Thailand und Kambodscha: Sie wollen sprechen – aber auch weiter schießen
Die südostasiatischen Nachbarn erklären sich zu Gesprächen ihrer Militärs über einen Waffenstillstand bereit. Doch erst mal gehen die Kämpfe weiter.
Die Regierungen Thailands und Kambodschas wollen noch in dieser Woche Verhandlungen über einen Waffenstillstand in ihrem Grenzkonflikt aufnehmen. Dies ergab ein Sondergipfel der Außenminister des südostasiatischen Staatenbundes Asean am Montag. Zu einer Waffenruhe fehlten zu deren Bestand die nötigen Details, erklärte Thailands Außenminister Sihasak Phuangketkeow nach dem Treffen in Malaysias Hauptstadt Kuala Lumpur.
Ein Grenzkomitee aus hochrangigen Militärs soll sich am 24. Dezember treffen. Ob die Generäle dann wirklich eine Lösung finden, ist offen. Bangkok hatte bisher darauf bestanden, dass Kambodscha zuerst einen Waffenstillstand erklärt und dann bei der Minenräumung kooperiert. Im derzeitigen thailändischen Wahlkampf könnte Kompromissbereitschaft als Schwäche interpretiert werden.
Der gegenseitige Beschuss entlang der Grenzregion ging auch während des Treffens am Montag weiter. Am Vormittag berichtete Kambodscha von thailändischem Beschuss, am Nachmittag gab Thailands Verteidigungssprecher laut Bangkok Post den Tod eines weiteren Soldaten durch kambodschanische Artillerie bekannt.
Bisher beklagt Thailand nach offiziellen Angaben 23 Tote – Soldaten wie Zivilisten. Die Zahl der Evakuierten wird dort mit 400.000 Menschen angegeben, von denen 200.000 in Evakuierungszentren untergebracht seien. Nach Angaben aus Phnom Penh starben in Kambodscha bisher 20 Menschen, mehr als 500.000 wurden evakuiert. Hinzu kommen auf beiden Seiten Hunderte Verletzte.
Kritik an Trumps Druck zu schnellem Abkommen
Malaysia, das noch bis Jahresende den elf Asean-Staaten vorsteht, konnte jetzt anders als im Juli noch keine Feuerpause erreichen. Damals hatte US-Präsident Donald Trump nachgeholfen, indem er den Konfliktparteien mit Strafzöllen drohte. Auch China, das Waffen an beide liefert, hatte hinter den Kulissen unterstützend agiert. Am Montag war Chinas Sondergesandter jetzt zu Gesprächen in Bangkok.
Ende Oktober hatten Thailands Premier Anutin Charnvirakul und Kambodschas Premier Hun Manet im Beisein Trumps ein Abkommen unterzeichnet. Das hielt aber keinen Monat. Thailands Außenminister kritisierte jetzt, es sei damals wegen des Drucks aus Washington in Eile geschlossen worden, um „rechtzeitig zum Besuch von Präsident Trump“ unterzeichnet zu werden.
Anutin hatte bereits im November das Abkommen ausgesetzt, nachdem thailändische Soldaten im Grenzgebiet durch kambodschanische Minen schwer verletzt wurden. Bangkok warf Phnom Penh vor, neue Minen verlegt zu haben, Kambodscha erklärte, die Sprengkörper gingen noch auf die Zeit der Roten Khmer zurück.
Die Scharmützel im Nordosten und der Mitte entlang der 816 Kilometer langen Grenze brachen dann am 7. Dezember wieder aus. Beide Seiten beschuldigten sich gegenseitig, angefangen zu haben und selbst jeweils nur von ihrem Recht auf Selbstverteidigung Gebrauch zu machen. Telefonate von Malaysias Premier Anwar Ibrahim und Trump mit den beiden Premiers konnten Mitte Dezember keinen Durchbruch erreichen. Beobachter machen dafür jeweils innenpolitische Gründe verantwortlich.
Die täglichen Schusswechsel und Artilleriefeuer sind bisher auf einen maximal 70 Kilometer breiten Streifen entlang der Grenze beschränkt. Dabei versucht die thailändische Marine auch im Golf von Thailand Öltransporte nach Kambodscha zu unterbinden. Aber in den Hauptstädten, den Provinzmetropolen und den Tourismusregionen geht das Leben bisher normal weiter.
Luftangriffe auf Casinos
Thailand hat inzwischen schon mehrfach mutmaßliche Stellungen der kambodschanischen Armee mit F-16- und Gripen-Kampfjets bombardiert, dabei auch gezielt mindestens sechs Spielcasinos und eine Brücke angegriffen. Die Brücke diente angeblich einer Nachschubroute, die Casinos sieht Bangkok als Stützpunkte und Waffenlager der kambodschanischen Armee.
„Kambodschanische Militärposten sind in zivilen Häusern und Heimen untergebracht, um von dort aus zu schießen und Waffeneinsätze zu leiten, womit Zivilisten als menschliche Schutzschilde benutzt werden“, behauptete etwa Generalleutnant Wanchana Sawasdee vom Institut für Verteidigungsstudien der thailändischen Armee.
Zugleich haben Vertreter Bangkoks erklärt, dass man mit den Angriffen auf Casinos auch gegen international agierende Cyberbetrugszentren vorgehe, die oft von dort operieren. Zwei der angegriffenen Casinos hätten etwa auf einer US-Sanktionsliste gestanden.
Kambodscha gilt zusammen mit Myanmar als Epizentrum international agierender Online-Betrugsfabriken, die zu Investitionen in Kryptowährungen verleiten und Milliardengewinne abschöpfen. Dahinter stecken oft von Peking gesuchte chinesische Kriminelle, die sich etwa die Protektion des kambodschanischen Staates erkauft haben. Dessen Repräsentanten profitieren von den kriminellen wie legalen Aktivitäten im Umfeld von an der Grenze zu Thailand gelegenen Casinos.
Streit um Einnahmen aus Casinos
Die Beziehungen zwischen Thailand und Kambodscha hatten sich 2024/25 verschlechtert, nachdem Bangkok Casinos in Thailand erlaubte und zugleich den Druck auf Kambodscha wegen dortiger Cyberbetrugsfabriken erhöht hat, schreibt der in Thailand lebende US-Politologe Paul Chambers, derzeit Gastwissenschaftler am ISAES – Yusof Ishak Institute in Singapur. „Das hat Hun Sen verärgert“, so Chambers, denn Kambodschas Führung sei mit den Casinobetreibern verbunden.
Hun Sen war von 1985 bis 2023 Kambodschas Ministerpräsident. Zwar wurde er von seinem Sohn Hun Manet abgelöst, gibt aber als Senatspräsident immer noch den Ton an. Er baute ein autoritäres Regime auf, das es sich kaum leisten kann, gegenüber dem mächtigeren Nachbarn Schwäche zu zeigen. Kambodscha hat keine nennenswerte Luftwaffe und wehrt sich jetzt vor allem mit Mehrfachraketenwerfern, Mörsern, Drohnen und Landminen.
Nationalistische Töne dominieren auch im derzeit wahlkämpfenden Thailand. Der konservative Premier Anutin, ein schwerreicher Bauunternehmer, ist erst seit September im Amt. Seine Vorgängerin Paetongtarn Shinawatra wurde wegen eines unterwürfigen Telefonats mit Hun Sen, einst Freund ihres mächtigen Vaters und Ex-Premiers Thaksin Shinawatra, vom Verfassungsgericht abgesetzt.
Ursache des Grenzkonflikts ist der seit der Kolonialzeit umstrittene Verlauf an mehreren Stellen der Grenze. Die war 1907 von französischen Kolonialbeamten, denen Kambodscha als Teil von Französisch-Indochina unterstand, gegenüber dem Königreich Siam festgelegt worden.
In den letzten Jahren konnten sich Thailand und Kambodscha nicht einmal auf den Maßstab der Karten einigen, die als Verhandlungsgrundlage dienen sollten. Immer wieder kam es zu Scharmützeln, besonders beim umstrittenen Hindu-Tempel Preah Vihear. 2013 sprach der Internationale Gerichtshof den Tempel Kambodscha zu und forderte eine Entmilitarisierung des Gebiets. Das konnte den Konflikt aber nicht wirklich befrieden.
Wahlkampf erschwert Lösungen
Thailands Militär mischt sich mit Putschen, zuletzt 2014, nicht nur immer wieder massiv in die Innenpolitik ein, sondern scheint auch Konflikte zu gebrauchen, um seinen dominierenden Einfluss rechtfertigen zu können. Jetzt geht es für Thailands konservative Elite, gestützt vom Militär, einer hörigen Justiz und dem durch ein hartes Majestätsbeleidigungsgesetz geschützten Königshaus bei den Wahlen um die Verhinderung überfälliger grundlegender Reformen.
Die reformorientierte People’s Party, Nachfolgerin der nach ihren jeweiligen Wahlsiegen verbotenen Parteien Future Forward und Move Forward Party, könnte wieder stärkste Kraft werden. Derzeit ist unklar, ob es wieder gelingt, die Reformer mit dubiosen Tricks von der Macht fernzuhalten.
Den Preis im Grenzkonflikt zahlen vor allem die auf beiden Seiten zusammen mehr als 900.000 Evakuierten und die gut 400.000 in Thailand beschäftigten kambodschanischen Arbeitsmigranten. Laut der Kinderhilfsorganisation Save the Children sind unter den Evakuierten viele Kinder, in Kambodscha etwa 130.000 und in Thailand 81.000. Die Evakuierung ist für diese nicht nur mit Ängsten verbunden, sondern stoppte meist auch ihren Schulunterricht.
Jetzt wagten auch fortschrittliche Kräfte in Thailand kaum Kritik an der Kriegspolitik, schrieb der mehrfach sanktionierte regierungskritische Journalist Pravit Rojanaphruk am Sonntag im Nachrichtenportal Khaosod: „Zwei Wochen eines nutzlosen thai-kambodschanischen Grenzkrieges ohne sichtbares Ende machen depressiv, erst recht, weil in Thailand nur sehr wenige bekannte oder halb bekannte Personen bereit sind, öffentlich ein Ende dieser tragischen Verrücktheit zu fordern.“ Wer das fordere, riskiere als prokambodschanisch oder gar als Spion bezeichnet zu werden.
„Krieg für Wählerstimmen“
Premier Anutin werde laut Pravit den Verdacht nicht los, dass es ein „Krieg für Wählerstimmen“ ist. „Die Tragödie dieses Krieges ist, dass auch nach zwei Wochen keine einzige Partei zu einem Waffenstillstand aufruft“, so Pravit. Frustriert stellt er fest, dass sich zwar in den sozialen Medien 100.000 Thais gegen den Krieg ausgesprochen hätten, zu einer Antikriegskundgebung in Bangkok am letzten Freitag aber nur 100 Personen gekommen seien.
Im autoritär regierten Kambodscha, wo das Regime in den letzten Jahren massiv gegen die letzten unabhängigen Medien vorging, sind solche selbstkritischen Stimmen nicht öffentlich zu vernehmen.
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