Sicherheit beim CCC-Kongress 2018: Klare Strukturen statt Chaos
Als beim CCC-Kongress 2017 Übergriffsvorwürfe aufkamen, reagierte der Hackerclub planlos. Dieses Jahr geht es professioneller zu.
„All Creatures Welcome“ („Alle Kreaturen sind willkommen“) heißt das gern zitierte Motto des CCC und „Be Excellent To One Another“ („Seid großartig zueinander“) lautet der allgemeine Leitsatz zum Umgang miteinander. Seit Jahren setzt der Kongress auf Selbstorganisation: Ehrenamtliche, genannt „Engel“, übernehmen viele der organisatorischen Aufgaben, selbst organisierte Teams für „Awareness“ und Notfälle sorgen für Sicherheit, und mit beeindruckender Disziplin werden Mate-Flaschen in die ausgelegten Kästen geräumt.
Doch 2017 gab es Ereignisse, die die Selbstorganisation der 16.000 Menschen großen Hackerkonferenz überforderten: Eine Programmiererin berichtete, dass ein Mann teilnehmen dürfe, der sie angegriffen und verletzt habe. Eine weitere Frau sagte, dass ein Mann, dem ein sexueller Übergriff vorgeworfen werde, sogar zwei Vorträge halten dürfe. taz-Recherchen ergaben damals, dass der Club langsam reagierte, die Beschuldigten nicht anhörte und unklare Entscheidungen traf. Mit dem Resultat, dass sowohl Frauen als auch die beschuldigten Männer sich auf der Konferenz nicht sicher fühlten.
Und dieses Jahr? Was im vergangenen Jahr noch chaotisch anmutete, scheint in diesem Jahr durch klare Struktur und professionelles Vorgehen ersetzt worden zu sein. Einerseits präsentiert der CCC erstmals alle Hilfsangebote auf dem Kongress auf einer Website, inklusive explizit formulierten Prinzipien für Verhalten auf dem Kongress: „Wir sind nicht bereit, Sexismus, Rassismus, Belästigung oder Diskriminierungen auf unseren Veranstaltungen zu tolerieren.“ Wichtiger aber ist die Einrichtung einer Schiedsstelle, die mit Konflikten unter den Teilnehmenden umgehen soll.
Willkür wird vorgebeugt
Die Schiedsstelle besteht aus sechs Mitgliedern, die von drei Sachverständigen beraten werden. Sie kann angerufen werden, wenn sich Teilnehmende in ihrer „Freiheit und Sicherheit“ eingeschränkt fühlen Es gibt eine klare Verfahrensordnung, die vorsieht, dass beide Parteien und weitere „Auskunftspersonen“ angehört werden, sich die Parteien Vertrauenspersonen zu Hilfe holen dürfen und schließlich eine Entscheidung getroffen wird – wobei von niedrigschwelligen Verwarnungen bis hin zu einem Ausschluss aus der laufenden und allen künftigen Veranstaltungen viel möglich ist.
Unweigerlich gibt es dort, wo Vorwürfe über Übergriffe auftauchen, dieselbe Diskussion. Was ist mit der Unschuldsvermutung? Dürfen Personen sanktioniert werden, die nicht von einem Gericht verurteilt wurden? Sollten solche Fälle nicht ohnehin lieber der Strafverfolgung überlassen werden? Die #MeToo-Diskussionen der vergangenen zwei Jahre haben gezeigt, dass Strafverfolgung allein nicht ausreicht: Jemand, der nicht zu einer Strafe verurteilt wird, kann dennoch nicht willkommen sein. Dass auf dem CCC „All Creatures Welcome“ geheißen werden, hält den Kongress nicht davon ab, Neonazis vom Security-Team aus den Hallen zu eskortieren. Ein formalisierter, klarer Prozess, um mit Konflikten umzugehen, an deren Ende auch die Entfernung einer Person stehen kann, beugt der Willkür vor, die viele – meist Männer – bei Übergriffsvorwürfen befürchten.
Der CCC-Kongress
Der CCC ist groß und die Konflikte sind nicht das wichtigste Thema. Der Workshop, in dem sich die Schiedsstelle vorstellt, ist spärlich besucht, gerade einmal ein Dutzend Kongressteilnehmende haben dahin gefunden. Die Mitglieder treten professionell auf, das Publikum ist überwiegend dankbar. Es sind „nicht zu viele, nicht zu wenige“ Fälle, die bisher bearbeitet werden mussten, geben sich die Mitglieder der Schiedsstelle verschwiegen: „Wir haben das im Griff.“ Und vermutlich eine Sorge weniger für den Rest der Veranstaltung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin