zwei am Hans-Albers-Platz auf St. Pauli.
Auf der Reeperbahn, Ecke Große Freiheit ist schon um 23.30 Uhr kein Durchkommen mehr. Die Polizei hat zwei Mannschaftswagen links und rechts des Eingangs geparkt, und in der Mitte stehen Beamte in hellen gelben Westen in einer Kette. Nur wer schon ein Ticket für einen Klub hat, kommt jetzt noch rein. Das hat die Polizei auch auf Twitter mitgeteilt. Und Pressevertreter dürfen durch, die weniger auffallen als erwartet.
Drinnen in der engen Vergnügungsgasse ist wenig los. Alle 50 Meter stehen Trupps von Polizisten, die in ihren gelben Mützen und Westen auffallen sollen. „Kräftenester“ nennt sie die Polizei. Sie blockieren den Weg zu den Klubs.
Ein Türsteher ist genervt. „Es ist hier sehr leer“, schimpft er. „Die Polizei und die ganze Presse, das schreckt die Leute ab, da wird Angst gemacht.“ Sein bulliger Kollege ergänzt: „Wir haben hier immer für ein sicheres Silvesterfest gesorgt.“ Nur im letzten Jahr sei das etwas anderes gewesen, weil so viele junge Männer aus einer anderen Kultur kamen, für die der Anblick von halbnackten Frauen ein Schock gewesen sei.
Es ist fast Mitternacht. Viele wollen jetzt zurück zur Reeperbahn, um das Feuerwerk zu sehen. Vor den Augen der Polizisten, die hier eine Miniwache aufgebaut haben, wird geknallt. Ein Kerl startet Raketen lässig aus der Hand. Als seine Begleiterin das nachmacht, explodiert die Rakete unter dem Polizeicontainer.
Es sind auch ein paar Frauen da, aber was auffällt, sind die vielen Männer, die in kleinen Gruppen herumlaufen. Fast alle haben ein Handy und filmen das Feuerwerk.
„Es ist interessant, was hier passiert“, sagt der 29-jährige Barkzai aus Afghanistan. „Ich schicke die Filme zu meiner Familie nach Hause.“ In seiner Heimat werde das Fest anders gefeiert, erst in drei Monaten und ohne Raketen. Auch er hat an diesem Abend keine. „Ich weiß gar nicht, wo man die kaufen kann.“
Die Polizei hebt die Sperre zur Großen Freiheit wieder auf und gibt das wieder auf Twitter bekannt. Eine junge Studentin verteilt Werbeflyer. Privat, ohne den Job, wäre auch sie lieber ferngeblieben. Im Kaiserkeller an der Großen Freiheit 36 ist die Tanzfläche kurz noch ziemlich leer.
Dann wird die Vergnügungsmeile wieder geschlossen, drei Mal geht das hin und her. „Wir lassen nur kleinen Gruppen durch“, sagt der Beamte. Auch seien gerade einige Kollegen woanders im Einsatz.
Zwei Iraner und ein Syrer werden abgewiesen. Ob er weiß, warum die Polizei das macht? „Weil im letzten Jahr so viel Stress war“, antwortet einer, der Ali genannt werden will. „Die Polizisten, die schützen uns.“ Letztes Silvester sei er in Köln gewesen – „aber nur drinnen, in einer Wohnung“, betont er.
Gegen ein Uhr strömen viele Kiezbesucher in die Gasse. Es wird sehr eng, eigentlich will die Polizei das verhindern. In so einem Gedrängel soll es Silvester 2015 zu den meisten sexuellen Übergriffen gekommen sein.
Am Neujahrsmorgen meldet die Polizei: Der Einsatz sei „erfolgreich, aber auch notwendig gewesen“. Es gibt 14 Strafanzeigen wegen Beleidigung auf sexueller Basis, davon zehn am Beatles-Platz an der Reeperbahn. „Es handelt sich um Einzeltäter“, erklärt Polizeisprecher Timo Zill am Sonntag. Sie hätten Opfern ans Gesäß gefasst, vereinzelt auch zwischen die Beine. Die Anzeigen seien zum Teil von Polizisten gestellt worden, die das beobachtet hätten.
Die 22-jährige Emma und drei ihrer Freundinnen ziehen erst um halb zwei in Richtung Große Freiheit. Sie wollen dort in einen Klub. Ihre Eltern hätten sie zwar gewarnt, aber „Angst habe ich nicht“, sagt Emma. Nur in der Bahn sei es komisch gewesen. „Das ganze Abteil war leer, aber da kamen fünf Männer rein und setzten sich direkt neben uns“, erzählt sie. „Mir hat meine Mutter ein Pfefferspray mitgegeben“, berichtet ihre Freundin.
Die Frauen wollen weiter. Ein angetrunkener Mann nähert sich einer von ihnen von hinten, fast sie um die Schulter und raunt ihr etwas ins Ohr. Sie schüttelt ihn ab. Hat er sie belästigt? „Gott, nein“, sagt sie. „Er hat mir ein frohes neues Jahr gewünscht.“
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