Sexuelle Gewalt als Kriegswaffe: Billig, nachhaltig, perfide
Den Haag und New York erkennen sexuelle Gewalt als Kriegswaffe an. An Lösungsstrategien mangelt es noch. Oft können die Täter nicht ermittelt werden.
S exuelle Gewalt ist eine effiziente und die billigste Waffe in einem Krieg. Sie sorgt nicht nur dafür, dass die Opfer körperlich und seelisch verletzt werden, sondern sie sind in den meisten Fällen längerfristig traumatisiert. Diese perfide Form der Kriegsführung gibt es, seit es Kriege gibt – weil sie so „einfach“ und so „nachhaltig“ ist. Die Opfer haben auf vielfältige Weise mit den Folgen zu kämpfen: chronische körperliche Schmerzen, mitunter Unfruchtbarkeit, Depressionen, Angst, Hass, Ekel.
Nicht wenige können später weder sexuelle noch soziale Beziehungen führen. Das zerstört Familien, Partnerschaften, soziale Kontakte. Nahezu alle Betroffenen können gar nicht oder erst viele Jahre später über ihre schrecklichen Erfahrungen sprechen. Man bezeichnet sie daher als „stumme Opfer“. Allein das Schweigen verbuchen die Täter als Erfolg.
Die Betroffenen sind zu großer Mehrheit Frauen, aber auch Männer werden zunehmend Opfer sexueller Gewalt. In den Massengräbern, die jüngst in der Ukraine ausgehoben worden sind, fanden UN-Mitarbeiter:innen männliche Leichen mit abgeschnittenen Genitalien. Die Täter handeln aus einem selbsternannten Machtanspruch heraus und sie sind Teil der Zerstörungsmaschine, die auf das Sozialgefüge der angegriffenen Gesellschaft zielt und gemeinschaftliche humanistische Werte in toxische Kräfte verwandelt.
Das gelingt vor allem dadurch leicht, dass die Betroffenen demoralisiert, vereinzelt, entmutigt werden und in einem religiösen Kontext für eine „reine Ehe“ nicht mehr „brauchbar“ sind. Auch das trifft mittlerweile Frauen wie Männer, wenngleich Frauen in einem weitaus höherem Maße.
Der Internationale Gerichtshof und die Vereinten Nationen (UN) erkennen unterdessen sexuelle Gewalt als Kriegswaffe an. Seit 2008 müssen UN-Sonderbeauftragte jedes Jahr über das Ausmaß sexueller Kriegsgewalt berichten. Pramilla Patten, die aktuelle UN-Sonderbeauftragte, wirft Russland vor, Vergewaltigungen als „eindeutige Militärstrategie“ im Ukraine-Krieg einzusetzen.
Die Erkenntnisse sind da, an Lösungsstrategien indes mangelt es. Das jedoch ist den Ermittler:innen und Behörden kaum vorzuwerfen. Bei sexueller Gewalt können zwar Beweise gesichert und Vergewaltiger, soweit sie bekannt sind, benannt werden. Trotzdem ist den Tätern nicht so leicht beizukommen – erst recht nicht in Kriegssituationen.
Die Prozesse durch das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag wegen massenhafter Verurteilungen im Bosnien-Krieg haben das auf beispielhafte Weise gezeigt: Nur eine Handvoll der zahlreichen Täter wurde verurteilt, die Prozesse dauerten jahrelang. Es bleibt zu befürchten, dass auf die tausenden Opfer sexueller Gewalt im Ukraine-Krieg ähnliche Erfahrungen warten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Demokratieförderung nach Ende der Ampel
Die Lage ist dramatisch