Siedlungsbau in Palästinensergebieten: Israel plant, Beduinendorf zu zerstören
Im Westjordanland sollen Palästinenser umgesiedelt werden, um Platz für Israelis zu schaffen. Internationaler Protest verhinderte dies bislang.
Die Armee sperrte das Dorf weiträumig ab. Besuche sind vorläufig nicht erlaubt. Ende Mai hatte der Oberste Gerichtshof in Jerusalem entschieden, dass die Zerstörung von Khan al-Ahmar rechtens sei. Die Beduinen hatten das Dorf ohne die nötigen Baugenehmigungen errichtet, darunter eine Schule, die mit Hilfe europäischer Gelder gebaut wurde.
Der Ort, den Israels Behörden für die Beduinen des Dschahalin-Clans vorgesehen haben, heißt Al Dschabel, auf deutsch „der Berg“. Es liegt unmittelbar an einer Müllhalde in der Ostjerusalemer Kleinstadt Abu Dis. Jede der gut 30 Familien soll mit 250 Quadratmetern Land kompensiert werden, wenn Khan al-Ahmar zerstört wird. Auf dem Dschabel in Abu Dis bereiten Planierraupen bereits den Boden für die Neubauten vor.
„Wo soll ich da meine Tiere unterbringen?“, fragt Eid Dschahalin. Rund 1.600 Schafe und Ziegen sowie 28 Kamele gehören zur Herde der Dschahalin-Gemeinde. Sie sind die Haupteinnahmequelle der Beduinen, die die Milch zu Käse verarbeiten und auf dem Markt in der Jerusalemer Altstadt verkaufen. Khan al-Ahmar liegt unmittelbar an der Hauptstraße zwischen Jerusalem und Jericho. Der Markt in der kaum zehn Kilometer entfernt liegenden Stadt ist von hieraus gut zu erreichen.
Grünes Licht für weitere Vertreibungen?
Eid Dschahalin, der sich lieber als Abu Khamis anreden lässt, ist siebenfacher Familienvater. Durch sein dunkles Gesicht ziehen sich tiefe Falten, und der Schnauzbart des erst 51 Jahre alten Mannes ist schon ganz grau. Die Verstädterung der Beduinen „wäre unser Ende“.
Federführend im Kampf gegen die Hirten ist eine Gruppe von Israelis aus den benachbarten Siedlungen Kfar Adumim, Alon und Nofei Prat. Mit wiederholten Petitionen forderten sie vor Gericht die sofortige Umsetzung bereits bestehender Abrissbefehle. „Es kann nicht sein, dass sich jeder, wie er will, wild in der Gegend ansiedelt“, begründet Naomi Kahn, Sprecherin der Siedlerbewegung Regavim, die mit Geldern der israelischen Ortsverwaltungen im besetzten Westjordanland die Gerichtsverfahren finanziert. „Es gibt Bestimmungen, und die müssen für alle gelten“, sagt Kahn und räumt ein, dass „wir auch das Land Israels schützen wollen, damit sich dort legale Ortschaften ausbreiten können“.
Kaum 500 Meter von Khan al-Ahmar entfernt sind bereits 92 neue Wohneinheiten für israelische Familien geplant. Die Region östlich von Jerusalem, die bis heute den Namen E1 (East one) aus der britischen Mandatszeit trägt, gilt als strategisch wichtig. Israel plant seit Langem die Gründung einer Siedlung mit 3.000 Wohneinheiten, die mit der bereits knapp 40.000 Einwohner zählenden Siedlerstadt Maale Adumim auf der anderen Seite der Hauptstraße verbunden werden soll. Damit würde das südliche Westjordanland praktisch von Jerusalem abgeschnitten.
Bislang verhinderte internationaler Protest den Baubeginn der neuen Siedlung. Sarit Michaeli von der Menschenrechtsorganisation B’tselem befürchtet nun, dass die Zerstörung Khan al-Ahmars, „sollte sie ohne Widerspruch über die Bühne gehen, Israel grünes Licht für weitere Vertreibungen geben könnte“. B’tselem hält auch die Richter für verantwortlich, wenn es zur Zerstörung des Dorfes kommt. Die Zwangsumsiedlung der Dschahalin käme einem „Kriegsverbrechen“ gleich.
Eine Schule, errichtet aus Autoreifen und Schlamm
Ginge es nach Abu Khamis, würde er mit seiner Familie am liebsten wieder in die Wüste bei Arad ziehen, aus der seine Familie in den frühen 50er Jahren geflohen ist. Damals wollte die israelische Armee die Beduinen zum Dienst an der Waffe rekrutieren. Seine Eltern zogen ins Westjordanland, das damals jordanisch war. „Die Jordanier ließen uns ins Ruhe“, sagt Abu Khamis, „geholfen haben sie uns allerdings auch nicht viel.“ Der Clan ließ sich östlich von Jerusalem in der Nähe des Wadi Kelt nieder, in dem das ganze Jahr über Wasser fließt.
Bis zum Sechstagekrieg war die Hauptstraße bei Khan al-Ahmar zentrale Verbindung zwischen Jerusalem und Amman. „Unsere Probleme fingen mit der Besatzung an“, sagt Abu Khamis. Nach dem Sechstagekrieg 1967 erklärte die Militärverwaltung große Gebiete zur Sperrzone, die Beduinen mussten immer wieder umziehen und enger zusammenrücken. Ab 1979 begann der Siedlungsbau zunächst von Maale Adumim und vier Jahre später von Kfar Adumim. Heute liegt das Beduinendorf in der sogenannten C-Zone, auf palästinensischem Land zwar, aber unter israelischer Kontrolle.
Abu Khamis gelang es, internationale Hilfe für den Bau einer Schule zu mobilisieren. Aus alten Autoreifen und Schlamm errichteten die Hirten ein Schulgebäude, in dem heute 170 Kinder und Jugendliche aus der Region bis zur neunten Klasse zur Schule gehen. Die Schule ist Grund dafür, dass sich jüngst auch die Palästinensische Autonomiebehörde, die erst „nach langem Kampf 15 Lehrerinnen zur Verfügung stellte“, wie Abu Khamis berichtet, dem Protest gegen den Abriss von Khan al-Ahmar anschloss.
„Wir appellieren an unsere Freunde in der internationalen Gemeinschaft, das universale Recht der Kinder auf Bildung zu schützen“, heißt es in einer Mitteilung des palästinensischen Bildungsministers Sabri Saidam. Die Schule in Khan al-Ahmar sei mit europäischen Geldern errichtet worden. Jetzt sei es an den Politikern, „den Kindern bei der Rettung ihrer Schule zu helfen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen