piwik no script img

Sieg einer Tunesierin und seine FolgenArabischer Tennisfrühling

Ons Jabeur hat als erste Afrikanerin ein hoch dotiertes Tennisturnier gewonnen. In ihrem Heimatland Tunesien stößt sie damit eine wichtige Debatte an.

Historischer Moment: Ons Jabeur erhält den Siegerinnenpokal nach dem ATP-Finale in Madrid Foto: Manu Fernandez/ap

Mit dem Sieg von Ons Jabeur bei den Madrid Open am vergangenen Sonntag hat erstmals eine afrikanische Tennisspielerin ein WTA-1000 Turnier gewonnen. Vor ihrem bisher größten Erfolg im Frauentennis war die Tunesierin bereits ein großes Vorbild für Sportlerinnen in der arabischen Welt, die immer noch gegen gesellschaftliche Vorurteile ankämpfen müssen.

Vor dem Finale war sich Ja­beur voll bewusst, dass sie mit einem Sieg in Spanien Geschichte schreiben würde. „Ich hatte vor dem Match Probleme, überhaupt ruhig und gleichmäßig zu atmen, und das Gefühl, mir springt das Herz aus der Brust“, sagte die 27-Jährige nach ihrem Triumph. Der Ruhetag vor dem Finale sei kaum zu ertragen gewesen, lachte sie, „eine Achterbahnfahrt der Gefühle“. So verlief auch der Sieg gegen die Amerikanerin Jessica Pegula. Nach einem mentalen Einbruch im zweiten Satz fand sie zu ihrer enormen Willenskraft zurück und gewann schließlich in drei Sätzen (7:5, 0:6, 6:2).

Ons Jabeur war bereits vor dem Turnier in die Top Ten der Weltrangliste aufgestiegen und hatte in dieser Sandplatzsaison bereits 12 Matches gewonnen. Als erste arabische und afrikanische Tennisspielerin gewann sie vergangenes Jahr im Juni das WTA-Turnier in Birmingham und zog zudem in Wimbledon ins Viertelfinale ein.

Von ihrem derzeitigen 7. Platz der Weltrangliste will sie nun ganz oben angreifen. In ihrer Heimat steigen mit jedem Sieg ebenfalls die Erwartungen. Denn auch wenn viele Tunesierinnen in Europa mittlerweile als Ärztinnen, Ingenieure oder IT-Spezialisten gefragt sind, fühlen sich viele noch vornehmlich als Gastarbeiterinnen aus einer ehemaligen französischen Kolonie wahrgenommen. „Jabeur hat mehr für unser Selbstbewusstsein getan als der Arabische Frühling“, sagt die Studentin Rim Karoui aus Tunis.

Widrige Umstände

Ons Jabeur wird in vielen tunesischen Medien stolz als Beweis angeführt, dass man es auch als Tunesierin unter widrigen Umständen zu etwas bringen kann. Doch religiös konservative Kreise verhindern im ehemaligen Vorzeigeland des Arabischen Frühlings immer noch die Gleichberechtigung von Männern und Frauen, im Sport und in der Öffentlichkeit. Frauen, die in Parks joggen oder Fahrrad fahren, müssen ständig damit rechnen, angefeindet zu werden.

Dass die zurzeit bekannteste tunesische Sportpersönlichkeit eine Frau ist, hat die schwelende Debatte zwischen Konservativen und Reformern über die Rolle der Frauen und das vor sechs Jahren reformierte Erbschaftsrecht wieder angefacht.

Die in Tunis aufgewachsene Tochter eines Kaufmanns sieht sich selbst zwar nicht als Aktivistin, ist sich aber ihrer Vorbildfunktion durchaus bewusst. „Ich spiele für mein Land, für die arabische Welt und den afrikanischen Kontinent“, sagte sie in Madrid mit der Trophäe in der Hand. In Interviews mit tunesischen Medien fordert sie jungen Mädchen und Frauen auf, Sportclubs beizutreten und gesellschaftlichen Vorurteilen mit Selbstbewusstsein entgegenzutreten.

Ohne die in Europa bereits im Jugendbereich üblichen Tennisakademien oder Sponsorenverträge kämpfte sich Jabeur mithilfe ihres Ehemannes und Fitnesstrainers Karim Kamoun durch die finanziellen und sportlichen Krisen.

Mit gemeinsamem Training des Ehepaars und Kamouns straffem Trainingsplan schaffte sie es trotz mangelnder heimischer Konkurrenz wie aus dem Nichts auf die internationale Bühne. Entdeckt hatte ihr Talent der Jugendtrainer Nabil Mlika in Sousse. Mangels vorhandener Plätze des örtlichen Tennisclubs trainierte er die damals 10-Jährige neben europäischen Touristen in Hotelanlagen.

Dank der Unterstützung ihrer Eltern schaffte sie mit 16 Jahren den Sprung an ein Sport-Gymnasium in Tunis und schließlich zu Trainingscamps in Belgien.

„Sie glaubten an mich, trotz der gesellschaftlichen Hürden für junge Mädchen und ohne jegliche Erfolgsgarantie.“

Der Werdegang von Ons Jabeur ist repräsentativ für Sportlerinnen ihrer Generation in Nordafrika und der arabischen Welt. Mangels staatlicher Unterstützung, sportlicher Strukturen oder einer Konkurrenz ist die einzige Chance, international erfolgreich zu sein, ein bestärkendes und wohlhabendes familiäres Umfeld. Viele Tunesierinnen hoffen, dass sich der Erfolg von Ons Jabeur positiv auf ihren Alltag auswirkt. „Ich möchte endlich Fahrrad fahren oder Federball spielen, ohne herabwürdigende Kommentare zu hören“, sagt die Studentin Rim Karoui

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!