Sexualmoral in Italien: Verliebt, verlobt, verheiratet

In Italien wird ab nächster Woche über die Homo-Ehe abgestimmt. Das Thema ist äußerst heikel – so wie alles, was irgendwie mit Sex zu tun hat.

Zwei Menschen protestieren in Rom gegen die Homeehe.

Mamma mia: Zwei Menschen protestieren in Rom gegen die Home-Ehe Foto: dpa

ROM taz | „Leute wie er haben im Fußball nichts verloren!“ Außer sich war Roberto Mancini, Trainer von Inter Mailand, am letzten Dienstag nach dem Pokal-Viertelfinale seines Teams gegen Neapel. Dessen Coach Maurizio Sarri war kurz vor dem Abpfiff mit Mancini aneinandergeraten und hatte seinen Kollegen kurzerhand als „Schwuchtel“ beschimpft. „In England könnte so einer keinen Fuß mehr ins Stadion setzen“, bilanzierte Mancini.

In Italien dagegen schon. Kaum war der Fall publik geworden, begann auch schon die Abwiegelei. Aus dem Fußballverband verlautet, Sarri müsse wohl nur mit einer Sperre von ein-zwei Spieltagen rechnen, auch wenn auf diskriminierende Äußerungen eigentlich eine Mindeststrafe von vier Monaten Disqualifizierung steht. Aber schließlich sei Mancini ja gar nicht schwul, heißt es hinter den Kulissen, also habe Sarri ihn auch nicht diskriminiert, sondern „bloß beleidigt“.

Auch im Jahr 2016 gehen in Italien halt immer noch viele Dinge, die anderswo schlicht undenkbar wären – und andererseits geht so manches gar nicht, was jenseits der Grenzen mittlerweile selbstverständlich ist. Zum Beispiel als schwules oder als lesbisches Paar den Bund fürs Leben schließen: In Rom oder Mailand ist das unmöglich, schlicht weil Italien als einziges westeuropäisches Land dies einfach nicht vorsieht.

Doch in den letzten Wochen schien es, als sei die Wende in Sicht, als könnten die Widerstände des Vatikans endlich überwunden werden. Schließlich hat das Land mit Matteo Renzi einen zwar katholischen, aber auch jung-dynamischen Ministerpräsidenten, und dem war aufgefallen, dass „wir das Schlusslicht in Europa sind“.

Kirchliche Deutungshoheit

Deshalb soll der Senat ab nächster Woche über ein Gesetz abstimmen, das auch schwulen und lesbischen Paaren das Recht auf eine „Zivilunion“ einräumt, ausgestaltet nach dem deutschen Vorbild der eingetragenen Lebenspartnerschaften.

Auf dem Papier ist die Sache klar. Matteo Renzis gemäßigt linke Partito Democratico (PD) hatte sich das Gesetzesvorhaben 2013 ins Wahlprogramm geschrieben, die kleine radikal linke Partei SEL will es, und auch Beppe Grillos Protesttruppe MoVimento 5 Stelle ist dafür, ja selbst Silvio Berlusconi hat seinen Forza-Italia-Senatoren für die Abstimmung Gewissensfreiheit eingeräumt.

„2015 ging der Absatz von Präservativen zurück, im Gegenzug nahmen unter jungen Leuten HIV-Infektionen wieder zu“

Doch die katholische Kirche denkt nicht daran, ihre bisher immer erfolgreiche reklamierte Deutungshoheit über das Sexleben der Italiener – oder wenigstens über dessen juristische Ausgestaltung – einfach so aufzugeben.

Zehntausende Menschen haben am Samstag in Italien für mehr Rechte für homosexuelle Paare demonstriert. In fast 100 Städten des katholischen Landes gingen die Menschen mit Regenbogenfahnen und Spruchbändern auf die Straße. Sie forderten unter dem Motto „Italien wach auf“ die gesetzliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften. Mehrere Organisationen hatten zu dem landesweiten Protest aufgerufen.

So preschten in den letzten Wochen 30 katholische PD-Senatoren vor mit der Forderung, das Gesetz müsse drastisch zurückgeschnitten werden. „Mein Bischof redet nicht mehr mit mir“, nannte einer von ihnen als Motiv für den Vorstoß.

Die Frömmigkeit des Staatspräsidenten

Raus aus dem Gesetz soll jede Sprachregelung, die – beim Erbrecht oder bei den Rentenansprüchen – die Zivilunion explizit mit der Ehe gleichstellt. Und raus soll auch die „stepchild adoption“: die Möglichkeit eines der Partner, das Kind des anderen zu adoptieren.

Kaum verhohlene Unterstützung erhielten die Meuterer sogleich vom Staatspräsidenten, dem frommen Sergio Mattarella. Der äußerte „ernste Zweifel“ an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzesvorschlags, weil der doch tatsächlich den in der Verfassung festgeschriebenen besonderen Schutz der Ehe als Bund „von Personen unterschiedlichen Geschlechts“ ignoriere.

Für Renzi ein echtes Dilemma: Kommt er den Katholiken in den eigenen Reihen entgegen, verliert er die Stimmen der radikalen Linken und der „Grillini“. Bleibt er hart, muss er mit 30 Abweichlern aus der PD rechnen. So oder so wackelt die Mehrheit.

Und so könnte das Gesetz dann doch wieder scheitern, stolze 30 Jahre nach dem ersten Anlauf auf diesem Feld im italienischen Parlament, auch wenn mittlerweile eine klare Mehrheit der Bürger dafür ist, auch wenn die LGBT-Community für Samstag in 80 italienischen Städten zu Kundgebungen unter dem Titel „Family Gay“ aufgerufen hat.

Wer bestimmt die Sexualmoral?

Die Katholiken halten ihrerseits dagegen und trommeln für ihren „Family Day“, wollen am 30. Januar Hunderttausende Verteidiger des „Vater-Mutter-Kind“-Glücks, in dem für Homos kein Platz ist, in Rom versammeln.

Sollte das Gesetz scheitern, wäre das ein schöner Erfolg für den Vatikan, der die Sonderstellung Italiens erneut zementieren würde: das Prinzip, dass am Ende Papst und Bischöfe bei der Sexualmoral das Sagen haben, egal was die gesellschaftlichen Mehrheiten denken.

So sind zwar seit 1978 Abtreibungen erlaubt, doch Schwangerschaftsabbrüche werden immer wieder zum entwürdigenden Hindernislauf für die Frauen. Denn das Gesetz billigt auch den im staatlichen Gesundheitsdienst tätigen Gynäkologen zugleich „Gewissensfreiheit“ zu. Und etwa im Latium – der Region, zu der auch Rom gehört – berufen sich stolze 90 Prozent der Frauenärzte auf ihr „Gewissen“.

Immer wieder gibt es komplette Großkrankenhäuser, in denen kein einziger Arzt für Abtreibungen zur Verfügung steht. Gelegentlich werden Aushilfskräfte mit Zeitverträgen eingestellt, um die Eingriffe vorzunehmen.

Gewissen vs. Wahlfreiheit

Kaum aber haben die Aushilfs-Doktoren dann eine feste Stelle ergattert, entdecken sie ihrerseits ihr Gewissen und verweigern Abtreibungen oder auch die Verabreichung der Abtreibungspille RU 486 – einer Pille, die, natürlich wegen der kirchlichen Widerstände, in Italien erst 2009 zugelassen wurde.

Zum Hindernislauf für Frauen wird auch die Suche nach der „Pille danach“. Ob Apotheker oder Ärzte: Immer wieder durchkreuzt das fromme Gewissen des medizinischen Personals die juristisch garantierte Wahlfreiheit der Frauen.

Letztes Jahr machte der Fall eines Mailänder Krankenhauses Schlagzeilen: Dort war es gleich die Krankenschwester am Empfang der Notfallambulanz, die junge Frauen ins Gebet nahm, ihnen eine Predigt vom gottgewollten Leben hielt, statt ihren medizinischen Dienst zu verrichten.

Und damit das junge Volk erst gar nicht zu viel erfährt über Verhütung, Pille oder Präser, ist in den staatlichen Lehrplänen Sexualerziehung einfach nicht vorgesehen. Schließlich sagt ja schon der Katechismus alles Nötige zum Thema.

Rückläufige Präservativnachfrage

Die Folgen lassen sich in der Statistik besichtigen: Im Jahr 2015 ging der Absatz von Präservativen in Italien zurück, im Gegenzug nahmen gerade unter jungen Leuten Geschlechtskrankheiten und HIV-Infektionen wieder zu.

Aber das muss man wohl als Kollateralschaden verbuchen, wäre doch schulische Sexualerziehung vor allem das hochgefährliche Einfallstor für „Gender-Indoktrinierung“, gegen die – unter dem Schlachtruf „Verteidigen wir unsere Kinder!“ – im letzten Juni katholische Verbände im letzten Juni mehr als 100.000 Menschen in Rom auf die Straße brachten.

Jetzt werden erneut „die Kinder“ verteidigt, gegen die Homo-Ehe, aber das ist natürlich bitteschön nicht als unfreundlicher Akt misszuverstehen.

Kardinal Camillo Ruini versichert treuherzig, er habe rein gar nichts gegen Schwule, „einige meiner besten Freunde waren gay“. Ruini ist damit in bester Gesellschaft. Auch Neapel-Trainer Sarri stellte gleich nach seinem „Schwuchtel“-Ausfall gegen Mancini klar, er sei ganz gewiss „nicht homophob“.

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