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Sichere HerkunftsstaatenSogar Schwarz-Grün sagt Nö

Die pragmatischen Grünen in Hessen sind gegen das Gesetz zu den sicheren Herkunftsstaaten. Die Regierung habe nicht das Gespräch gesucht.

Der Grüne Tarek Al-Wazir (M.) und CDUler Volker Bouffier (R.) managen die Koalition in Hessen Foto: dpa

Berlin taz | Der Widerstand der Grünen wächst. Auch Hessens Grüne lehnen den Plan der Bundesregierung ab, Marokko, Tunesien und Algerien für „sicher“ zu erklären. Das hat ein kleiner Parteitag des Landesverbandes bereits am Samstag beschlossen. „Angesichts der bisher nicht vorhandenen Bereitschaft der Bundesregierung zu ernsthaften Gesprächen lehnen die hessischen Grünen folgerichtig den vorliegenden Gesetzentwurf (…) ab“, heißt es in dem Beschluss.

Die Grünen regieren in Hessen zusammen mit der CDU. Wenn die Koalitionspartner bei einem Thema nicht einig sind, enthält sich das Bundesland in der Länderkammer – so regelt es der schwarz-grüne Koalitionsvertrag. Enthaltungen aber wirken wie ein Nein. „Das Gesetz, das jetzt vorliegt, ist so nicht zustimmungsfähig“, sagte Hessens Grünen-Landeschef Kai Klose am Montag der taz.

Die entscheidende Abstimmung im Bundesrat findet am Freitag statt. Spätestens jetzt ist so gut wie sicher, dass das umstrittene Gesetz keine Mehrheit bekommt. Mehrere Regierungsgrüne in anderen Ländern hatten zuvor bereits erklärt, verfassungsrechtliche und menschenrechtspolitische Bedenken zu haben.

Die Zweifel sind gut begründet: In den drei nordafrikanischen Maghreb-Staaten ist Homosexualität strafbar, es kommt zu Verfahren gegen kritische Journalisten und Blogger, auch Fälle von Folter sind dokumentiert.

„Pure, sinnlose Ideologie“

Die Koalition bräuchte mindestens drei große, von Grünen mitregierte Länder, die für das Gesetz stimmen. Hessens Landesverband tickt realpolitisch und gilt Grünen-intern als pragmatisch – dies verleiht dem Nein besondere Wucht. Offen ist jetzt noch, wie sich Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann entscheidet. Kretschmann, der ebenfalls mit der CDU regiert, lässt das Gesetz seit Monaten auf Plausibilität prüfen und will das Ergebnis am morgigen Dienstag nach der Kabinettssitzung bekannt geben.

Wichtige Koalitionspolitiker hatten am Wochenende den Druck auf die Grünen erhöht. „Eine Ablehnung wäre pure sinnlose Ideologie“, sagte etwa Innenminister Thomas de Maizière (CDU). CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer sagte, die Grünen würden sich mit einem Nein zu „Gehilfen für massenhaften Asylmissbrauch“ machen. SPD-Chef Sigmar Gabriel betonte, die Einstufung von Marokko, Tunesien und Algerien als sicher bedeute nicht, dass das Recht auf Asyl für Menschen aus diesen Ländern wegfalle.

Wenn die Grünen das Gesetz am Freitag im Bundesrat blockieren, ist wahrscheinlich, dass es im Vermittlungsausschuss landet. Dort würde nach einem Kompromiss gesucht. Hessens Grüne wollen in diesem Fall weiter mit der Regierung verhandeln. Sie blieben „zu Fragen der Flüchtlingspolitik gesprächsbereit“, heißt es in dem Parteiratsbeschluss. Das Ziel bleibe, Fehlentwicklungen in der Flüchtlingspolitik zu korrigieren und reale Verbesserungen für Flüchtlinge zu erreichen.

Landeschef Klose bedauerte den mangelnden Verhandlungswillen der Regierung – und deutete an, dass auch eine Einigung möglich gewesen wäre. „Die Bundesregierung hat versäumt, mit den grün mitregierten Landesregierungen das Gespräch zu suchen“, sagte er. Einwände des Bundesrates seien von der Regierung einfach ignoriert worden. Die Länderkammer hatte Mitte März nach einer ersten Befassung mehrere Einwände formuliert.

Kretschmann für neues Modell

Er hatte damals zum Beispiel darauf hingewiesen, dass eine geringe Schutzquote für Antragsteller aus den betroffenen Staaten „kein ausreichendes Kriterium“ für eine Einstufung sei. Er forderte zudem mehr Informationen über die Menschenrechtssituation in den betroffenen Ländern und schlug eine Altfallregelung für Asylbewerber vor, die seit Jahren in Deutschland geduldet werden.

An solchen Punkten könnten sich Nachverhandlungen im Vermittlungsausschuss orientieren. Das Gesetz wäre also durch die wahrscheinliche Blockade der Grünen nicht vom Tisch. Wenn die Regierung Angebote macht, wären manche Grüne gesprächsbereit.

Kretschmann hatte bereits vor den Landtagswahlen im März einen Deal mit dem Kanzleramt sondiert und ein Ja von ihm und den hessischen Grünen gegen Gegenleistungen angeboten. Nachdem die taz über die interne Offerte berichtet hatte, verwahrte sich die CSU gegen Liberalisierungen im Asylrecht.

Bei den Grünen werden jetzt Modelle diskutiert, die die umstrittene Einstufung von Staaten als „sicher“ ersetzen könnten. Kretschmann und Schleswig-Holsteins Vize-Regierungschef Robert Habeck schlagen vor, die Liste der sicheren Herkunftsstaaten zu streichen und stattdessen einen gesetzlichen Automatismus einzuführen. Würden aus einem Land dauerhaft nur sehr wenige Menschen als asylberechtigt anerkannt, löste dies ein beschleunigtes Asylverfahren aus.

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13 Kommentare

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  • "Die Zweifel sind gut begründet: In den drei nordafrikanischen Maghreb-Staaten ist Homosexualität strafbar, es kommt zu Verfahren gegen kritische Journalisten und Blogger, auch Fälle von Folter sind dokumentiert."

    Es gibt, ergo, keine Zweifel!

  • Wenn Thomas de Maizière (CDU) eine Ablehnung des Gesetzentwurfes als "pure sinnlose Ideologie" bezeichnet, muss das niemanden wundern. Der Mann hat wohl beim morgendlichen Rasieren in den Spiegel geschaut. Nun bemüht er sich, das, was ihm nicht gefallen hat am eigenen Anblick, anderen in die Schuhe zu schieben.

     

    Der Mann redet über seinen Lieblingsgesetzentwurf, nicht über eine Ablehnung desselben. Wenn das Gesetz nicht kommt, muss er sich schließlich etwas sinnvolles einfallen lassen. Und das fällt ihm ganz offensichtlich schwer Sonst würde er ja reden mit den Kritikern.

     

    Ich finde, die Grünen sollten sich nicht immer unter Wert verkaufen. Der Union bleibt schließlich mittlerweile keine andere Wahl mehr, als auch mit ihnen über Posten zu verhandeln, egal wie aufrecht die Grünen in die Verhandlungen gehen. Die SPD hat die Union ja schließlich schon so weit ruiniert, dass es mit ihr als Junior-Partner nicht mehr langt für den Zugriff auf die Futternäpfe. Das könnten wenigstens die Grünen nutzen, denke ich. Die große Liebe hat sie ja noch ganz offensichtlich nie verbunden mit Tante SPD

  • Das scheint ja alles mehr Vorwahlkampf zu sein.

  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    Merkt Euch das, GRÜNE:

    DER EINZELFALL ZÄHLT und nicht euer würdeloses Lavieren um die angeblich eh nur wenigen Anerkannten.

    • @571 (Profil gelöscht):

      Was ist daran würdelos, wenn die Grünen versuchen eine Altfallregelung durchzusetzen?

      • 5G
        571 (Profil gelöscht)
        @Grisch:

        Lesen!

        Es ist das Lavieren, das würdelos ist.

        Es geht um Menschen, @Grisch.

  • "....Kretschmann und Schleswig-Holsteins Vize-Regierungschef Robert Habeck schlagen vor, die Liste der sicheren Herkunftsstaaten zu streichen und stattdessen einen gesetzlichen Automatismus einzuführen. Würden aus einem Land dauerhaft nur sehr wenige Menschen als asylberechtigt anerkannt, löste dies ein beschleunigtes Asylverfahren aus...."

     

    Na Servus.

    Da haben sich ja die richtigen beiden gefunden;

    Marzipan-Spätzle-Connection -

    Father and son - gell!

    In der Justiz ist dieses Ansinnen bestens bekannt. Von allfälligen karrieregeilen Präsidenten gern genommen;

    " Frauman möge doch bitte die Überprüfungstiefe zur Verfahrensbeschleunigung etc verringern!"

    Die allein verfassungsgemäße Antwort lautet -

    "Allein Recht und Gesetz unterworfen!"

    kurz - Das haut euch Karlsruhe um die Ohren - So schnell könnt ihr gewissenlosen Stümper gar nicht gucken!

     

    (ps Studium der Germanistik, Philosophie und Philologie in Freiburg i.Br. & Lehrer - schön und gut -;)

    Wie wärs - Wenn ihr mal den ein oder anderen Juristen hinzuzieht &

    Nicht nur Richtung Verfassungsfeind -

    FrozenThomas DeHugo´not schieltet?!

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @Lowandorder:

      Pamphlet - auf den Punkt gebracht - wider die Verhunzung des Rechts.

       

      Da hält einer noch die Augen offen. Danke dafür.

  • ".....Kretschmann, der ebenfalls mit der CDU regiert, lässt das Gesetz seit Monaten auf Plausibilität prüfen und will das Ergebnis am morgigen Dienstag nach der Kabinettssitzung bekannt geben....

     

    "Auf Plausibilität prüfen.." - das sagt mehr als tausend Worte.

    So tief also - ist ein K-Gruppen-Schrägschisser mittlerweile gesunken.

    Recht - Gerechtigkeit - Rechtsstaat - Verfassungsrecht - Völkerrecht -

    Ha noi! Mir doch alles - Wumpe!

    Herr Kretschmann - Sie haben mal als MP - einen Eid geschworen.

    Auf die Verfassung BW & damit des Grundgesetzes.

    Noch Fragen?! Neje tak!

    Verluderung ist gar kein Ausdruck!

    Erbärmlich & Inhuman! - That´s it!

    Küppersbusch hat recht - Verfassungsfeinde -

    Verstecken sich am besten in Kabinetten!

    So geht das!

    • @Lowandorder:

      Der Hintergrund für dieses Vorgehen ist der Koalitionsvertrag. Dort steht nämlich drin, dass die BW-Grünen zustimmen werden, wenn das Gesetz zur Erklärung der 3 Magrebstaaten als "sichere Herkunftstaaten, verfassungskonform ist.

       

      Kretschmann handelt also ganz in ihrem Sinne...

      • @Grisch:

        Auch wenn ich Ihr "ihrs" mal als "Ihrs" nehme -;)

        Sie wissen schon - Was eine Rechtskontrolle - & Was eine -Plausibilitätskontrolle gerade -

        Nicht ist?! odr!

        (auch exPaukern - muß frauman

        Nicht alles nachsehen!)

  • Es kann - und darf - aber doch nicht sein, dass eine vergleichsweise niedrige Anerkennungsquote dazu führt, Asylanträge nur noch in einem beschleunigten Verfahren - also oberflächlich - geprüft werden; wir setzen damit doch eine Säule unserer Demokratie, nämlich die Rechtsstaatlichkeit, "unter Druck" und "auf's Spiel"!

     

    Vielmehr muss die Einschätzung und Bewertung des Staates, aus dem die oder der jeweilige Asylbewerber*in kommt, ausschlaggebend sein, entlang der Prüfkriterien, ob in dem jeweiligen Staat ein wirksamer und schützender Zustand der Menschenrechte und eines rechtsstaatlichen Verfahren gegeben ist (um es klar zu sagen, nicht die Frage, ob in diesem Staat demokratische Zustände nach westlicher Ausprägung herrschen, ist wichtig, sondern lediglich, ob die Menschenrechte eingehalten werden und ob ein rechtsstaatliches Verfahren gewährleistet wird).

  • Die Grünen eiern etwas herum, weil der Begriff "sicher Drittstaaten" ersatzlos aus dem Grundgesetz gestrichen gehört. Von daher sei egal, welches Land auf der Liste steht. Wichtig sei es, die Mehrheit für die Grundgesetz-Änderung zu bekommen.

     

    Ansonsten denkt man pragmatisch. Kretschmann forderte Arbeitsgenehmigungen, die Hessen wollen wenigstens gehört werden. Wenn die Bundesregierung unbedingt drei Failed States auf der Liste haben will, soll sie einen hohen Preis dafür zahlen. Es kann nur besser werden.