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Sigmar Gabriel spricht über seine FamilieMein Vater, der Fulltime-Nazi

Sigmar Gabriels Vater war zeitlebens überzeugter Nationalsozialist, 2012 starb er. Der heutige SPD-Parteichef hat unter ihm gelitten.

SPD-Chef Sigmar Gabriel berichtet in der „Zeit“ über das Verhältnis zu seinem verstorbenen Vater. Bild: dapd

BERLIN taz | Der Vater des SPD-Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel war überzeugter Nationalsozialist. Gabriel berichtet dies der Wochenzeitung Die Zeit.

Walter Gabriel, der im Juni 2012 mit 91 Jahren starb, war NSDAP-Mitglied und blieb auch in der Bundesrepublik bei seiner Gesinnung. Gabriel berichtet, dass er im Nachlass Kisten voller rechtsextremistischer Literatur wie „Der Auschwitz-Mythos“ oder „Keine Gaskammern/Holocaust-Legende“ fand, allesamt vom Vater durchgearbeitet und mit Unterstreichung mit dem Lineal versehen.

Walter Gabriel hat demnach an etwa zweitausend Zeitgenossen rechtsextremistische Pamphlete gesandt. Nach seiner Pensionierung als Beamter der Kreisverwaltung Bad Oldesloe sei Walter Gabriel, der aus Schlesien stammte, ein Fulltime-Nazi gewesen.

Der Vater war wegen einer Kinderlähmung nicht als Wehrmachtssoldat im Krieg gewesen – Sigmar Gabriel sagt, dass dies die Voraussetzung für seinen Versuch war, 2005 nach jahrelangem Schweigen den Kontakt mit dem Vater zu suchen. Das Gespräch, das keine Annäherung brachte, sei für ihn nur möglich gewesen, weil der Vater kein Täter in der Nazizeit gewesen war, so der SPD-Vorsitzende.

Gabriel war seit 1976 Mitglied der SPD-nahen Jugendorganisation Die Falken und engagierte sich gegen die neonazistische Organisation Wiking-Jugend, ohne damals schon von der Gesinnung des Vaters zu wissen. In den 1980er Jahren hatte Gabriel regelmäßig die Gedenkstätten der früheren Konzentrationslager Auschwitz und Majdanek besucht.

Der Vater inszenierte sich als vom Sohn verlassen

Walter Gabriel hatte sich in einer rechtsextremen Zeitung im letzten Jahr als von seinem undankbaren Sohn verlassener, alter, kranker Mann inszeniert. Boulevardzeitungen hatten dies dankbar aufgenommen. Der Berliner Kurier überschrieb am 11. Mai 2012 eine Artikel mit der Zeile „SPD-Chef Sigmar Gabriel lässt kranken Vater allein“.

Die Ehe von Sigmar Gabriels Eltern wurde früh geschieden. Sigmar wurde zwangsweise bis zum zehnten Lebensjahr beim Vater groß, ehe seine Mutter 1969 das Sorgerecht zugesprochen bekam. Über seinen Vater sagt der SPD-Politiker heute, er hege „keinen Groll mehr“ gegen ihn. „Ich bin nicht zornig, ich bin nicht wütend, und ich fühle mich nicht einmal mehr verletzt.“

Bei der Beerdigung im Juni 2012 habe er am offenen Sarg gestanden und über seinen Vater gedacht: „Mein Gott, dein ganzes Leben hast du vergeudet.“

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24 Kommentare

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  • TG
    T. Gogolin

    @ Börger,

     

    von ihnen kann man ja ne menge lernen! ich wusste gar nicht das hermann göring jemals reichskanzler war.

    sie sind wohl ein ganz schlauer.

  • LG
    letzter Gast

    "Mein Vater, der Fulltime-Nazi...Der heutige SPD-Parteichef hat unter ihm gelitten."

     

    Soll das jetzt als Entschuldigung dafür dienen, dass Sigmar Gabriel heute als SPD-Chef so viel Unsinn verzapft - von wegen "schwere Kindheit" und so weiter?

  • T
    tommy

    @Schweizer

     

    und noch was - damit, dass nur eine Minderheit "verbohrt nazistisch" gewesen sei, habe ich mich auf die Nachkriegszeit bezogen, als in allen Einzelheiten offensichtlich war, wozu der Nationalsozialismus geführt hatte. Auch wenn viele Deutsche nicht echte Reue, sondern eher ein gewisses Selbstmitleid empfunden haben dürften, eine aktive Nazigesinnung wie bei Gabriels Vater dürfte doch eher nur von einer Minderheit nach '45 vertreten worden sein.

  • T
    tommy

    @Schweizer

     

    Wieso so aggressiv? Sicher waren die vom nationalsozialistischen Deutschland geführten Kriege verbrecherisch und ja, zumindest Teile der Wehrmacht waren aktiv an massiven Verbrechen beteiligt (wie dem absichtlichen Verhungernlassen sowjetischer Kriegsgefangener, Verbrechen an der Zivilbevölkerung im Rahmen sogenannter "Partisanenbekämpfung", Mithilfe beim Holocaust etc.). Und logischerweise haben natürlich auch viele einfache Wehrmachtssoldaten Verbrechen begangen. Das heißt aber für mich nicht, dass, wie das heute zuweilen geschieht, jeder Wehrmachtsangehörige pauschal als "Täter" oder "Verbrecher" einzustufen ist, unabhängig davon was der Einzelne getan oder nicht getan hat. Wie ich bereits sagte, es gab im 3. Reich Wehrpflicht und Wehrdienstverweigerer hatten mit Haft oder sogar Hinrichtung zu rechnen. Ohne einen gewissen Grundkonsens unter den Deutschen hätte das 3.Reich nicht funktioniert; dieser Grundkonsens wurde aber auch durch das Wissen abgestützt, was mit denen geschah, die aus der "Volksgemeinschaft" herausfielen (die Todesurteile wegen Hitlerwitzen gab es schließlich wirklich). Mir scheint, dass vielen, die heute ganz sicher sind, dass sie aufgrund ihrer "Zivilcourage" Widerstand geleistet hätten, der Blick auf die Realitäten einer Diktatur im totalen Krieg abgeht. Wenn Sie mich deswegen für einen NS-Versteher oder Revisionisten halten, seis drum.

  • DS
    der Schreiber

    Liebe taz-Redaktion.

     

    Bitte erklärt mir euren Artikel.

    Er ist weder ein Kommentar das ich meist sehr gerne bei euch lese, noch habt ihr ein Interview mit Sigmar Gabriel geführt...

    Ich lese also nacherzählt was er der Welt sagte...

    Da wäre es doch klüger die Welt zu kaufen und den Artikel selbst zu leser oder?

     

    Bleibe trotzdem ein treuer und zahlender Leser.

  • AL
    Aufmerksamer Leser

    Der Vater des Herrn Gabriel hatte eben eine andere Sicht der Dinge und beurteilte historische Fragen anders als sein Sohn.Und, ist er darum ein schlechterer Mensch gewesen?

  • W
    wetterleuchten

    Auch ein Politiker wie Sigmar Gabriel darf familiäre Emotionen zeigen, ohne dass ihm hier alles Mögliche unterstellt wird.

    Viele Väter wurden in der NS-Zeit zu Verbrechern, weil sie passiv alles mitmachten. In Frankreich waren die Menschen in der Lage, gegen die Nazis eine Widerstandsbewegung aufzubauen. Was sind die Deutschen ängstlich oder feige, dass sie das nicht auch konnten?

    Und noch eines gehört zur Wahrheit: Hätte es eine erfolgreiche Entnazifizierung für alle mit harter Straf-Bewährung nach 1945 gegeben, hätten mit Sicherheit viele überzeugte Nazis ihrer Ideologie abgeschworen. Da es das flächendeckend nicht gab, konnte diese "pathologische Krankheit" leider mit den bekannten Folgen bis heute weitervermittelt werden!

  • WB
    Wolfgang Banse

    Sigmar Gabriel gibt etaws as seinem ,hierfür sei ihm Respekt und Dank gezollt.

  • B
    Börger

    Mich würden mal mögliche Verwandschaftsverhältnisse von der GRÜNEN Karin Göhring-Eckert und dem Reichskanzler Hermann Göhring interessieren. Und das vor ihrer Wahl.

  • PP
    Peter Pander

    ... jetzt wird er aber sentimental...

  • M
    Mütze

    Für mich sieht das nach einem neuen Versuch einen Kandidaten für die Bundestagswahl vorzubereiten. Mal schauen was noch so kommt... mal schauen wie kompetent er sich gibt...

  • C
    Callibrese

    aha, drum.

     

    Meine These. Die eifrigsten Antifaschisten kommen aus faschistischen Familien. Und das ist gut so. Sollen die doch den Dreck wegräumen, den ihre Väter angerichtet haben.

  • H
    Hardi

    Ganz einfach:

     

    Als Soldat (auch als "Etappensau")wußte man mehr, als im Völkischen Beobachter stand. Wer als Soldat nach 45 den ganzen Mist pauschal leugnete,war oft nicht therapierbar?

    Sigmars Vater konnte alles offenbar nur "aus 2-ter Hand" wissen? Also für Sigmar eine Chance seine Vater zur Vernunft zu bringen? Ich setze auch alles dran, meinen Vater in "guter Erinnerung" zu behalten.

     

    Nur ohne eingebrannte Bilder von zerfetzten Leibern ... kann man diese feige Überzeugung haben!

     

    Meine Parallele zu heute: Das ganze braune Gesocks sollte h e u t e 1 Woche Stalingrad/Verdun durchleben müssen! Wenn die dann mit voll-geschissenen Hosen nach ihrer Mutter rufen, sollte man sie beim Lanz auftreten lassen.

     

    Mein Großvater hat auf seinem Sterbebett ganz laut in französich gerufen. Er war in Verdun verschüttet.

  • S
    Schweizer

    auch zu "tommy"

     

    Wollen Sie hier Verständnis für die Nazihorden, die

    andere Länder überfallen und deren Bewohner/innen ermordet haben, hervorrufen? "Verbohrt-nazistisch" war nur eine "Minderheit"? Was soll diese Relativierung?

  • R
    Respekt!

    Der Mann wird mir immer sympathischer. Dessen ungeachtet bleibt die SPD für mich unwählbar. Aber das ist ein anderes Thema ...

  • J
    Jemand

    Walter Gabriel war ohne Zweifel ein unverbesserlicher Nazi, widerlich! Aber als Vater hat er seinem Sohn zweifelsohne etwas wertvolles mitgegeben, sonst wäre der heute nicht Vorsitzender einer deutschen Volkspartei.

  • MA
    MM aus Nds

    Tja Siggi,

    Neid muss man sich verdienen, Mitleid gibt es umsonst.

    PS: Als Jugendlicher in den 80igern habe mit vielen alte Herren sprechen können. Stolz waren die eigentlich alle auf ihre Zeit bei der Wehrmacht, insbesondere Fallschirmjäger, erhielten Bewunderung.Tragend war die Trauer über die verlorenen Kameraden und die vergedeuteten Jahre. Allesamt kleinere Angestellte oder Handwerker, oder beim Staat und alle überzeugte SPD-Anhänger, gibts die heute eigentlich noch? Meine Verehrung als JU-Mitglied für Kohl hat keiner verstanden.

    Beste Grüße

    MM

    PS: Mein Vater war auch nicht immer einfach, er hat bei den Fallschimrjägern gedient, sein größter Held war allerdings ein Nichtspringer: Stauffenberg. Leider musste Vater feststellen, dass Sohn nicht sprungtauglich war. Egal, hatte auch so meinen Spaß in Hammelberg.

    PPS: Ein paar verirrte/verwirrte alte Nazis habe ich in meiner Jugend auch kennengelernt (Nicht zu früh freuen, waren bei der NPD nicht bei der CDU). Konnten aber alle kein Soldbuch zücken, wenn die alten Herren mal wieder hingelangt haben und das Bier in die Handprothese geklemmt haben. Die Altnazis hätten wohl gern damals eine tragende Rolle gespielt und fühlten sich um diese betrogen.

  • S
    Sebastian

    zu Tommy:

     

    Ich glaube, Du tust mit Deinem Kommentar dem Sigmar Gabriel Unrecht, weil Du den Artikel missverstanden hast. Du unterstellst ihm, dass er Wehrmachtsangehörige pauschal als Täter sieht, weil er die Wehruntauglichkeit seines Vaters zur Voraussetzung für die Kontaktaufnahme 2005 machte. Diese Aussage entnehme ich dem Artikel aber in dieser Einfachheit nicht. Der Vater betätigte sich laut Artikel seit seiner Pensionierung als überzeugter Nazi, rechtsradikaler Propagandist und Holocaustleugner. Wäre er aber Wehrmachtsangehöriger gewesen, hätte zumindest die Möglichkeit nahegelegen, dass er von den Judenerschießungen und anderen Verbrechen der Nazis wusste, es hätte auch die Möglichkeit bestanden, dass er daran beteiligt war. Aber schon allein die Erfahrungen als Frontsoldat sollten einem anständigen Menschen zeigen, dass eine Regierung, die Krieg als Ziel der Politik betreibt, verbrecherisch ist. Würde er dies dann leugnen und sich als "Fulltime-Nazi" betätigen, hieße dass, er wäre ein eiskalter Lügner, der die Verbrechen nicht nur abstreitet, der sie sogar gutheißt, auch das Kriegführen an sich. Mit so einem würde ich auch kein Gespräch suchen. Aber bei jemandem, der nie an der Front war, der die Grauen des Krieges im Osten nicht kennt, besteht die Möglichkeit, dass er nur einer Lebenslüge aufgesessen ist, das er schlicht einem riesigem Irrtum unterliegt. Mit so einem kann kann man doch immerhin reden, mit einem, der wider besserem Wissens die Verbrechen der Nazis nicht nur abstreitet, sondern den Nationalsozialismus dennoch gutheißt, wohl kaum.

  • LB
    Lars Behrens

    @tommy

     

    Nein, es soll bedeuten, dass Gabriel seinen Vater nicht für einen Täter hält. Da steht nichts von dem, was du dir zusammenreimst.

  • I
    IhrName

    @eksom

     

    Andreas Baader wurde von seiner Mutter als Kriegswitwe seiner Großmutter und seiner Tante erzogen, Ulrike Meinhofs und Jan Carls Raspes Mütter waren ebenfalls Witwen, Gudrun Ensslin entstammte einem Pfarrerhaushalt.

     

    75% der Stammheimer stammen aus Witwenhaushalten. Und nun? Was wollen wir uns damit sagen?

  • D
    DenkMal

    zu tommy: ("Soll das bedeuten, dass .. jeder Wehrmachtsangehörige ein "Täter" im Sinne von "Verbrecher" war?")

    Dieser Krieg war ein Verbrechen.

    Was war dann die aktive Teilnahme an diesem Krieg, wenn nicht die aktive Teilnahme an einem Verbrechen?

    Die Anständigen haben sich dieser Tatsache nach dem Krieg gestellt. Eine Mehrheit war es allerdings nicht.

  • P
    peti

    Gabriel oder der Autor des Artikels meint wahrscheinlich, dass Voraussetzung des Gesprächs war, dass der Vater den Krieg überlebt hat. Dazu hat die Kinderlähmung beigetragen, schließlich hat sie verhindert, dass er eingezogen wird. Anders kann ich mir den Satz nicht erklären. Es sei denn Gabriel denkt, dass der Vater ja auch Zivildienst hätte leisten können. Dann würde er seinem Vater sehr ähneln, der offensichtlich auch wenig Ahnung von der dt. Vergangenheit hatte.

  • E
    eksom

    Wenn man mehreren Studien und Autoren glauben kaan/will/soll, sollen ca. 75 % der heutigen jungen "Nazi" (vor allem aus der NSU-Szene) "verirrte" Söhne (meistens mit einem jüngeren Bruder!) von allein erziehenden Elternteilen (meistens die Mutter) mit einem "Großvater aus der Nazizeit" im Background!

    Zugehörigkeit dieser Familien meistens zu der Mittelschicht (z. B. Beamten. Lehrer, Richter, Anwälte, Polizisten...)! Was für ein Zufall, was?!

  • T
    tommy

    "Der Vater war wegen einer Kinderlähmung nicht als Wehrmachtssoldat im Krieg gewesen – Sigmar Gabriel sagt, dass dies die Voraussetzung für seinen Versuch war, 2005 nach jahrelangem Schweigen den Kontakt mit dem Vater zu suchen.Das Gespräch, das keine Annäherung brachte, sei für ihn nur möglich gewesen, weil der Vater kein Täter in der Nazizeit gewesen war, so der SPD-Vorsitzende. "

     

    Soll das bedeuten, dass für Gabriel jeder Wehrmachtsangehörige ein "Täter" im Sinne von "Verbrecher" war?

    Also irgendwie finde ich es fragwürdig, Millionen von Wehrmachtsangehörigen in dieser Weise zu verurteilen (man darf schließlich nicht vergessen, dass es im 3. Reich Wehrpflicht gab und Wehrdienstverweigerer durchaus auch hingerichtet wurden) und unberücksichtigt zu lassen, dass viele schließlich nach dem Krieg mehr oder weniger "reformiert" und demokratiefähig wurden. So verbohrt-nazistisch wie Gabriels Vater dürfte jedenfalls nur eine Minderheit gewesen sein.