Sicherheitsprobleme in Atomanlagen: Peinlicher Baufehler am Reaktor

Frankreich wollte mit einer neuen Technologie seine Kernkraftwerke modernisieren. Nach mehreren Pannen steht nun die Sicherheit infrage.

Pannenserie im AKW: Druckwasserreaktoren in Flamanville, direkt am Ärmelkanal. Bild: imago/IP3press

PARIS taz | Ein neuer Exportschlager sollte es werden. Mit der Technologie des European Pressurized Reactor (EPR) wollte Frankreich seine gealterten Atomkraftwerke verjüngen und Akzeptanz für Kernenergie schaffen. Doch der Plan geht nicht auf: Von den weltweit vier EPR-Anlagen im Bau fielen schon zwei immer wieder durch technische Probleme auf. Neue Sicherheitsbedenken könnten dem ehrgeizigen EPR-Programm nun sogar den Gnadenstoß versetzen.

Technische Pannen verzögerten die Inbetriebnahme sowohl in Olkiluoto in Finnland als auch in Flamanville in der westfranzösischen Normandie, unweit der Wiederaufbereitungsanlage La Hague.

Dies hat die Kosten so enorm in die Höhe getrieben, dass erhebliche Zweifel an der Rentabilität dieser Technologie aufkommen mussten. Und das sorgt auch für Zweifel an der Glaubwürdigkeit des staatlichen französischen Atomkonzerns Areva: Denn der preist den EPR interessierten Staaten als neue Reaktor-Generation mit verbesserter Sicherheit an.

Ein kürzlich veröffentlichter Bericht der französischen Behörde für nukleare Sicherheit (ASN) könnte sogar ein Aus für das EPR-Programm bedeuten. Darin werden „Fabrikationsfehler“ bei der Stahldecke des in Flamanville bereits installierten Druckbehälters bemängelt.

Der Kohlenstoffgehalt in dieser Stahldecke ist zu hoch. Bei Tests zur Widerstandsfähigkeit hat sich laut Bericht herausgestellt, dass diese „schwächer als erwartet“ ist und rund 40 Prozent unter der Norm liege. Dabei könnte die Gefahr bestehen, dass sich aufgrund der mangelhaften Stahlqualität später unter der Belastung feine Risse bilden.

Ein Stahlmonster

Bei dem fehlerhaften Teil handelt es sich keineswegs um ein Detail, sondern um einen zentralen Bestandteil der Reaktoranlage. Die satirische französische Wochenzeitung Le Canard Enchaîné spricht von dem Bau als einem „425 Tonnen schweren und elf Meter hohen Stahlmonster“.

Bei Areva war man aber von der Kompetenz der Stahlgießer in der Filiale Creusot Forge so überzeugt, dass vor dem Einbau offenbar nicht einmal vertiefte Qualitätstests vorgenommen wurden. So vertraute der Konzern blind dem „Made in France“.

Den Rest des Druckbehälters hatten zuvor noch die Japan Steel Works hergestellt. Creusot Forge hat auch die Druckbehälter für zwei chinesische EPR-Anlagen in Taishan gegossen. Nun stellt sich auch hier die Frage: Wie sicher ist die Anlage?

Eine teilweise Demontage ist nicht möglich

In der Normandie ist der Einbau des Dachs bereits beendet, alles ist verschweißt, die Leitungen sind angeschlossen. Damit scheint aber auch das Schicksal des ganzen Druckbehälters und womöglich der ganzen EPR-Anlage von Flamanville besiegelt. Denn eine teilweise Demontage des Dachs ist nach Meinung von Experten nicht möglich.

„Wenn weitere Tests diese Anomalie bestätigen – und das ist höchstwahrscheinlich – kann dieser EPR nie in Betrieb gehen“, sagt Yannick Rousselet, der Atom-Beauftragte von Greenpeace Frankreich. „Der entdeckte Schaden ist irreparabel, noch nie hat man einen Druckbehälter entfernen können, ohne den ganzen Rest zu demolieren.“

ASN-Chef Pierre-Franck Chevet hatte die Tragweite der Probleme bestätigt: „Es handelt sich um einen Fabrikationsmangel, den ich als ernst oder sehr ernst bezeichnen würde, weil er einen entscheidenden Bestandteil, den Kessel, betrifft. Entsprechend groß ist die Aufmerksamkeit, die wir dem schenken.“

Der Energiekonzern EDF, der den EPR in Auftrag gegeben hat, wollte sich bisher nicht zum ASN-Bericht äußern. In Flamanville gab es in den letzten fünf Jahren Bauzeit bereits mehrere Produktionsfehler – vor allem Probleme mit dem Beton. Die Rechnung für den Bau schwillt an: Statt der ursprünglich geplanten 3,4 Milliarden Euro ist bereits von 8,5 Milliarden die Rede.

Inbetriebnahme fraglich

Eigentlich hätte der Reaktor in Flamanville schon 2012 ans Netz gehen sollen. Ist nun das Schicksal der Anlage und sogar dieser EPR-Generation als Hoffnungsträger der Atomwirtschaft besiegelt? Keineswegs, sagt Umweltministerin Ségolène Royal, die schlimmstenfalls mit einer Verzögerung um ein weiteres Jahr rechnet.

Natürlich könnte die französische Atomaufsicht dabei kurzerhand ihre strengen Normen für die Stahlqualität vermindern, was aber ihre eigene Glaubwürdigkeit untergraben würde.

Zuerst werden jetzt weitere Tests geplant – die vielleicht positivere Werte ergeben. Mit neuen Resultaten ist aber nach Angaben der Strahlenschutzbehörde IRSN, die sich in die Debatte einmischt, nicht vor Anfang 2016 zu rechnen. Bis dann wird in Flamanville laut einer Mitteilung von EDF weitergebaut.

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