Sibylle Berg auf „Brainfuck“-Tour: Gewalt, Sex und Bullshit
Lesung? Pah! Die Schriftstellerin Sibylle Berg und ihr furioser Roman „GRM. Brainfuck“ in Hamburg (und anderswo).
Der Zufall ist ein elektrisches Eichhörnchen: „Ich hasse Max“, so steht es, als dieser Text geschrieben werden möchte, am unteren Bildschirmrand. „Sibylle Bergs Roman ‚GRM‘: Ich hasse Max“, um genau zu sein, es ist der Facebook-Post einer deutschen Zeitung mit Qualitätsfeuilleton, von Berg in die eigene Timeline geworfen (oder wenigstens in ihrem Auftrag).
Dahinter steckt einer von nicht wenigen Texten zu ihrem neuen Buch, Roman Nummer 14, so heißt’s, neben noch viel mehr Theaterstücken: eine produktive Frau, die Wahlschweizerin. Nun also Science-Fiction? Dass es darin um eine „Überwachungsdiktatur“ geht, ruft uns schon der Klappentext entgegen, und in der Tat spielt „GRM“ (Kiepenheuer & Witsch 2019, 640 S., 22,99 Euro) in der Zukunft, aber keiner Jahrhunderte (oder auch Planetensysteme) entfernten.
Dazu sind die Zutaten dann nämlich doch zu vertraut: soziale Ungleichheit, kaputte Familien, Drogen, Überwachung, Buckeln und Treten. Dieser Zukunftsroman, könnte man sagen, handelt recht deutlich von der Gegenwart (so wie’s mancher Definition nach das Genre ja grundsätzlich tut; alles andere ist Fantasy, also Eskapismus). Einer Gegenwart freilich, mal weniger, mal mehr zugespitzt und überzeichnet: Britannien nach dem Exit hat Berg sich zum Schauplatz gewählt, und dort zunächst auch noch einen fiktiven Ort im Norden, da also, wo dieses Britannien so viel weniger swinging ist, so viel weniger glamourös als in London, in dem sich vieles ballt, auf das sich aber halt auch so vieles beschränkt: der Chic, der Pop, das ganz große Geld.
Weit weg von swinging London
Auch wenn es sie im Weiteren eben dorthin verschlagen wird: Vom London-Kitsch, auch in seiner „Cool Britannia“-Weiße-Gitarren-Jungs-Nostalgie könnten die vier Protagonist*innen des Buches kaum weiter entfernt sein. Ihr London ist eines der allgegenwärtigen Überwachung – ob durch Kameras oder die sozialen Medien – und der „Karmapunkte“, der Währung verträglichen Sozialverhaltens.
Den Soundtrack zu alldem würde man auch den knurrigen East-Midlands-Sozialhilferappern Sleaford Mods anvertrauen wollen, aber die sind ja auch schon wieder so schrecklich … alt. „GRM“ indes, das merkwürdige Akronym: Was der darin geremixte Grime sei, also dieses spezifisch britisch-urbane Musikgenre, das zu erklären hat einigen der Rezensierenden ulkige Pirouetten abgerungen.
Sibylle Berg, T.Roadz, Prince Rapid und Slix (Ruff Sqwad/UK), Otiti Engelhardt, Antonije Stankovic u. a.: Mi, 17. 4., 20 Uhr, Kampnagel (k6), Hamburg
weitere Termine: https://www.kiwi-verlag.de/news/sibylle-berg-auf-tour-mit-ihrem-neuen-roman-grm-brainfuck.html
Berg geht die Sache cleverer an: Sie bringt einfach welche mit von denen, die klingen wie das, was ihre Romanfiguren gerne hören. Denn dass ein derart böses, schnelles, apokalyptisches Buch nicht gediegen am Tisch sitzend, darauf ein Wasserglas, zu bewerben ist: klar. Und so gibt’s – auch jetzt in Hamburg – „eine Performance zum Buch“, so kündigt es Kampnagel an, „ein Grime Konzert“, na gut: auch „eine Lesung“, die zugleich „ein Videoabend“ sei – und „eine Freude!“
Der erwähnte Max übrigens ist weder der Motorsport-Grande Mosley noch der 1980er-Proto-Virtual-Reality-Schmierlappen Headroom: Nein, Berg hasst erklärtermaßen Max Frisch, den ollen Mit-Schweizer und Moralisten.
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