Sicherheitsmaßnahmen in Berlin-Mitte: Abschottung statt Bürgernähe
Zäune prägen das Stadtbild im Regierungsviertel. An vielen Stellen ist Passant*innen kaum ein Durchkommen möglich – wie etwa am Friedrich-Ebert-Platz.
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Der Friedrich-Ebert-Platz gehört zum Bezirk Mitte. Der Mauerradweg überquert ihn, Fußgänger*innen und Radfahrer*innen dient er als Abkürzung zur Spree. Doch unter Verweis auf die Sicherheit der Abgeordneten und Mitarbeiter*innen ließ der Bundestag ihn bereits 2002 erstmals vorübergehend absperren; 2010 wurde wegen Terrorgefahr sogar ein dauerhafter Zaun errichtet – und der Platz verkam zum informellen Privatparkplatz.
Ein taz-Leser, der nicht namentlich genannt werden möchte, ist dagegen vor Gericht gezogen – und hat recht bekommen: Das Verwaltungsgericht Berlin sowie das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg haben entschieden, dass die Betretungs- und Aufenthaltsverbote auf dem Platz rechtswidrig sind.
Daraufhin wurde die Sperrung aufgehoben, wie es das Gericht verlangt hat – jedoch nur in den sitzungsfreien Zeiten. „Während der Sitzungswochen im Bundestag ist es erforderlich, einen Teilbereich des Friedrich-Ebert-Platzes aus Sicherheitsgründen zu sperren“, erklärt die Berliner Polizei auf taz-Anfrage. „Es liegt dann zumeist eine konzentrierte Anwesenheit von Schutzpersonen vor.“ In sitzungsfreien Zeiten erfolgten aber „keine gesonderten Schutzmaßnahmen“.
Eine schmale Gasse als Kompromiss
Als Kompromiss führt nun eine schmale Gasse an den temporären Sperrungen vorbei zum Spreeufer. Sie ist erst bei genauerem Hinsehen zu erkennen. Auf halber Strecke steht eine Wachkabine der Polizei. Einige Passant*innen seien „gestresst“ gewesen, als der Platz noch komplett abgesperrt war, gibt der freundliche junge Beamte am Wachhäuschen zu.
„Niemand bestreitet, dass Sicherheitsanforderungen für gefährdete Menschen erfüllt werden müssen“, stellt der ehemalige Bezirksbürgermeister von Mitte und heutige Bezirksverordnete Stephan von Dassel (Grüne) klar. Jedoch könnten alle Bundestagsgebäude rund um den Platz unterirdisch erreicht werden, „also komplett ohne jeden Kontakt mit potenziellen Gefährdern“, sagt von Dassel zur taz.
Ihn wundere zudem, dass direkt an den Bundestagsgebäuden Lkw fahren dürften, die auch als Waffe dienen könnten. „Warum dann ausgerechnet von Radfahrenden und Fußgängern während des sehr kurzen Moments, in dem potenziell gefährdete Personen vom Auto zum Bundestagseingang laufen, die größere Gefahr ausgehen soll, leuchtet mir überhaupt nicht ein“, so von Dassel.
Ein wichtiges Ziel bei den Planungen für das Regierungsviertel war der direkte und frei zugängliche Weg vom Potsdamer Platz über das Brandenburger Tor und den Reichstag zur Spreepromenade. Heute wird das Regierungsviertel vom 900 Meter langen „Band des Bundes“ durchzogen, zu dem das Paul-Löbe-Haus und das Bundeskanzleramt gehören.
In der Mitte war ursprünglich ein Bürgerforum als Ort der Öffentlichkeit geplant. Doch ausgerechnet dieses Forum wird nun nicht gebaut, eine Straßenverbindung war wichtiger. Und auch das Ziel eines offenen Bundestages als „Herzkammer der Demokratie“ scheinen die Verantwortlichen inzwischen aus den Augen verloren zu haben.
Das neue Besucherzentrum: ein massives Bauwerk
Das zeigt ein Blick auf die andere Seite des Reichstagsgebäudes: Hier liegt der Platz der Republik mit Containern als Besuchereingang zum Parlament. Auf einer Baustelle führen Bagger Erdarbeiten aus – dort soll bis 2030 das neue Besucherinformationszentrum (BIZ) entstehen.
Geplant ist ein massives Bauwerk, das mit Sicherheitsanlagen, Toilettenhaus, Berieselungsanlagen und Zufahrten insgesamt rund 8.000 Quadratmeter Fläche verbrauchen wird. Sogar ein Teil des Tiergartens soll gerodet werden, insgesamt mehr als einhundert Bäume. Zweieinhalb Meter hohe Zäune und ein ebenso tiefer Graben sowie ein Tunnel werden den Zugang zum Zentrum der deutschen Demokratie reglementieren.
Das BIZ wurde mit Zustimmung des Landes Berlin und des Bezirks Mitte auf den Weg gebracht, um den mehr als zwei Millionen Bundestags-Besucher*innen pro Jahr „besser gerecht werden zu können, als dies derzeit der Fall ist“, wie es das Büro von Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) auf taz-Anfrage formuliert. Mit dem BIZ könne die Sicherheit der Besucher*innen verbessert werden, das sei „im Interesse aller“.
Das Kanzleramt wächst weiter
Die Kosten werden momentan mit 193 Millionen Euro veranschlagt, rechnet man noch die sogenannten Risikokosten hinzu, könnten es sogar 276 Millionen werden. Um eine geeignete Ausgleichsfläche haben Bezirk und Bund lange gestritten, nun sollen lediglich zwei Parkplätze in der Scharnhorst- und der Müllerstraße entsiegelt sowie eine mit Bäumen bepflanzte Promenade errichtet werden.
Katalin Gennburg, Expertin für Stadtentwicklung der Linke-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, befürchtet, dass der Bezirk Mitte weiter mit Regierungsgebäuden „zugebaut“ werde und bald keinen Platz mehr für die Menschen biete. Sie hatte sich zudem erfolglos für eine andere Ausgleichsfläche starkgemacht.
Unterdessen wird auch gegenüber dem Reichstagsgebäude gebaut: Das Bundeskanzleramt wird erweitert. Die Kosten für die bereits begonnene Vergrößerung wurden 2022 auf 777 Millionen Euro geschätzt. Auch dafür mussten bereits 180 Bäume weichen, sollen aber neu gepflanzt werden. „Um den Parkcharakter zu unterstützen, wird an den äußeren Fassaden des Erweiterungsbaus wilder Wein empor ranken“, heißt es der Bundesregierung.
Zurück zum Friedrich-Ebert-Platz. Die Grünen in der Bezirksverordnetenversammlung Mitte fordern vom Bezirksamt, es solle sicherstellen, dass die teilweise Sperrung des Platzes durch die Polizei nur dann erfolgt, wenn sie unbedingt notwendig ist. Außerdem soll das Bezirksamt verhindern, dass der Platz an den zentralen Immobiliendienstleister des Bundes, die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) übertragen wird.
Die BImA, die auch den Bau des BIZ verantwortet, wiegelt auf taz-Nachfrage ab. Man habe „keine Pläne, den Friedrich-Ebert-Platz in Berlin zu erwerben“. Auch dem Deutschen Bundestag lägen „keine Erkenntnisse über etwaige Veräußerungsabsichten vor“, heißt es aus dem Büro Kubickis.
Der erfolgreiche Kläger zeigt sich trotzdem „erschrocken, wie wenig Gesetze, der Rechtsstaat und das Steuergeld zählen, wenn es um die VIP-Parkplätze des Bundestages auf dem Ebert-Platz geht“.
Ex-Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel erwartet von den Verantwortlichen, „dass sie Rechtsprechung und Planungsrecht akzeptieren und das Prinzip des offenen und begehbaren Regierungsviertels nicht ohne Not und nur aufgrund abstrakter Gefährdungsbefürchtungen oder eingeübter und bequemer Wege weiter einschränken“. Anderenfalls wäre das aus seiner Sicht „genau der falsche Umgang mit der zunehmenden Entfremdung zwischen Politik und ‚normaler‘ Bevölkerung“.
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