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Sexueller Missbrauch im US-FrauenfußballVertuschen mit System

Eine Studie zum sexuellen Missbrauch in der höchsten US-Frauenfußballliga stellt Verbänden und Vereinen ein miserables Zeugnis aus.

Das Wohl der Profifußballerinnen war für die Funktionäre in den USA zweitrangig Foto: Ulmer/Teamfoto/imago

M ehr als 89.000 Dokumente sind für diese Studie gesichtet worden. Die Hinweise auf sexuellen Missbrauch in der National Women’s Soccer League reichen schließlich weit zurück. Und so ist die Studie, die vom nationalen Verband, der United States Soccer Federation (USSF), vor einem Jahr in Auftrag gegeben und nun am Montag vorgestellt wurde, auch ein Dokument dafür, wie zäh, langwierig und hindernissreich die Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt im Sport ist.

Sechs Jahre hat es etwa gedauert, bis die Vorwürfe gegen den Trainer Paul Riley, der den zweimaligen Titelträger North Carolina Courage betreute, ernst genommen wurden. Erst als zwei Spielerinnen sich im Herbst vergangenen Jahres an die Presse wandten, wurde vom Fußballverband und der Liga Handlungsbedarf erkannt. Zumal unmittelbar danach Spielerinnen anderer Vereine Anklagen wegen missbräuchlichen Verhaltens erhoben. Fünf von zehn Trainern in der NWSL wurden wegen entsprechender Vorwürfe entlassen. Die Liga-Chefin Lisa Baird trat zurück, nachdem ihr vorgeworfen wurde, Hinweise nicht beachtet zu haben.

Sally Yates, die ehemalige, 2017 von Trump entlassene Justizministerin, welche mit der Leitung der Studie beauftragt wurde, schrieb im Resümee: „Unsere Untersuchung hat eine Liga in Augenschein genommen, in der Missbrauch und Fehlverhalten – verbaler und emotionaler Missbrauch und sexuelles Fehlverhalten – systemisch geworden waren und mehrere Teams, Trainer und Opfer umfassten.“

Diese Erkenntnis allein mag diejenigen, die sich mit der Liga näher befasst haben, kaum überraschen. Bereits die Spielerinnengewerkschaft NWSLPA sprach vor einem Jahr angesichts des Ausmaßes der Vorwürfe naheliegenderweise von „systemischem Missbrauch“. Die Auswertung der Gespräche mit über 200 befragten Personen sind zweifellos „herzzerreißend“, wie es die Fußballverbandspräsidentin Cindy Parlow nun in einer ersten Stellungnahme formulierte. Besonders alarmierend jedoch ist die jahrelange Ignoranz der Vereine, der Liga und des Fußballverbandes.

Verweigerte Kooperation

Wie die Studie feststellt, sorgten sich die Verantwortlichen trotz konkreter Hinweise auf sexuelle Gewalt nicht um das Wohl ihrer Spielerinnen, sondern um die Vermeidung von Verleumdungs- und Arbeitsrechtsklagen. So konnten Trainer, die Spielerinnen vergewaltigten, von Team zu Team wechseln „getarnt durch Pressemitteilungen, in denen ihnen für ihre Dienste gedankt wurde“. So steht im Empfehlungskatalog der Studie nicht zufällig an erster Stelle die Forderung, die Klubs sollten dazu verpflichtet werden, Fehlverhalten von Trainern gegenüber der NWSL und dem nationalen Verband offenzulegen, damit diese nicht an anderer Stelle ihre Verbrechen fortsetzen können.

Das dafür nötige Problembewusstsein in den Vereinen scheint aber gerade dort nicht vorhanden zu sein, wo es besonders wichtig wäre. Wie die Studie hervorhebt, hätten mit den Portland Thorns, Racing Louisville FC und die Chicago Stars drei Vereine nicht mit den Ermittlern kooperiert. Die genannten Klubs standen wegen besonders schwerer Vorwürfe im Fokus.

Beim nationalen Verband dagegen ist man bemüht, den Willen zum Handeln zu demonstrieren. Die US Soccer Federation kündigte als Sofortmaßnahme unter anderem die Eröffnung eines Büros an, das die Sicherheit der Spielerinnen überwachen soll. In einer zentralen Datenbank sollen zudem Personen erfasst werden, gegen die Disziplinarverfahren, Suspendierungen oder Sperren ausgesprochen werden. Zuverlässigkeitsüberprüfungen soll es künftig auch im Jugendfußball geben.

Freilich ist sexuelle Gewalt kein ligaspezifisches Problem der National Women’s Soccer League. In der Studie heißt es: Einige der Trainer, deren Verhalten wir untersucht haben, hatten bedeutende Verbindungen zum Jugendfußball. Der Missbrauch im Frauenfußball sei tief verwurzelt.

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taz-Sportredakteur
Jahrgang 1971, bis Ende März 2014 frei journalistisch tätig. Seither fest mit dem Leibesübungen-Ressort verbunden.
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